Rezension zu Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit
Niedersächsisches Ärzteblatt 1/2017
Rezension von Paul Kokott
Globalisierung als Grenzerfahrung
Strenger,Carlo: Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit
Ein zweifellos interessantes, ob der Fülle an Fakten und des
behandelten Stoffes schwierig zu rezipierendes, anspruchsvolles
Buch, das sich grundsätzlichen Fragen über den Sinn, das Wesen und
die Bedeutung des menschlichen Lebens in unserer Zeit widmet. Als
Psychotherapeut analysiert der Autor vom Standpunkt der
existenziellen Psychologie die menschlichen Bedürfnisse in der
Gewissheit seiner Endlichkeit, die daraus erwachsenen Folgen und
geistigen Anforderungen menschlichen Lebens und setzt sich u.a. mit
Religion und Weltanschauungen kritisch auseinander. Die
existenzielle Psychologie hat gezeigt, wie tief im Menschen das
Bedürfnis verankert ist, wichtig zu sein, als einzelner Bedeutung
zu haben und in dem Gefühl zu leben, dass das eigene Dasein in
dieser Welt einen wesentlichen Zweck hat. Unsere langfristige
Selbstschätzung hängt davon ab, ob wir in dem kulturellen Rahmen,
in dem wir uns bewegen, geschätzt und geachtet werden – von dem
Wissen, dass das, was wir sind und was wir tun, anerkannt und
geschätzt wird. Das Buch widmet sich u.a. der Frage, ob das Streben
nach Ruhm und Reichtum ein sinnerfülltes Leben garantiert oder
vielmehr die dadurch bedingte Kommerzialisierung des Ichs des Homo
Globalis dies verhindert. Die Ideologie des »Just do it« (JDI), so
eine zentrale These des Verfassers, hat es uns nahezu unmöglich
gemacht, das Gefühl zu entwickeln, das wir ein sinnerfülltes Leben
führen, denn sie verleugnet, dass das menschliche Leben notwendig
mit »Grenzerfahrungen« konfrontiert ist. Das Konzept des
ontologischen Prozesses der Subjektivität impliziert, dass der
Protest des Menschen gegen Vergänglichkeit und Endlichkeit die
Quelle aller spezifisch menschlichen Schöpfungen ist. Eine der
wichtigsten Funktionen kultureller Glaubenssysteme ist es, uns vor
dem Bewusstsein unserer Sterblichkeit zu schützen. Das Bewusstsein
unserer globalen Verbundenheit wird uns vielleicht auch dazu
bringen, dass wir eine Koalition mit all denjenigen eingehen, die
bereit sind, ihre stammesgeschichtliche Vergangenheit zu überwinden
und für eine offene Weltsicht einzutreten. Denn nur eine offene
Weltsicht ermöglicht jene Form des Zusammenlebens und der
Kooperation, die Voraussetzung sind für das überleben der
Menschheit.
Paul Kokott
www.haeverlag.de