Rezension zu Sexualität und Autismus (PDF-E-Book)
Zeitschrift für Sexualforschung
Rezension von Viktoria Märker
Dem bisher wenig beforschten Zusammenhang zwischen Sexualität und
Autismus widmet sich die Diplom-, Heil- und Behindertenpädagogin
Lena Lache in ihrem Buch »Sexualität und Autismus« und legt dabei
den Fokus auf Kommunikation und sexuelle Entwicklung.
Im ›ersten Kapitel‹ beschreibt die Autorin die
Autismus-Spektrum-Störung mit ihren Symptomen im Hinblick auf
soziale Interaktion, Sprache, Kommunikation und Interessen. Der
geschichtliche Rückblick und der Vergleich der Diagnosesysteme
ICD-10, DSM-IV und -5 erleichtern das Verständnis für den Begriff
des Autismus (der in der Vergangenheit in verschiedenen
Bedeutungszusammenhängen benutzt wurde). Auch die aktuellen
Theorien zur Ätiologie, z. B. Genetik oder ›Theory of Mind‹, werden
gut lesbar beschrieben. Im ›zweiten Kapitel‹ stehen neben
Kommunikation im Allgemeinen Hilfen für autistische Menschen im
Besonderen im Vordergrund. Es werden technische Hilfsmittel
beschrieben, die sich an Menschen ohne oder mit stark
eingeschränkter Verbalsprache richten. Neben der Beschreibung der
»Unterstützten Kommunikation« wären hier allerdings auch Hinweise
auf die psychotherapeutische Behandlung von ›high functioning‹
Autisten/innen angebracht. Im ›dritten Kapitel‹ wendet sich die
Autorin der psychosexuellen Entwicklung zu. Leider nimmt sie dabei
vor allem auf das psychoanalytische Phasenmodell Bezug, das für das
Verständnis und die Behandlung sexueller Störungen autistischer
Menschen wenig geeignet ist. Hier wären aktuellere Theorien besser
geeignet, wie zum Beispiel die der intrapsychischen Skripte (John
Gagnon) oder der Bedürfnis-, Körper-, Beziehungs- und
Geschlechtergeschichte (Gunter Schmidt). Damit lassen sich die
möglichen sexuellen Probleme autistischer Menschen wesentlich
leichter verstehen. Das ›vierte Kapitel‹ geht auf die Bedeutung der
Kommunikation für die sexuelle Entwicklung ein. Hier führt die
Autorin den eher ungebräuchlichen Begriff der ›Sexualisation‹ ein,
der die Eingliederung des Individuums aufgrund sexueller
Lernprozesse beschreibt. Es werden Beispiele für die Arbeit mit
Piktogrammen (verschiedener Anbieter) gezeigt. Dieses Kapitel
bezieht sich eher auf die konkrete Arbeit mit jungen, stärker
beeinträchtigten Menschen. Die Besonderheiten in sozialen
Interaktionen, Sprache und Interessen werden ausführlich
beschrieben, leider aber selten in Verbindung mit sexuellem
Verhalten betrachtet. Auch findet gelebte Sexualität kaum
Erwähnung.
In ihrem ›Resümee‹ macht die Autorin deutlich, dass sich ihr Buch
vor allem an Angehörige und Betreuer/innen von stärker
hilfsbedürftigen Menschen richtet. Den Bedürfnissen selbstständig
lebender autistischer Menschen nach Sexualberatung und/oder
-therapie wird dagegen wenig Rechnung getragen.
Das vorliegende Buch ist als Einstieg zu empfehlen – vor allem im
Hinblick auf die Lebenssituation stark beeinträchtigter
Autisten/innen. Das sehr lesenswerte Buch weckt Interesse am Thema,
auch wenn die im Titel genannte Sexualität ein wenig zu kurz
kommt.