Rezension zu Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität

progress. Magazin der österreichischen HochschülerInnenschaft

Rezension von Hagen Blix

Mit »Schwule Sichtbarkeit – Schwule Identität« haben Zülfukar Çetin und Heinz-Jürgen Voß ein Buch vorgelegt, das sich mit den Möglichkeiten und Formen schwuler Politik auseinandersetzt. Sie zeichnen ein Bild, in der diese auf ambivalente Weise eingebunden ist in westliche Herrschaftsverhältnisse, und versuchen, darüber hinaus zu weisen. Auffallend durchzogen von einer Dringlichkeit, emanzipatorische Politik kritisch im Lichte des aktuellen reaktionären Aufwinds zu reflektieren, ist das Buch zweigeteilt. Im von Voß verfassten ersten Teil wird die Geschichte des »Schwulen« nachgezeichnet. Als Diskursfigur, als Identität – im Gegensatz zur bloßen sexuellen Praxis – entsteht der »Schwule« in den 1860er Jahren in einer Gemengelage von europäischem Kolonialismus und der Entwicklung naturwissenschaftlich-staatlicher Klassifikation von Menschen. Homosexualität wird darin auch von grundsätzlich progressiven Wissenschaftlern wie Magnus Hirschfeld von vornherein gegen einen »Orient« konstruiert – mit »echter Homosexualität« auf der einen und »unechter« auf der anderen Seite. Im zweiten Teil zeigt Çetin auf, wie diese konstruierte Dichotomie in aktueller Politik in Berlin fortläuft. Wenn etwa ein Kiss-In weißer Schwuler in einem migrantisch geprägten Stadtteil die dort existierenden queeren Strukturen ignoriert, zeigt sich, wie hinter der Identität des »Schwulen« andere Weisen zu leben – z.B. Muslim zu sein und gleichgeschlechtlichen Sex zu haben – politisch verdrängt und unsichtbar gemacht werden. Eingerahmt sind die zwei Teile von Reflektionen zu klaren Identitäten, Funktion von Sichtbarkeit als politischer Kategorie, und der räumlichzeitlichen Verortung politischer Praxis, die versuchen, die entwickelten kritischen Perspektiven politisch nutzbar zu machen. In einer Zeit, in der in Deutschland ein Autonomes Schwulenreferat die AfD zu einer Podiumsdiskussion einzuladen gewillt ist und die Teilnahme antidemokratischer Kräfte – erschienen in Begleitung von gut 20 Neonazis – als für eine »umfassende Meinungsbildung unumgänglich« verteidigt, in einer Zeit in der zugleich die Rückholbarkeit des Erstrittenen in der Homophobie derselben Partei deutlich wird, sei die Lektüre dieses Buchs dringend empfohlen.
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