Rezension zu Die innere Arbeit des Beraters

psychosozial, 39. Jahrgang, Nr. 146, Heft IV, 2016

Rezension von Jürgen Mietz

Die innere Arbeit ins Zentrum gerückt

Organisationen zu beschreiben, zu verstehen, zu verändern, sie zu entwickeln, erscheint uns zeitgemäß, komplex, kompliziert, notwendig. Alle Aufmerksamkeit auf die Organisation also. Die Veröffentlichungen sprechen Bände. Jedoch: Was ist mit der Beraterin und dem Berater? Scheinbar smart diagnostizieren sie – nicht selten mit dem Methodenkoffer unterwegs – die Organisationjustieren die Arbeitsteilungen und Kooperationen und weiter geht ihre Reise zu höheren Stufen der Effektivität und Effizienz. Zu schön, um wahr zu sein.

In der Tat: Die innere Arbeit des Beraters bedarf eigener, besonderer Aufmerksamkeit. Sie vollzieht sich nicht in einem smarten Algorithmus. Dieser Annahme verdankt sich eine Fachtagung, zu der Harald Pühl und Klaus Obermeyer vom Triangel-Institut im Juni 2014 einluden. Sie lenkten den Blick auf die Beraterin und den Berater, auf die Einengungen und Blockaden, denen sie unterliegen; und auf das Ringen um Bewegungsspielräume. Im September 2016 legten sie den Band im Psychosozial-Verlag mit den Vorträgen vor.

Nicht jeder Beitrag kann hier ausführlich besprochen werden. Einige von ihnen sprachen den Rezensenten jedoch in besonderer Weise an, sodass sie her erwähnt werden sollen.

Schon die Einleitung der beiden Herausgeber spannt den weiten Bogen des Themas in zahlreichen Facetten auf. Sie legen dar, dass es keine einfache Gegenüberstellung von Innen und Außen geben kann. Einen Eindruck von der Komplexität geben sie mit einem Zitat. Jean-Luc Godard frage: »Wie kann man das Innenleben abbilden?« und antworte: »Indem man die ganze Aufmerksamkeit auf das Äußere richtet.« Und was nehmen wir vom Äußeren wahr? Das, was die Subjektivität der Beraterin erlaubt, wahrzunehmen; und die unterliegt der inneren Arbeit der Beraterin/des Beraters.

Und schon wartet eine Gefahr am Wegesrand, die die Herausgeber nicht ignorieren wollen: die Subjektivierung. Hier in dem Sinne verstanden, dass sie »Wirklichkeit« verzerre, soziale Verhältnisse ignoriere und sie sich damit an der Verfestigung von Herrschafts- und Ohnmachtsverhältnissen beteilige, oder sie betreibe.

Die Herausgeber warnen vor Selbstinszenierung und Innerlichkeitsdiskurs. Vermutlich haben sie Recht, wenn sie schreiben, dass es keine Chance gibt, sich dem Subjektivierungsdruck zu entziehen und dass es darauf ankomme, mit ihm umzugehen – ohne sich einer Nabelschau hinzugeben. Wie schon Helmuth Plessner feststellte, liegen Innerlichkeit (und Frömmelei) sowie übermäßige Treue gegenüber den Mächtigen nahe beieinander.

In diesem Rahmen bleibt nur festzuhalten, dass – wie auch weitere Beiträge des Buches zeigen – die Befassung mit »der« Subjektivierung, (die es tatsächlich in vielen unterschiedlichen Begriffen gibt) nützlich wäre. Vermutlich ist hier solches Verständnis gemeint: Subjektivierung als machterweiternde Strategie und verlängerter Arm ehemals äußerer disziplinierender Instanzen, die nun in die Individuen hineinverlegt werden, sodass sie »selbst« wollen, was sie wollen sollen. Sie sollen sich unternehmerisch verhalten, ohne über die Machtmittel eines Unternehmers zu verfügen.

Rudolf Heltzel ordnet die Phänomene der Übertragung und Gegenübertragung in den Rahmen der inneren Arbeit und in die Polarität von Bewegungseinengung und Bewegungsfreiheit ein. Und gleichzeitig bietet er damit ein Repetitorium zum Thema der Übertragung und Gegenübertragung. Die Verwobenheit von Innen und Außen drückt sich unter anderem in seinem Satz aus, dass die Selbstanalyse des Supervisors zur Institutionsanalyse werde. Das wiederum hat reichlich Auswirkungen auf die mögliche Praxis der Beraterin.

Wolfgang Weigand widmet sich der »inneren Arbeit«, indem er die Frage aufwirft, wie denn eine Organisation zum »Beziehungs-Übertragungspartner« werden könne. Damit ist er auch recht bald bei der Frage der Macht und der Machtverhältnisse zwischen Berater und Organisation. Interessant unter anderem seine Feststellung, dass sich »Organisationen um Problemstellungen außerhalb ihrer selbst« bildeten. In seinem Beitrag geht der Autor dem nicht weiter nach. Es dürfte aber nicht unerheblich sein, wie sich »Problemstellungen« konstellieren, welche Interessen und Machtmittel in »Keimform« enthalten sind und schließlich (auch) der Beraterin gegenübertreten. Fordernd ist die Empfehlung, Berater sollten sich mit dem »Gang ins Zentrum der Macht« befassen. Er fragt auch: Ist das Ausdruck eines Autoritätsproblems, einer narzisstischen Verführbarkeit oder beraterischer Verantwortung? Im Anschluss an Devereux weist Weigand auf die Wahrnehmungsverzerrung hin, die durch Angstbewältigung entstehen kann.

Harald Pühl schärft einmal mehr den Blick für die Ausgestaltung des »Beratungssystems« und für die Auftragsklärung. Hier schon werden Weichen für Bewegungsmöglichkeiten gestellt. Pühl zeigt, wie bei aller Bedeutung sozialer Strukturen und Verhältnisse, bei aller Notwendigkeit methodischer Kompetenz das »Durchhaltevermögen« als Element innerer Arbeit für die Schaffung und für den Erhalt der triangulären Beziehung bedeutsam ist. Und diese wiederum hängt zusammen mit der inneren Freiheit, die eigene »Formatiertheit« – zum Beispiel aus Ängsten, Scham- und Schuldgefühlen, aus Bündniswünschen – zu entschlüsseln und in die Arbeit zu integrieren. Pühl plädiert für »den Mut zur Präsenz«, ein Zusammenspiel aus »konstruktiver Aggression« und »Achtsamkeit«. Fehle es an ihm, könne es schon in der Auftragsklärung zu dem kommen, was Pühl als »Lethargie des Ungefähren« beschreibt, die sich »wie Mehltau als Diffusität auf die Beteiligten (niederschlage).«

Klaus Obermeyer widmet sich den Höllen, durch die Berater/innen gehen können. Der bedrohte, gehemmte, verletzte, vom Verschwinden bedrohte Berater ist sein Thema. Um schließlich wieder dort anzukommen: Klient und Berater befinden sich nicht selten in einem Zusammenspiel (Kollusion), das – können sie es aufdecken – neue Entwicklungschancen für beide Seiten eröffnet. Das erfordert ein hohes Maß an »Gewahrsein«, zu dem man kaum als Solist gelangen kann. Klaus Obermeyer eröffnet noch, Rolf Haubl zitierend, eine andere Perspektive: dass nämlich die Arbeitswelt mehr und mehr von der »Angst, persönlich zu versagen oder sogar nutzlos zu sein« geprägt sei. Eine Wahrnehmung, die für den Klienten, wie auch für die Beraterin gelten mag.

Wenn hier, wie auch in anderen Beiträgen des Buchs, die Arbeitswelt angesprochen ist (wenig überraschend, wenn sich Supervision auf die Arbeitswelt bezieht), so mag es sich lohnen, auf einen Aspekt zu verweisen, der in den Beiträgen eher andeutungsweise als explizit vorkommt: Die soziale und soziologische Dimension für die Herausbildung unserer Subjektivität. Unser Denken und Handeln sind in ihren Strategien, in der Art der Beziehungs-deutung und in den Ambitionen auch Ergebnis sozialer Verhältnisse, sozialer Herkünfte. Didier Eribon hat das jüngst (in deutscher Version) mit seinem Buch »Rückkehr nach Reims« anschaulich beschrieben. Milieu-, Schichten-und Klassenzugehörigkeiten mit ihren Loyalitätspflichten und -abweisungen, mit verdrängten Verratserfahrungen oder Pflichterfüllungen prägen unser Beziehungsdenken und unsere Normvorstellungen. Sie entstehen nicht allein psychologisch, sondern ebenso gesellschaftlich und politisch und sind existenziell. Insofern kann es weiterführend sein, wenn Obermeyer auf Katharina Gröning und Pierre Bourdieu hinweist. Letzterer hat etwa mit seinen »feinen Unterschieden« die Wirksamkeit sozialer Verhältnisse für die Herausbildung von Einstellungen und Verhalten beschrieben.

Brüche und Widersprüche aus psychologischen und sozialen Verhältnissen könnten so aussehen: Wie kommt der Berater damit zu-recht, dass das Budget, aus dem er bezahlt ist, sich investmentgetriebener Logik der Dividendenerwirtschaftung verdankt, die Arbeit-nehmer Kostenfaktoren sind und bei gelingen-der Verbesserung einige von ihnen freigestellt werden könnten? Mit welchem inneren Bezugssystem kann er dieses Kräftefeld verarbeiten und welche Rolle spielen dabei eigene Klassenerfahrungen?

Ein Zugang könnte sein, sein Heil vermehrt in Formen der Kollektivität zu suchen. Kooperationspartner können den Rücken stärken ›und‹ der Organisation ein »erweitertes Angebot« machen. Angela Gotthardt-Lorenz und Wolfgang Knopf berichten darüber. Abgesehen von einer Zunahme der Komplexität und der Kontrollbedürfnisse, die von allen Seiten bearbeitet sein wollen, rührt ein solches Arbeitsverständnis an die »Gene« mancher Beraterin und manchen Beraters. Ist das doch solistisch geprägt und vom Wunsch getragen, »frei« als Freiberufler unterwegs zu sein, wie die Autoren dem Sinne nach schreiben.

Weitere interessante Beiträge stammen von Cäcilia Debbing, die von ihrem Sprung in die Selbstständigkeit berichtet. Marga Löwer-Hirsch sieht den Beratungsraum als Spielraum, in dem Ängste gebannt werden können. Erwähnt sei der Beitrag von Anusheh Rafi, der sich unter anderem mit den Bedeutungen der Begriffe Neutralität und Allparteilichkeit in der Mediation befasst. Schon darüber lassen sich klarere Positionierungen des Mediators gewinnen. Hennann Staats stellt die psychoanalytisch-interaktionelle Methode vor, die helfen kann, auch in Stresssituationen einen guten beraterischen Standard zu sichern. Ebenfalls methodengestützt versucht Michael Völker, die Resilienz bei Klienten zu nutzen und zu stärken. Gleichwohl wird hier auch eine Gefahr sichtbar: Die Helferindustrie fragt nicht mehr nach den Ursachen von Belastungen und Bedrohungen – sie fasst sie unter »aktuelle Herausforderungen in der Gesellschaft« – und bedient den Nachfrager mit Lösungen. Ortfried Schäffter schließt mit einer relationstheoretischen Sicht der inne-ren Arbeit des Beraters den Band ab.

Der Band enthält eine Fülle von Anregungen und Zugängen zum Thema der »inneren Arbeit«. Er regt dazu an, sich im Strom der Forderungen und Überforderungen seiner eigenen Haltung zu vergewissern.

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