Rezension zu Laudato Si’
Gießener Anzeiger, 3. März 2017
Rezension von Stephan Scholz
Gießener Wissenschaftler verfasst »Band zur päpstlichen
Enzyklika«
GIESSEN – . Als Papst Franziskus im Juni 2015 seine zweite
Enzyklika »Laudato Si« veröffentlicht, horcht die wissenschaftliche
Welt auf. Auch Prof. Wolfgang George von der Technischen Hochschule
Mittelhessen (THM) nimmt sich die Schrift, die den deutschen Titel
»Über die Sorge für das gemeinsame Haus« trägt, vor. »Ich komme
selbst aus dem Gesundheitswesen und hatte eigentlich eine kritische
Reflexion geplant, die zu ähnlichen Einschätzungen wie die
Enzyklika gekommen wäre«, erzählt George im Gespräch mit dem
Anzeiger. Das Erscheinen des päpstlichen Textes habe die eigenen
Pläne dann aber überholt. Doch George hat auf die sogenannte
Umwelt- und Klimaschutzenzyklika des Papstes reagiert: Das Ergebnis
ist der Band »Laudato Si/' – Wissenschaftler antworten auf die
Enzyklika von Papst Franziskus«, der im Psychosozial-Verlag
erschienen ist.
Anstoß für Franziskus Werk sei die UN-Klimakonferenz 2015 in Paris
gewesen, vor der viele Experten die Angst gehabt hätten, dass es
erneut nicht zu einer Einigung kommt. Mit seinen in der Enzyklika
formulierten Überlegungen zu Klima- und Umweltschutz habe das
Kirchenoberhaupt, das den Klimaschutz mit sozialen Fragen zu einer
Sorge um das »gemeinsame Haus« verbindet, auf die Konferenz
Einfluss nehmen wollen. »Es geht in der Enzyklika um die globale
Situation«, erläutert der heimische Organisationswissenschaftler,
der eine Beteiligung der Akademie des Vatikans an dem Text
vermutet. Wissenschaftlich sei die Enzyklika nicht wasserdicht, sie
biete jedoch umfassende Anstöße für Forscher unterschiedlicher
Fachrichtungen. Dem trägt der Herausgeber in seinem Band Rechnung,
indem er zahlreiche Experten verschiedener Fächer wie
Betriebswirtschaftler, Historiker oder Biologen aus ihrer
jeweiligen Perspektive in 24 Beiträgen zu Wort kommen lässt. In
seinem Geleitwort meint Ernst Ulrich von Weizsäcker über die
Enzyklika: »Sie ist eine Art Zusammenfassung der vielen Kritiken an
der Naturzerstörung und den menschlichen Missständen, die diese
Zerstörung vorantreiben.«
Der Stimme des Papstes schreibt von Weizsäcker in diesem
Zusammenhang großes Gewicht zu. Und exaktes Arbeiten: Franziskus
habe die wissenschaftlichen Fakten sorgfältig betrachtet und
rational kombiniert. Dies führe zu einer klaren Haltung des
Heiligen Vaters: »Er kritisiert einen Wissenschaftsbegriff, dessen
Grundprinzip die Gewinnmaximierung ist und der sich von jeder
anderen Betrachtungsweise abkapselt. Und er mahnt eine Politik an,
die sich nicht unter das Finanzwesen und die Technologie
unterwerfen lässt.« Des Papstes Schrift sei eine Einladung zum
Dialog, gerade an die Wissenschaften, deren wahrheitssuchende
Tugenden die Enzyklika anerkennt.
»Ein besonderer Verdienst kommt der zweiten durch Papst Franziskus
vorgelegten Enzyklika auch deshalb zu, da der in ihr vollzogene –
über die katholische Kirche hinausreichende – Versuch einer
globalen und zugleich ›universellen Blickführung‹ sich als
zukünftig wertvoll und heuristisch erweisen könnte«, analysiert
George selbst im Vorwort seines Bandes. Der
Organisationswissenschaftler, der den TransMit-Projektbereich
Versorgungsforschung und das Medizinische Seminar George in Gießen
leitet, erläutert, dass sich die päpstliche Schrift wie Bekenntnis
und Aufruf zugleich lese.
In den Einzeldisziplinen umfasse der Text für die Wissenschaft
selbst wenig Unerwartetes: Eine Schwäche macht der Papst dagegen im
fehlenden Zusammenführen und Reflektieren von Erkenntnis aus.
George: »Das Timing der Enzyklika-Veröffentlichung im Juni 2015
hätte kaum günstiger ausfallen können. Ihr positiver Einfluss auf
die Ratifizierung des im anschließenden Herbst verabschiedeten
Pariser Klimaabkommens gilt als sicher. Nun wird es im Wesentlichen
darauf ankommen, ob die inhaltliche Substanz und die
Anregungsqualität von ›Laudato Si‹ geeignet sind, weitere Wirkung
in Politik, Wissenschaft, Gesellschaft und der Kirche erzielen zu
können.«
In den einzelnen Beiträgen nimmt der jetzt erschienene Band das
päpstliche Werk genau unter die Lupe. So befasst sich etwa der
Germanist Wolfgang Beutin mit sprachlichen und rhetorischen Mitteln
der Enzyklika. Der physikalische Ozeanograf Martin Visbeck steuert
sein Kapitel »Der Ozean im Wandel« bei, um dabei auch
völkerrechtliche Konzepte zum Schutz der Meere unter die Lupe zu
nehmen. Volkswirt Andreas Suchanek lässt sich vom Papst zu seinem
Beitrag »Die Bedeutungen der Ordnungen des Handelns und der
Kommunikation« und einem Plädoyer für eine »notwendige
Vertrauenskultur« inspirieren.