Rezension zu Mütter und Söhne - blasse Väter (PDF-E-Book)
Psychologie Heute, 44. Jahrgang, Heft 6, Juni 2017
Rezension von Tilmann Moser
DIE EWIGE SCHULD DER MÜTTER
Der Psychoanalytiker Mathias Hirsch ist in den 1980er Jahren
berühmt geworden mit einem Buch über den »realen Inzest«. In diesem
untersuchte er den Vater-Tochter-Inzest und zeigte, wie dieses
Ereignis zu schweren Traumatisierungen führt. In seinem Buch
»Mütter und Söhne – blasse Väter« bleibt er eindeutig ein ›mother
hunter‹, der Mütter mit großem Eifer verfolgt, denn: Hinter allen
perversen und missbrauchenden Männern und Tätern sieht er am
Ursprung ihres destruktiven Wesens eine vom Sohn Besitz ergreifende
Mutter, die den Vater geringgeschätzt, gedemütigt oder vertrieben
hat. Die den Sohn vereinnahmende Mutter bringt ihn psychisch in
ihre oft sehr liebevoll wirkende und doch latent aggressive Gewalt.
Hirsch beschreibt auch, auf welch vielfältige Weise sich inzestuös
gebundene Söhne an ihren Partnerinnen rächen. So widmet er etwa Don
Juan ein faszinierendes Kapitel, ebenso wie der Psychologie des
Freiers oder des Zuhälters. Spannend sind die eingestreuten
diagnostischen Analysen von Filmen, die auch dem analytisch
interessierten Laien reiches Anschauungsmaterial bieten. Die
dynamische Psychologie in den zugrunde liegenden Dreiecken
bezeichnet Hirsch mit Recht als »pseudoödipal«, weil kein
seelischer und manchmal körperlicher Kampf des Jungen um und gegen
den Vater vorliegt, sondern eben die kampflos prägende
Inbesitznahme durch die Mutter, der er ohne einen starken und
präsenten Vater hilflos ausgeliefert ist. Faszinierend sind die
Belesenheit des Autors, der Reichtum seiner Fallbeispiele und die
Fülle der von ihm herangezogenen Beispiele aus der Literatur, die
er stützend verwendet und wenn nötig auch nach interpretiert.
Tilmann Moser