Rezension zu Das lebendige Gefüge der Gruppe
Zeitschrift für OrganisationsEntwicklung (ZOE), Nr. 2, 2017
Rezension von Doris Formann
Zur Würdigung der Person und des Werkes von Raoul Schindler ist das
Buch eine Sammlung von bis dato unveröffentlichten Originaltexten.
Es beinhaltet eine fundierte Auseinandersetzung mit Raoul
Schindlers Überlegungen und Intentionen, seinen Theorien und deren
Weiterentwicklung. Für dieses Buch bekundete Raoul Schindler noch
sein Interesse, doch fällt in die Zeit des gemeinsamen Arbeitens
sein Tod im Mai 2014.
Das aus drei Teilen bestehende Buch enthält zunächst eine Biografie
Schindlers, eine historische Darstellung der Gruppendynamik in
Österreich und ein Abschnitt zur Bedeutung von »Gruppe« in
Schindlers Denken. Die Historie ist auch für gruppendynamische
Laien spannend, beim Lesen entsteht ein Bild der Geschichte der
Gruppendynamik in Österreich, wie sie bisher nicht bekannt ist – in
einem Gefüge, wie ein Baum wirkend, der zeigt, dass die Geschichte
der Gruppendynamik ein Mehrpersonenstück ist und nicht eine
Geschichte einzelner Heroen.
Der zweite Teil besteht aus ausgewählten Originaltexten, die
entlang einer Zeitleiste im Sinn historischer Lebensabschnitte
Schindlers angeordnet und mit Einführungen versehen sind –
beginnend mit Texten zur Entwicklung der bifokalen
Familientherapie. Daran anschließend wird erstmals in gesammelter
und damit auch nachvollziehbarer Weise Originalliteratur zur
Entstehung und zur Weiterentwicklung des Modells der Rangdynamik
veröffentlicht. Ein Quantensprung zu den bisher in der
Forschungsliteratur verfügbaren Quellen, meist Sekundärliteratur,
die oftmals zu verkürzten Darstellungen des Modells führten: Das
Modell der Rangdynamik findet vielfach Anwendung im
Beratungskontext bei der Arbeit mit Gruppen. Anhand der nunmehr
verfügbaren Originaltexte wird es in seiner ganzen
Differenziertheit nachvollziehbar und bietet erstmals vertiefte
Anwendungsmöglichkeiten für die Beratungspraxis. Besonders
anschaulich wird das Rangdynamikmodell im Text »Soziodynamik der
Krankenstation«, ein Anwendungsbeispiel im Organisationskontext.
Hervorzuheben ist auch der Text »Macht in der Organisation
psychoanalytischen Wissens«: Schindler wendet sich in den 8Oer- und
90er-Jahren des letzten Jahrhunderts verstärkt
gesellschaftstheoretischen und berufspolitischen Fragestellungen
zu. Die Texte eröffnen für in der Beratung Tätige etliche
Ansatzpunkte zum vertieften Verständnis von Machtdynamiken sowie zu
entsprechenden Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten. In Bezug
auf die Erkenntnis, dass Gruppen auch krank machen können und
gesellschaftliche Prozesse beeinflussen, zeigen die Texte
eindrucksvoll, wie unerlässlich eine entwicklungsfördernde
Interventionspraxis für die Arbeit mit Gruppen ist.
Der dritte Teil rundet das Buch mit einem Glossar zentraler
Begriffe ab. (DF)