Rezension zu Musik und das ozeanische Gefühl
Musikerziehung, Jahrgang 69, Heft 1, März 2016
Rezension von Gerta Steinringer
Dieter Funke leuchtet verschiedene Dimensionen (v.d.
paradigmatischen und entwicklungspsychologischen über die
bewusstseinstheoretische, leibliche und ästhetische zur
perspektivischen und spirituellen) von psychoanalytischer
Forscherperspektive aus. – Drei Aufsätze des Herausgebers Bernd
Oberhoff weisen denselben erneut als kompetenten
Musikpsychoanalytiker aus: Der erste unter dem Titel »Im Reich des
schönen Wahnsinns«; Musik und symmetrische Logik bringt Surrealität
und das Symmetriekonzept von Matte-Blanco auf die Musik zur
Anwendung.
Die zweite minutiöse Analyse von »La Folia oder Die wogende Welle,
Arcangelo Corellis Violinsonate op.5, Nr.12. fördert in dieser
Untersuchung der Variationen unbewusste innere Realitäten zutage,
welche in einer »depressiven Position« enden. Seine dritte Arbeit
widmet Oberhoff Franz Liszts h-Moll Klaviersonate, in welcher er
(durch die zeitliche Nähe zur Faust-Symphonie) markante Motive als
Protagonisten eines Dramas auffasst mit dem Ergebnis: »Die
h-Moll-Sonate ist Liszts Eingeständnis, das wütende Hervorbrechen
des Grolls ausschließlich musikalisch darstellen und ausagieren, in
seinem mitmenschlichen Leben aber nicht besiegen zu können.«
(S.195) – Die aus dem Jahre 1810 stammende Rezension des vielseitig
begabten »Romantikers« E. T. A. Hofmann über L. v. Beethovens 5.
Symphonie bietet dem Leser einen reizvollen Kontrast zu den
Arbeiten unserer zeitgenössischen Forscher und Künstler.– Der
umfangreichste Beitrag stammt von einer Übersetzung aus dem
Englischen und thematisiert »Bedeutung, Träumen, Beziehung und
Bewusstseinsebenen in der Musikpsychotherapie«. Martin Lawes stellt
aus langjähriger praktischer Erfahrung und reicher
Literaturkenntnis sein persönliches Konzept von Musikpsychotherapie
dar und beruft sich z.B. auf einen grundsätzlichen Gedanken von
Bion, welcher das Erleben von Wahrheit als das wesentlichste
psychologische Bedürfnis des Menschen ansieht. Die überzeugende
Beschreibung der verschiedenen Bewusstseinsebenen und deren
komplizierte Prozesshaftigkeit wurden durch klare schematische
Abbildungen auf den Punkt gebracht. Eine Conclusio seiner Arbeit
lautet: »Während man sich dem (transpersonalen) Erleben öffnet,
wird die Getrenntheit vorübergehend transzendiert, was zu den
stärksten gesundheitsfördernden und transformativen Erfahrungen
zählt, die in der Musikpsychotherapie gemacht werden können.«
(S.157) – »Auf der Suche nach der Sphärenmusik« widmet sich den
Zusammenhängen zwischen Musik und Mathematik, literarisch
verarbeitet in Hermann Hesses »Glasperlenspiel«. Die
Kammertonproblematik und bahnbrechende Forschungsergebnisse des
Mathematikers und Harmonikforschers Hans Cousto wurden dargelegt.
Der Autor und Musiker Barnim Schultze verblüfft mit seinem Beitrag,
indem er die Quantenmusik der Wasserstoffatome als »sich selbst
komponierende Musik« bezeichnet und in seinem Projekt fühlbar
machen will, »was die Welt im Innersten zusammenhält«. (S171) – Die
Publikation schließt mit einem Essay des dt.
Literaturwissenschafters Ludger Lütkehaus: »Stille. Schweigen.
Musik.« Zahlreiche Beispiele komponierter Stille führen zu einem
Exkurs in die Philosophie des Nichts, Stille wird als das Prius der
Musik gesehen, um über die musikalische Pause als Stille auf Zeit
zu Stille als das »Post der Musik« überzuleiten. Ein faszinierendes
Schlusskapitel!