Rezension zu Der andere Mann
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Rezension von Markus Chmielorz
Manchmal ist das Andere nur mehr vom Selben
Rezension zu:
Josef Christian Aigner (Hg.): Der andere Mann
Im Psychosozial-Verlag liegt ein Sammelband vor, der zwölf Aufsätze
von 13 Autoren umfasst. Herausgeber ist Josef Christian Aigner,
1953 geboren und seit 2005 Professor für Psychosoziale Arbeit und
Psychoanalytische Pädagogik an der Universität Innsbruck, sowie
Leiter des Instituts für Psychosoziale Intervention und
Kommunikationsforschung. Er ist Psychologe, Psychoanalytiker und
Psychotherapeut für Sexual- und Paartherapie. Der jüngste Autor,
Gerald Poscheschnik ist 1978 geboren, Psychologe und arbeitet am
selben Institut der Universität Innsbruck. Die beiden ältesten
Autoren, Peter Stöger und Eduard Waidhofer sind 1947 geboren, der
eine lehrt seit 1985 Erziehungswissenschaften an der Universität
Insbruck und seit 2011 in der Ausbildung für das Lehramt Islamische
Religion, der andere ist Klinischer und Gesundheitspsychologe,
Psychotherapeut, Männerberater, Supervisor und Trainer. Damit
bilden diese drei Autoren das gesamte Spektrum des Buches im Sinne
eines wechselseitigen Theorie-Praxis-Bezuges ab. Die Fragen, die
sich die Autoren stellen, drehen sich darum, was Männlichkeit heute
bedeutet: »Wie kann eine konstruktive Männerpolitiik heute
aussehen? Mit welchen aktuellen Umbrüchen und Schwierigkeiten haben
Männer zu kämpfen?« (Cover-Text) Ganz dem Anspruch der
Emanzipationsbewegungen der Moderne verpflichtet, verknüpfen die
Autoren ihre Arbeit also mit einem Anspruch von öffentlichem
Handeln, mit gesellschaftspolitischen Forderungen.
Die hier versammelten Aufsätze beleuchten
entwicklungspsychologische Aspekte (Reinhard Winter: Der werdende
Mann), biographisch-narrative Aspekte (Ivo Knill: Der erzählte
Mann), Aspekte der Geschlechtsrolle (Helmut de Waal: Der Vater-Mann
und Hans-Geert Metzger: Der strukturierte Mann),
berufssoziologische Aspekte (Josef Christian Aigner und Gerald
Poscheschnik: Der andere Job), Aspekte der seelischen Gesundheit
(Eduard Waidhofer: »Männer leiden anders«), politische Aspekte
(Markus Theunert: Die andere Geschlechterpolitik), Bildungsaspekte
(Hans Prömper: Vom Glück, ein Anderer zu sein), sowie
theologisch-spirituelle Aspekte (Peter Stöger: Geist und Geistin
und Johannes Berchthold: Das Andere in uns).
Die Autoren geben einen Einblick in das, was in gewisser Weise
parteiliche Männerarbeit genannt werden könnte. Dem Vorwort ist ein
Zitat von Matthias Franz vorangestellt: »Das Männliche ist von
Geburt an das immer schon andere, das von Beginn an infrage
stehende, das strukturell krisenhafte Geschlecht.« (S. 7) Dieses
Zitat zeigt das Erkenntnisinteresse des Bandes an und nimmt vorweg,
in welcher Weise der Herausgeber das andere des alternativen Blicks
zu dem einen, nämlich »Männer als ›miserables Geschlecht‹« (ebd.),
in Beziehung setzt. Damit wird eine Haltung des Entgegen benannt,
die den ganzen Band durchzieht. Deutlich wird das vor allem in der
Kritik des Herausgebers an »Gendertheorie« und
»Sozialkonstruktivismus« (S. 26) und wenn er spricht von einer
»Neigung, die Geschlechtsunterschiede für unbedeutend zu erklären
oder sie durch kaum enden wollende Zahl von transsexuellen,
transidenten und intersexuellen Besonderheiten ersetzen zu wollen«
(ebd.). Aigners Argumentation erinnert an das Dramadreick: Männer
als Täter, Männer als Opfer, Männer als Retter. Ein Blick auf die
benachbarte Disziplin der historischen Familiensoziologie könnte
hier helfen, den Kontext zu beleuchten, in dem überhaupt
Zuschreibungen von weiblich und männlich als quasi-natürlich
verstanden werden konnten.
Dass für Erziehung, Beratung und Therapie gilt, es möge weniger
Leid sein, versteht sich auch aus der aufklärerischen Haltung der
Moderne mit ihrem dem Postulat von Mündigkeit. Dass dafür eine
Abwertung konstruktivistischer Ansätze notwendig sein soll,
erscheint nicht einleuchtend. Wenn der Herausgeber des Bandes in
Bezug auf Geschlechtlichkeit »wichtige, unleugbare
›Bio‹-Unterschiede« (S. 29) betont, dann sei an Humes Gesetz
erinnert, nach dem nicht vom Sein aufs Sollen geschlossen werden
könne. Insofern kommt in diesem Band dem narrativen Ansatz von Ivo
Knill noch eine weitere Bedeutung hinzu, indem er Erzählungen als
biographische Konstruktion in einem bestimmten Kontext anbietet und
diese so einer Reflexion zugängig macht. Gleiches gilt für den
Beitrag von Eduard Waidhofer, der herausarbeitet, wie
»Doing-Gender« im weiteren und »Doing-Masculinity« im engeren Sinne
zur Regulierung von Emotionen und damit auch zu Lebenskrisen,
psychischen Belastungen und psychischen Erkrankungen beitragen und
vom Kontext der bürgerlichen Familie und deren normativen
Vorstellungen von Geschlechtsrollen und Sexualität bestimmt
sind.
Als Praxisbericht bieten die Aufsätze eine Quelle für die
Diskussion um Männlichkeiten (im Plural, z. B. unter
generationenspezifischen Aspekten) heute. Auf der Ebene der
Theoriebildung bleiben sie, systemisch gesprochen, bloß Beobachtung
erster Ordnung, wo Beobachtung zweiter Ordnung notwendig wäre: Es
fehlt eine Analyse, die die vier Dimensionen von Geschlechtlichkeit
(biologisches Geschlecht, Geschlechtsrolle, Geschlechtsidentiät und
sexuelle Identität) in den Blick nimmt und wie daraus (Hetero-)Norm
und Abweichung konstruiert werden und Homo- und Transnegativität
entstehen.
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