Rezension zu Übergangsobjekte und Übergangsräume
Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Bd. 36, 2017
Rezension von Carl Pietzcker
Michael Kögler, ehemaliger Leiter, und Eva Busch, derzeitige
Leiterin des Winnicott Instituts in Hannover, versammeln in diesem
Band Beiträge zum dortigen dritten Winnicott-Symposion; sie
umkreisen darlegend, einordnend und in ihrer therapeutischen wie
auch kulturanalytischen Anwendung demonstrierend die bei Winnicott
zentralen Konzepte des Übergangsobjekts und des Übergangsraums
sowie die mit diesen einhergehende Wende von der triebpsychologisch
intrapersonal ausgerichteten Psychoanalyse hin zu einer
intersubjektiv-relationalen. Übergangsobjekt – transitional object
–, das meint jenes subjektive Objekt, welches das Subjekt sich im
Gang der Entwicklung von Selbst- und Objektbildern und so von
Selbst- und Objektbeziehungen aus einem objektiv gegebenen Objekt
schafft, z.B. wenn das Kleinkind ein Tuch als Nuckeltuch nutzt, um
mit ihm die Anwesenheit der abwesenden Mutter illusionär zu
genießen, wohl wissend, dass dies ein Tuch ist und die Mutter
abwesend: ein Schritt hinaus in die Welt der Objekte und hin zur
Trennung zwischen ihr und den eigenen Phantasien. Übergangsraum –
potential space –, das meint zunächst jenen illusionären
Schutzraum, jenen Zustand, den Mutter und Kind, indem sie
aufeinander eingehen, sich gemeinsam erschaffen, einen Raum, in
welchem Subjektives und Objektives ineinander übergehen und sich
wieder trennen können. Er ist Modell späterer kultureller
Übergangsräume wie Kunst oder Religion, in denen es möglich ist,
von innerer zu äußerer Realität überzugehen und vice versa.
Michael Ermann und Martin Altmeyer wenden sich dem Übergang von der
klassischen Psychoanalyse zur relationalen Psychoanalyse zu:
Während die klassische Psychoanalyse als entscheidendes Movens
entwicklungsfördernder Veränderung die Einsicht durch Deutung
intrapsychischer Konflikte sah, liege für die relationale dies
Movens in der Gestaltung von Beziehungen. Ermann versteht in seinem
Beitrag »Intersubjektivität im Übergangsraum« die therapeutische
Situation als einen Übergangsraum, in dem sich im intersubjektiven
Feld beide, Analysand wie Analytiker, aufeinander beziehen und sich
vom Anderen als Objekt so benutzen lassen, dass sich ein Selbst
entwickeln kann. Dies schließe ein, dass sich der Analytiker
selektiv selbst enthülle und zulasse, dass der Analysand an ihm
Anteil nehme. Ermanns Übergang zu dieser Position war begleitet, so
zeichnet er es, vom Ringen um seine psychoanalytische Identität.
Altmeyer sieht in »Vom psychischen Apparat zur vernetzten Seele.
Die zeitgenössische Psychoanalyse im Übergangsraum zwischen Trieb-
und Beziehungsmodell« einen Paradigmenwechsel: die intersubjektive
Wende der Psychoanalyse hin zur Anerkennung der für Entwicklung und
Funktionsweise der Psyche konstitutiven Bedeutung sozialer
Beziehungen, eine Wende, die inzwischen alle Strömungen des
psychoanalytischen Pluralismus ergriffen habe. Während er dies
offensichtlich begrüßt, argumentiert er in aufklärerischer
Tradition gegen den »antiwissenschaftlichen Affekt« (S. 154) der
kleinianischen Schule, insbesondere Bions, des »Mystikers der
Psychoanalyse« (S. 155), und gegen deren therapeutischen Umgang mit
Intersubjektivität, wo sich lediglich zwei Monaden begegneten,
nicht aber Subjektivität sich aus Intersubjektivität entwickle.
Die Mehrzahl der Beiträger wendet sich aus der Perspektive
Winnicotts der Klinik zu. Angelika Staehle, für die der adoleszente
Prozess hin zum Identitätsempfinden eines intermediären
Möglichkeitsraums bedarf, stellt in »Sexualität und Identität in
der Adoleszenz« anhand eines Fallberichts solch einen Prozess als
therapeutischen dar. In »›Faith-in-0‹, der ›Übergangsraum‹ und der
Umgang mit der Unbestimmtheit des Todes« wirbt Ross A. Lazar mit
der Fallgeschichte einer sterbenskranken Krebspatientin und des von
ihm als Supervisor betreuten Krankenhausteams dafür, ›Faith-in-0‹,
diesen auf eine letzte absolute, jedoch nicht erkennbare Wahrheit
zielenden mystiknahen Begriff Bions, anzuerkennen. Mich hat er
nicht überzeugt. In seinem Aufsatz »Von der Mutter zum Vater. Die
Angst vor dem (ödipalen) Möglichkeitsraum bei vaterlosen Mädchen«
geht Frank Dammasch davon aus, dass Kindern – wenn sie sich
allmählich von der Umweltmutter lösen, nachdem sie sich bei ihrer
Subjektwerdung ein subjektives Objekt geschaffen haben –
schließlich der Vater als objektives Objekt entgegentritt. Dies sei
eine Voraussetzung dafür, einen entwicklungsfördernden triadisch
ödipalen Möglichkeitsraum zu schaffen. Was aber, wenn ein Mädchen
vaterlos aufwächst? Dem geht Dammasch in einer so anschaulichen wie
abstrahierenden übersichtlichen Darstellung der Therapie eines
neunjährigen vaterlosen Mädchens nach, das beim schwierigen
Übergang von der dyadischen Beziehung mit der Mutter hin zu der
ödipalen Welt des Vaterrepräsentanten diesen triadischen potential
space, zwischen Wunsch nach Nähe und Angst vor Verlassenheit
schwankend, zwar betreten konnte, ohne freilich den Therapeuten als
Vaterrepräsentanten bereits zu entidealisieren. Anita Burkhardt
stellt in ihrem anrührenden, auch literarisch ansprechenden Aufsatz
»Übergangsphänomene in der analytischen Behandlung eines
elfjährigen Jungen« dar, wie ein unter Selbstwertproblematik
leidender Junge abgewertete Selbstwertanteile in ein
Übergangsobjekt projiziert und dieses dann symbolisch zerstört und
wie er, im Übergangsraum zwischen äußerer Realität und Phantasie
spielend, seine Abwertung schließlich wahrnehmen und die äußere
Realität als objektiv gegeben anerkennen kann. In »›Ungeheuerlich‹.
Mit Winnicott durch die Welten von Milnes ›Winnie the Pooh‹ und
Wattersons ›Calvin & Hobbes‹« pendelt Ulrich A. Müller zwischen
(1.) der Therapie eines vierjährigen Mädchens mit Essstörungen, das
seine Mutter noch nicht zum objektiven Objekt machen konnte, (2.)
Winnicotts Theorie und (3.) jenen Kinderbüchern und Comics. In
seinem Pendelspiel wird deutlich, dass der Übergangsraum das
Ungeheuerliche, also die Destruktivität – Calvins Kuscheltiger
Hobbes – zulassen und den Weg zum Gang in die Welt – z.B. für
Winnie – bereiten kann. Die Beiträge von Grit Jahn-Jokschies und
Michael Kögler zeigen, dass Winnicotts Konzepte auch den Blick
hinaus aus dem Behandlungszimmer erlauben. Jahn-Jokschies begibt
sich in »Spielverderber – Von der Schwierigkeit, innere und äußere
Realität spielerisch zu erfahren« im Rahmen einer Studie über
Bindungsrepräsentationen und reflexive Kompetenz junger Straftäter
zu Interviews in eine Jugendstrafanstalt. An Auszügen der
Interviews mit einem Neunzehnjährigen arbeitet sie heraus, dass ihm
jener Abstand zwischen Gefühlen und objektiver Realität fehlte, wie
ihn erst ein intermediärer Raum möglich macht. Da für ihn innere
und äußere Welt identisch waren, konnte er Andere auch nicht als
von ihm getrennte Objekte wahrnehmen. Vorsichtig spekulierend sucht
Jahn-Jokschies von einer Säugling-Mutter-Therapie her anzudeuten,
wie es hierzu kommen konnte: durch schwache Repräsentation mentalen
Lebens und das Fehlen einer lebendig gelebten Triade in der
elterlichen Familie. Bedauerlicherweise fokussiert sie ihre
Ausführungen nur wenig auf das Thema des Bandes. In »Übergangsräume
bei verfeindeten Volksgruppen am Beispiel des Nah-Ost-Konflikts.
Täter-Opfer-Gruppen-Arbeit im Rahmen der Friedensinitiative FAB
(Friendship Across Borders)« bezieht Kögler das Konzept des
Übergangsraums auf Gruppen, ja Großgruppen. Diese bildeten im
Übergangsraum von dessen subjektivem Pol her ein Identitätsgefühl
von gemeinsamen Grundorientierungen aus und von dessen Realitätspol
her die objektive Wahrnehmung anderer Großgruppen. Fühle die
Großgruppe sich angegriffen oder gekränkt, könne es zu maligner
Regression hin zur Innenwelt kommen und so zu Hass auf die Anderen,
zur Externalisierung und Bekämpfung eigener Teilgruppen, zur
Identität von Gefühltem und Gedachtem und zu vereinheitlichter
Sichtweise von Gruppe und Einzelnem. Der Übergangsraum zwischen
Innen und Außen verschwände. Hierauf verweist Kögler mit den
Beispielen der Deutschen im Dritten Reich, der Hamas und der
ultraorthodoxen Juden in Israel. Im Bericht über ein einwöchiges
Seminar der FAB, in dem Palästinenser, jüdische Israelis und
Deutsche durch Anhören der Lebensgeschichten und so auch der
Geschichtssicht der Anderen zu lernen versuchten, mit den Augen
dieser Anderen sich und diese zu sehen, zeigt er, wie sich den
Teilnehmern nach Phasen, in denen sich Gefühl und
Wirklichkeitswahrnehmung deckten, wenigstens in Ansätzen ein
Übergangsraum öffnete, der es erlaubte, jene Entmenschlichung des
Gegners wieder aufzuheben, zu der die Regression der Großgruppen
geführt hatte.
In seinem den Band schließenden Beitrag »Vom Ganzwerden,
Ich-selber-Werden und In-der-Realität-Ankommen. Donald W. Winnicott
und Masud Khan« zeichnet Nikolaus Becker eine klare, kenntnisreiche
und kompetente Skizze von Winnicotts Leben und Denken. Er geht
davon aus, dass Grenzverletzungen, die Masud Khan sich in Analysen
zuschulden kommen ließ, Winnicott, dessen Lehranalytiker,
angelastet wurden: Er habe in Khans Analyse die Abstinenz nicht
aufrechterhalten und deshalb dessen Destruktivität nicht
analysieren können. Diesen Vorwurf nutzt Becker, um auf die
Eigenart des Therapeuten Winnicott hinzuweisen, der das Prinzip,
unbewusste Konflikte mit der Arbeit an Abwehr und Abgewehrtem
aufzudecken, weniger verfolgt habe, dafür aber umso mehr sein
Interesse an der therapeutischen Beziehung und der Nachentwicklung
von Integration (Ganzwerden), Personalisierung (Ich-selber-Werden)
und In-der-Realität-Ankommen (Realisierung). Von hier aus stellt er
Leben und Denken des Objektbeziehungstheoretikers Winnicott vor als
die eines Grenzgängers zwischen Innen- und Außenwelt, dessen ganzes
Werk darauf abziele, »mit dem potenziellen Raum etwas zwischen die
andrängende, schreckenerregende Innenwelt, der der Psychotiker voll
ausgeliefert ist, und die realistische kalt-rationale Außenwelt zu
stellen« (S. 195).
Mit der Vielzahl seiner Ansätze zeigt dieser Band, wie
unterschiedlich und fruchtbar sich von Winnicott her arbeiten
lässt. Spürbar wird aber auch die Gefahr, dass die Begriffe
Übergangsraum und Übergangsobjekt ohne scharfe Kontur beliebig
einsetzbar werden. Nötig wäre eine Theorie ihrer Ausdifferenzierung
im jeweiligen individuellen und gesellschaftlichen Prozess.