Rezension zu Verstehen und Begreifen in der Psychoanalyse
Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Bd. 36, 2017
Rezension von Achim Würker
Bei der Lektüre der von Simonelli und Zepf herausgegebenen
Publikation wird rasch erkennbar, dass diese »Erkundungen zu Alfred
Lorenzer« für die Herausgeber und einige der Autoren zugleich
»Erinnerungen an Alfred Lorenzer« sind und damit eine
Vergewisserung darüber einschließen, was die Person Lorenzer für
sie bedeutet hat bzw. bis heute bedeutet.
So vermittelt Siegfried Zepf, der seinen Beitrag explizit unter
dieses Motto stellt, dem Leser einen Einblick in eine
Männerfreundschaft, deren Zentrum der engagierte Diskurs über
zentrale Fragen der Psychoanalyse ist, wie sie in den 70ern
anstanden, nämlich die nach dem Wissenschaftscharakter der
Psychoanalyse, dem Wahrheitsanspruch ihrer Erkenntnisse, ihren
sozialisationstheoretischen Implikationen und ihrem Zusammenhang
mit dem dialektischen Materialismus.
Ergänzt wird Zepfs persönlicher Rückblick auf seine Zusammenarbeit
mit Lorenzer durch ein Gesprächsprotokoll (»Über Verstehen und
Begreifen in der Psychoanalyse«), das dokumentiert, wie er und
Sebastian Hartmann versuchen, in Auseinandersetzung mit Lorenzer
Zentralstellen von dessen theoretischen Konzeptionen zu klären. Es
ist nicht nur aufschlussreich, sondern geradezu vergnüglich, im
Zuge der Wiedergabe der Gesprächsbeiträge – einem für eine
Bühnenaufführung gedachten Dramentext nicht unähnlich – zu erleben,
wie Lorenzer mit den Vorgaben seiner Gesprächspartner umgeht, wie
er diese immer wieder vorsichtig aufgreift, veranschaulicht und
differenziert, wie er verdeutlicht, was er als zentral für seine
Überlegungen hervorheben möchte. Wenn Zepf beispielsweise rasch zum
Wahrheitsbegriff und zur Relevanz des Begreifens der eigentümlichen
psychoanalytischen Gegenstandslogik kommt, bremst Lorenzer und
nimmt sich Zeit, zunächst die Spezifik des Verstehensprozesses als
die ausschlaggebende Basis psychoanalytischer Erkenntnis zu
betonen, bevor er nachdrücklich darauf aufmerksam macht, dass das
Begreifen diesem Prozess mit außerordentlicher Behutsamkeit zu
folgen habe: Es gehe zunächst um die »Bildung eines Begriffs, der
noch sehr vage Umrisse hat« bzw. um eine »Begriffsbildung, die hier
in statu nascendi« sich abspiele (S. 59). Insofern könne der
schließlich gebildete Begriff nicht völlig deckungsgleich sein mit
einem Begriff, der umstandslos der Theorie zu entnehmen sei.
Helmut Dahmer ruft unter dem Motto »Das neue Interesse an der
Psychoanalyse« – der Text seiner Rede anlässlich der Feier des 65.
Geburtstags von Alfred Lorenzer – die Zeit der 70er Jahre in
Erinnerung und würdigt Lorenzer als einen Forscher, der in
sublimierter Form auf das damalige Interesse an der Psychoanalyse
reagiert habe, indem er »die Eigenart der Freud’schen Wissenschaft
vom Unbewussten als Sozialisationstheorie und Psychohistorie« (S.
50) beschrieben und »auf der Querstellung der Psychoanalyse zum
etablierten Wissenschaftssystem, also auf ihrer
Nicht-Einordenbarkeit« (S. 50) insistiert habe. Und er habe Front
gemacht gegen soziologische und biologistische
Vereinnahmungsversuche, habe Psychoanalyse »im Spannungsfeld von
Physiologie und Geschichte situiert« (S. 50) sowie das
psychoanalytische Verfahren als ›Tiefenhermeneutik‹ bestimmt und
den Dialog mit den Humanwissenschaften erneuert. Er, Dahmer, habe
Lorenzer im Sigmund-Freud-Institut und in der Redaktion der Psyche
kennengelernt und in ihm einen wichtigen Diskussionspartner
gefunden sowie jemanden, der – wie er selbst – wichtig nahm, was
damals in der kritischen Öffentlichkeit vorging. Das habe zu einem
Entfremdungsprozess vom Sigmund-Freud-Institut geführt:
»Das neue Interesse draußen an dem, was im Haus professionell
betrieben wurde, erschien eher als bedrohlich. Und was in Lorenzers
damaligen Schriften jenem externen Interesse der neuen
Gegenöffentlichkeit korrespondierte, wurde intern weder gelesen
noch diskutiert« (S. 51).
Und er konstatiert 1987: »Heute ist weder Alfred Lorenzer Lehrer am
Sigmund-Freud-Institut noch wird die Psyche mehr hier redigiert.
Beide sind von der Institution als unverdaulich abgestoßen worden«
(S. 52).
Hans-Volker Werthmann stellt Alfred Lorenzer als Lehranalytiker
vor. Der Titel seines Beitrags, »Der Vater hat den Krieg verloren,
und der Onkel hat ihn gewonnen«, zitiert eine der eher seltenen
Deutungen Lorenzers, und Werthmann verweist auf sie als Beispiel
für eine szenische Formulierung, mit der dieser das Verstehen zu
bündeln pflegte. Werthmann geht ausführlich auf seine eigene
Familienproblematik ein, die im Zentrum der gemeinsamen Arbeit mit
Lorenzer stand, und seine schlichte Schilderung veranschaulicht die
Art der verstehenden Begleitung, die er schließlich mit den damals
noch nicht geläufigen Begriffen von »Containment« und »Holding« in
Verbindung bringt. Ohne die Problematik von Verstehen und Begreifen
explizit zu reflektieren, belegt Werthmann auf diese Weise, was im
erwähnten Gespräch von Zepf und Hartmann mit Lorenzer anklingt: wie
sehr es im analytischen Verstehensprozess auf das Anschmiegen an
präsentative Symbolisierungen und um das Ertasten der Strukturen
der wahrgenommenen Szenen geht und wie dies ohne
theoretisch-begriffliche Einordnungen funktioniert. So ist es nur
folgerichtig, dass Werthmann seinem Leser schließlich kein
abstraktes Resümee, sondern die Schilderung zweier bezeichnender
Szenen mit Lorenzer liefert: der ihn verunsichernden
Essenseinladung bei dem ehemaligen Lehranalytiker sowie der
Gegeneinladung, die in ihm ein positives Bild zurücklässt: »Bei der
Gelegenheit lernte er meinen Vater kennen und plauderte mit ihm
längere Zeit. Ich glaube, dass die beiden Herren Gefallen
aneinander gefunden haben« (S. 46).
Die übrigen Beiträge konzentrieren sich ausschließlich auf
bestimmte Facetten von Lorenzers theoretischen Konzeptionen:
Gunzelin Schmid Noerr zielt dabei auf eine »philosophische
Reflexion des Verstehens«, indem er »theoriegeschichtliche und
methodologische Grundzüge der Lorenzerschen Symboltheorie« (S. 116)
darstellt und vor dem Hintergrund der Begriffstradition seit Freud
erläutert: Zentral bei Lorenzer sei die »Annahme zweier Zentren der
Symbolbildung, nämlich des Ich als durchgängiger Bildungsinstanz
der Symbolisierung und des Es als Reizquelle besonderer Art für das
Ich und als Zentrum für Energiebesetzungen, mit denen
Repräsentanzen ausgestattet sind« (S. 127). Er zitiert eine
wichtige Annahme Lorenzers:
»Die Synopsis von psychoanalytischer Theorie und Symbolverständnis
lässt nur eine einzige Möglichkeit zu: Unbewusste Inhalte werden
vom Unbewussten mehr oder minder ›freigegeben‹, um dann vom
erkennenden Ich aufgenommen und verarbeitet zu werden; das Symbol
ist Produkt eines Erkenntnisvorgangs, bei dem eine ›innere
Wahrnehmung‹ die schlecht zugänglichen Wahrnehmungsmaterialien
aufnimmt.« (1)
Schmid Noerr verknüpft mit seiner symboltheoretischen Darstellung
den Hinweis auf kulturanalytische Dimensionen, indem er sich mit
Heines Gedicht »Loreley« auseinandersetzt und in vorsichtigem
Wechsel von Irritation und Erschließung der sprachlichen Bilder
anschaulich macht, wie sich im lyrischen Sprachtext ein latenter
Sinn offenbare: Hinter dem vordergründigen Täterin-Opfer-Verhältnis
scheine ein inneres Konfliktpanorama auf, das durch eine
Affektumwandlung geprägt sei und bereits Züge einer verarbeitenden
Transformation von Schmerz zu Trauer aufweise.
Simonelli und – in einem weiteren Beitrag – Zepf gehen der
»Relevanz von Sprache, Subjekt und Gesellschaft« (so der
Aufsatztitel Simonellis) nach, wobei einmal Lacan und einmal Freud
als Vergleichs- bzw. als Bezugspunkte aufgegriffen werden.
Simonelli exponiert in seinem Beitrag die gravierenden Unterschiede
zwischen Lacan und Lorenzer. Obwohl beide an »der Rolle der Sprache
in der Psychoanalyse interessiert und (...) beide Kritiker einer
naiv wissenschaftlich verkürzten Psychoanalyse« gewesen seien, die
Psychoanalyse »auch im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Stellung
und ihre politische Funktion« gedacht hätten, seien ihre
Perspektiven sehr verschieden gewesen mit ebenso unterschiedlichen
Auffassungen zentraler Begriffe wie »Sprache, Subjekt,
Psychoanalyse und Gesellschaft« (S. 88).
Diese Unterschiedlichkeit arbeitet Simonelli unter anderem an den
Bezugnahmen beider Autoren auf Poes Detektivfigur Dupin heraus.
Dabei tritt zutage, dass - da für ihn Sinn und Bedeutung immer nur
dem Imaginären zuzurechnen sei - Lacan sich als »einer der
radikalsten Kritiker jeder Hermeneutik« (S. 99) erweise, während es
Lorenzer gerade darum gehe, »der Hermeneutik der Psychoanalyse
(...) im Rahmen der materialistischen Sozialisationstheorie« (S.
100) eine neuartige Kontur zu geben. Dabei interessiere ihn zwar in
diesem Zusammenhang – wie Lacan auch – die Sprache, »anstelle einer
monokausalen sprachtheoretischen Erklärung« bemühe er sich jedoch
»um die komplexe Dialektik vom Entstehungsprozess individueller
Struktur in konkret gesellschaftlicher Vermittlung«: an die Stelle
»abstrakte(r) Signifikanten der ›staubfreien‹ Höhe von Lacans
autonomen Sprachzeichen« (S. 101) träten bei ihm die »realwirksamen
›Bedeutungen‹ des Verhaltens«. (2) Zur Erläuterung skizziert
Simonelli die Lorenzerschen Konzeptionen von Symbol und Klischee,
von Desymbolisierung und Resymbolisierung, bevor er auf die
politischen Implikationen eingeht und abermals die extremen
Unterschiede zwischen Lacan und Lorenzer herausstellt: Während
Lacan mit der Annahme eines »großen Anderen« ein »ideologisches
Blendwerk der wissenschaftlichmechanischen Rationalisierung der
Gesellschaft« (S. 113) entwickle, sei es »mit Lorenzer (...)
möglich, Psychoanalyse als kritische Praxis mit
politisch-gesellschaftlicher Punktion zu denken« (S. 113).
Zepf stellt das Thema »Sprache und Unbewusstes« im Sinne einer
Kontrastierung von Preud und Lorenzer zunächst unter
Berücksichtigung von zwei Schwerpunkten dar. Erstens betrachtet er
die Unterschiedlichkeit in der Bestimmung des Symbolbegriffs bzw.
der sprachtheoretischen Konzeptualisierung des Unbewussten: An die
Stelle des Freudschen Begriffs der Sachvorstellung, die sich mit
der Wortvorstellung und damit dem Bewussten verbinde, trete bei
Lorenzer die Verknüpfung von Interaktionsform und Sprachfigur bzw.
Lautengramm und sensorischem Engramm der Interaktionsform:
»Grundlage des Symbols ist (...) die ›engrammatisch fixierte‹
Beziehungsstruktur beider Komplexe«. (3) Während Freud den
Symbolbegriff für »die mystifizierte Darstellung unbewusster
Inhalte im Bewusstsein« reserviere (S. 150), seien Symbole für
Lorenzer »Resultate menschlicher Erkenntnistätigkeit« (S. 150) bzw.
»Produkt(e) einer einheitlichen Ich-Leistung«. (4) Zweitens
arbeitet Zepf das unterschiedliche Verständnis der biologischen und
sozialen Natur des Menschen heraus, indem er Freuds letztlich
gesellschaftsblinde Sicht der gesellschaftlich-dialektischen Sicht
Lorenzers entgegenstellt: Lorenzer dechiffriere »Freuds
phylogenetische Überlegungen als Projektion der sozialen
›Grundlegung aus der Kindheitsgeschichte der Patienten in die
Vorgeschichte der Menschengattung, aus der Ontogenese in die
Phylogenese‹ (Lorenzer 1988, S. 140)« (S. 155). Während Freud
Neurosen auf eine Diskrepanz »zwischen gesellschaftlichen
Anforderungen und der biologischen Natur des Menschen« zurückführe,
verweise Lorenzer auf den »Widerspruch zwischen Individuum und
Gesellschaft im Sozialen« sowie darauf, dass das Unbewusste bereits
sozialisatorisch hergestellt sei.
Unter dem Motto »Ergänzungen« versucht Zepf schließlich eine
sprachtheoretische Verkürzung sowohl Freuds als auch Lorenzers
bezüglich ihrer Auffassungen von »Begriff« aufzudecken, die zur
Folge habe, dass das Verhältnis von Bewusstsein und Begriffen nicht
richtig gefasst werden könne. An Zepfs Argumentation irritiert,
dass sie in der Auseinandersetzung mit Lorenzers Überlegungen zur
Resymbolisierung die von diesem stets betonte hohe Bedeutsamkeit
der präsentativen Symbolik übergeht. Diese jedoch wäre als zentrale
Gelenkstelle zwischen den unbewussten Interaktionsformen bzw. den
inneren Szenen und der sprachsymbolischen Reflexion zu
berücksichtigen. (5) Interessant wäre es, Zepfs Argumentation mit
der von Bernd Nissen zu konfrontieren, der in seinem Beitrag
verdeutlicht, wie mit Lorenzer Bewusstwerdung im Zuge szenischen
Verstehens zu denken ist und welche Rolle »präsentative« Begriffe
dabei spielen.
Nissen und Hans-Dieter König wählen beide die therapeutische Praxis
der Psychoanalyse als Bezugspunkt für ihre Reflexionen über
Lorenzer. Nissen geht unter dem Titel »Zur Komplexität der Szene«
geradezu mikroskopisch konzentriert dem Prozess szenischen
Verstehens in der analytischen Therapie nach. Unter
Berücksichtigung von Annahmen Freuds (über die Urphantasie) und
Bions (Prä-Konzeption bzw. Präkonzeption) versteht er die
Auseinandersetzung zwischen Analysand und Analytiker als einen
kreativen Prozess, in dem ein »Präsenzereignis« statthabe: »Im
Einssein der Präsenz ist Subjekt-Objekt-Differenzierung aufgehoben,
es ist weder bewusst noch unbewusst, zugleich von größter Klarheit«
(S. 180). Und er erläutert, dass dieses Dritte, das da entstehe,
eine »übersummativ eigene Wirkmächtigkeit« gewinne und Ansatz sei
für die »Aufhebung in einem Namen« (S. 181). Dieser habe den
Charakter präsentativer Symbolik und bündele - im Sinne von
Lorenzers »Beim-Namen-Nennen« - die Szene: »Damit wird klar, dass
die Szene nicht eine Subjekt-Objekt-Relation meint, sondern eine
Komplexität von Einssein, Selbst-Objekt-Differenz, Getrenntsein,
Drittes und Odipalität, in der Elemente und Urphantasien wirken«
(S. 182). Diese Einsicht habe methodische Folgen: »Wenn die Szene
ein solch komplexes Geschehen ist, werden Lorenzers Ausführungen
verständlich, in denen er die Beschaulichkeit der Loge gegen die
Teilnahme am Spiel eintauscht und die >tiefsten,
nichtsprachlichen Ebenem betont« (S. 183). Es ist faszinierend, wie
Nissen diese abstrakten Einsichten anhand von konkreten
Schilderungen aus einem Therapieverlauf veranschaulicht, wie er
eine sinnliche Szene als Beispiel eines Präsenzmoments aufgreift
und das anschließende »präsentative Ahnen« und die Suche nach dem
»präsentativen« Namen nachzeichnet. Dabei macht er deutlich, welche
Relevanz die von Freud betonten Verstehenshaltungen der
gleichschwebenden Aufmerksamkeit und der freien Assoziation als
Basis dieser kreativen Suchbewegung gewinnen.
König referiert in seinem Beitrag einleitend kenntnisreich Etappen
und Facetten von Lorenzers Theorieentwicklung und möchte hiermit
zusammenhängend eine Langzeitanalyse als Beispiel szenischen
Verstehens darstellen, begrifflich fassen und kulturanalytisch
erläutern. Dabei formuliert er bezüglich der Fallrekonstruktion den
Anspruch, diese so zu präsentieren, dass der Leser sie sowohl
kognitiv als auch affektiv nachvollziehen kann, ein Vorhaben, das
er mit der »Quadratur des Kreises« vergleicht. Bei der Lektüre
seiner Fallschilderung verdichtet sich der Eindruck, er hätte diese
Metapher ernst nehmen und auf den Versuch verzichten sollen, auf
engem Raum 380 Therapiesitzungen chronologisch geordnet in ihren
wesentlichen Verstehensschritten darzustellen. (6) König gesteht
selbst, dies könne nur »verdichtet und abgekürzt« (S. 179)
geschehen; diese unvermeidliche Verkürzung hat zur Folge, dass
wiederholt kurzschlüssig wirkende Deutungen bzw. nicht
nachvollziehbar rasche Bewusstwerdungserfolge allzu grob benannt
werden bis hin zu – abweichend vom eigenen Anspruch, nicht
theoretisierend zu sprechen – holzschnittartigen begrifflichen
Formulierungen wie der folgenden:
Zugleich stieß ich beim Nachdenken über mein durch das
Inter-agieren mit dem »Analysanden ausgelöstes Erleben auf einen
Affekt – Aggression –, der meinem bewussten Empfinden – Mitgefühl –
widersprach und sich daher als Ausdruck einer unbewussten Regung
verstehen ließ – Gegenübertragung –, mit dem ich auf das Unbewusste
des Analysanden reagierte – Übertragung« (S. 202).
So vermittelt sich das filigrane, Psychoanalysen auszeichnende
Wechselverhältnis, das geprägt ist vom hermeneutischen Pendeln
zwischen szenischen Darstellungen, subjektiven Wirkungen,
Irritationen und Assoziationen, Deutungsversuchen, Irrwegen und
Rücknahmen bzw. Modifikationen von Deutungen, allmählicher
gemeinsamer Annäherung an das zunächst unbewusste Konfliktpanorama
usw., gerade nicht in der von König erhofften Weise. Das hat
Auswirkungen auch auf die zwei folgenden Abschnitte, in denen
zunächst Begriffsarbeit und daran anschließend kulturanalytische
Einordnung geleistet werden sollen: Ohne wirklich triftigen
Bezugspunkt entsteht bei König der Eindruck einer relativ
abgehobenen psychoanalytischen Begriffspräsentation bzw.
anschließend einer abstrakten soziologischen Medienkritik.
Simonellis und Zepfs »Verstehen und Begreifen« bietet über die
Erinnerung an einen profilierten Wissenschaftler und eine
eindrucksvolle Persönlichkeit hinaus einen lohnenden und klärenden
Rückblick auf einen Theoriediskurs, der dazu anregt, sowohl die
damaligen Fragestellungen als auch die damals gewonnenen
Erkenntnisse in die aktuelle Debatte über Praxis, Methode und
Theorie der Psychoanalyse einzubeziehen und produktiv zu nutzen.
Lorenzers originelle Konzeptionen – so zeigt sich bei der Lektüre
der so verschieden akzentuierten Beiträge – liefern hierzu auch
heute noch inspirierende Anregungen.
(1) Alfred Lorenzer: »Zur Kritik des psychoanalytischen
Symbolbegriffs«, Frankfurt a.M. 1970, S. 65.
(2) Alfred Lorenzer: »Sprachspiel und Interaktionsform«, Frankfurt
a.M. 1977, S. 182.
(3) Alfred Lorenzer: »Zur Begründung einer materialistischen
Sozialisationstheorie«, Frankfurt a.M. 1972, S. 105f.
(4) Lorenzer, »Zur Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffs«,
S. 68f.
(5) Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass sich Zepf
hauptsächlich auf die Publikationen Lorenzers vom Anfang der 1970er
Jahre bezieht und nicht gleichermaßen auf die kulturanalytischen
späteren Schriften, in denen die Thematisierung der präsentativen
Symbolik einen breiteren Raum einnimmt.
(6) Hier wären die Herausgeber gefordert gewesen, König zu
bestärken, sich – ähnlich wie es Nissen vorführt – auf einen
kleinen Ausschnitt des Therapieverlaufs zu beschränken, diesen dann
aber, dem eigenen Anspruch gemäß, konkret und in seiner
sinnlich-szenischen Qualität genauer zu thematisieren.