Rezension zu Mit vereinten Kräften
feministische studien. Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, Nr. 2/2015
Rezension von Mechthild Veil
2013 erschien Sibylle Plogstedts umfassende Darstellung zur Arbeit
der Frauen im DGB seit Beginn des DGB bis 1990 (vgl. feministische
Studien 1/14, 159ff.). Jetzt liegt der zweite Band vor, der den
Zeitraum von der Wiedervereinigung bis 2010 umfasst und den Fokus
auf die Gleichstellungsarbeit der Gewerkschaftsfrauen aus Ost- und
Westdeutschland legt. Im Mittelpunkt steht der Aufbau des DGB in
den neuen Bundesländern, den Gewerkschafterinnen aus beiden Teilen
Deutschlands mit »vereinten Kräften« unterstützt haben. Plogstedt
untersucht die Auswirkungen dieses historischen Prozesses, der mit
Hoffnung und Neugier verknüpft war, aber auch mit Enttäuschungen
darüber, wie wenig es gelungen ist, Frauenrechte und -strukturen
innerhalb der Gewerkschaften und in der Gesellschaft insgesamt zu
verankern oder auszuweiten: Frauen aus Ost und West hatten
erwartet, stärker von der Einheit zu profitieren.
Wie bereits im ersten Band bettet die Verfasserin die
DGB-Frauengeschichte in die Zeitgeschichte ein: Es geht um die
deutsche Einheit und die Gewerkschaften, die Krise der Gewerkschaft
und den Zusammenschluss von Einzelgewerkschaften, schließlich die
Selbstbehauptung der Frauen mithilfe der Quote. Auch diese Arbeit
beruht auf Interviews mit führenden Gewerkschafterinnen und auf
Material aus den DGB-Archiven (z.B. Protokolle der
Bundesfrauenkonferenzen). Zusätzlich zu den Einzelinterviews wurden
vier Gruppeninterviews zur Sicht ostdeutscher Gewerkschafterinnen
auf den Einigungsprozess, zur Selbsteinschätzung von Betriebs- und
Personalrätinnen in Ost und West, zu Erfahrungen von
Streikführerinnen und Berichten von Leiterinnen der Abteilung für
Frauen und Gleichstellung durchgeführt. Unter den Interviewten
finden sich bekannte Namen ehemaliger (stellvertretender)
Vorsitzender von Mitgliedsgewerkschaften wie Monika Wulf-Mathies
(ÖTV); Britta Naumann (Arold, GEW); Margret Mönig-Raane (HBV) u. a.
Ergänzend hat Plogstedt einzelne Gewerkschafterinnen porträtiert –
neben Ursula Engelen-Kefer, die durch ihre kritische Einstellung zu
den Arbeitsmarktreformen (Hartz IV) bekannt geworden ist – vor
allem Frauen aus Ostdeutschland. Diese Montage aus Interviews,
Biografien und Quellenmaterial ermöglicht es, neben den
strukturellen Veränderungen auch subjektive Sichtweisen deutlich zu
machen. »Die Einheit der Gewerkschaften beginnt im Osten«, stellt
Plogstedt gleich zu Beginn fest. Die DGB-Frauen im Westen wurden,
wie viele andere auch, von der friedlichen Revolution in der DDR
überrascht. Sie brauchten eine Weile, um den bürokratischen Trott
einer großen Institution zu durchbrechen. Noch ein halbes Jahr nach
dem Fall der Mauer fehlte die politische Umwälzung auf der Agenda
der Gewerkschaft, so dass erst kurz vor dem 14.
DGB-Bundeskongresses im Mai 1990 die Tagesordnung umgestellt wurde,
um Zeit für eine Diskussion über das Ende der DDR zu finden. Erst
allmählich erfolgte ein Tempo-wechsel und die erste gesamtdeutsche
Frauenkonferenz konnte fünf Tage nach der Einheit stattfinden. Der
gewerkschaftliche Organisationsaufbau Ost wurde Ende 1991, Anfang
1992 abgeschlossen. Es ist beeindruckend, wie Plogstedt die
Erfahrungen der Frauen aus Ost und West vor und nach der Wende
sowie beim Aufbau einer gemeinsamen Gewerkschaft lebendig werden
lässt: Direkt nach der Wende haben Gewerkschafterinnen aus Ost und
West zusammen gearbeitet, trotz der Asymmetrie in Wissen über
Kapitalismus, Management und Strukturen innerhalb der
Gewerkschaften, die es im FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund)
nicht gab. Eine Ost-Gewerkschafterin beschreibt den
gewerkschaftlichen Vereinigungsprozess als ein Hinübergehen in den
Westen. »Wir sind eingenommen worden. Aber nicht in böser Absicht,
sondern in guter Absicht« (65). Schnell prallten jedoch die
unterschiedlichen sozialen Realitäten und Gleichstellungskonzepte
aufeinander. Umstritten waren Schutzforderungen, wie das
Nachtarbeits-verbot für Frauen im Westen und Quoten (in den
Gewerkschaften und in Aufsichtsräten). West-Frauen hofften, einige
soziale Errungenschaften der Ost-Frauen, wie das Recht auf
Abtreibung, auf Arbeit und Kinderbetreuung auch für sich
durchsetzen zu können. Es dauerte eine Weile, bis Ost-Frauen die
Notwendigkeit der im Westen so hart erkämpften
Frauenfördermaßnahmen erkannten und für sich zu nutzen bereit
waren. Dann aber zeigten sich die negativen Folgen einer lediglich
deklarierten Gleichstellung, die in Ungleichheit endete. Es blieb
und bleibt den Frauen überlassen, Zustände, die Frauen
diskriminieren, zu skandalisieren. Ein trauriges Beispiel hierfür
ist die Lohndiskriminierung in ihrer deutschen Ausprägung – mit
einem im europäischen Vergleich großen gender-pay-gap – die
ausführlich behandelt wird. Selbst Gewerkschaftsfrauen scheinen mit
der Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit nur
schwer mobilisiert werden zu können. Im Einigungsprozess fiel
jedoch auch das Sozialstaatsgebot der DDR-Verfassung und es wurde
die Chance vertan, soziale und gleichstellungspolitische Rechte auf
Gesamtdeutschland auszuweiten (mit Ausnahme der Erweiterung des
Gleichstellungsgebots in Art. 3 des Grund-gesetzes durch Einführung
positiver Fördermöglichkeiten) .
Im Auf und Ab der Mitgliederzahlen des DGB seit der Wende spiegeln
sich neben der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung auch
enttäuschte Erwartungen vieler Frauen-Ost wider, die sich von einer
Mitgliedschaft in einer DGB-Gewerkschaft die Vermittlung von
Arbeitsplätzen erhofften. 1990/91 strömten Millionen in die
West-Gewerkschaften, so dass diese von 7.861.120 Mitgliedern vor
der Einheit 1991 auf 11.800.412 angewachsen waren; die IG Metall
z.B. verzeichnete nach der Einheit den höchsten Zuwachs an Frauen.
Auf diesen Aufschwung folgte 1993 die Krise. Ein Großteil des
Zugewinns an Mitgliedern ging wieder verloren. Die Autorin geht
ausführlich auf das Krisenmanagement des DGB ein, der sich durch
Fusionen kleinerer, von der Insolvenz bedrohter Gewerkschaften zu
größeren Einheiten wie z.B. der neu gebildeten
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di finanziell stabilisieren konnte.
Aus diesem Prozess gingen Frauen gestärkt hervor, sie konnten
Frauenthemen bündeln und Frauenstrukturen ausbauen, unter anderem
weil sie Kriterien entwickelt hatten, bei deren Nichterfüllung sie
drohten, gegen eine Fusion zu stimmen.
Die häufig negativen Erfahrungen in der Gleichberechtigungspolitik
werden an zahlreichen Initiativen seit der Wende expliziert. Den
DGB-Frauen ist es z.B. nicht gelungen, das Ehegattensplitting
abzuschaffen. Eine weitere Niederlage mussten sie bei dem Versuch
hinnehmen, ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft
einzuführen, wie es der Koalitionsvertrag der rot-grünen
Bundesregierung vorgesehen hatte. Der unter Federführung von Heide
Pfarr 2001 ausgearbeitete Entwurf scheiterte jedoch am Widerstand
der Arbeitgeber, dem die rot-grüne Bundesregierung nichts
entgegenzusetzen wusste. Die Gewerkschaften waren in den
Verhandlungsprozess noch nicht einmal ein-bezogen worden. In der
Quotenfrage allerdings konnten Gewerkschaftsfrauen langfristig
Erfolge erzielen. Es gelang ihnen, mit Hilfe der Frauenausschüsse
als Pressuregroup, zunächst (1992) in der damaligen ÖTV mit der
Vorsitzenden Monika Wulf-Mathies eine verbindliche Quote
durchzusetzen, die nach und nach in allen Mitgliedsgewerkschaften
erkämpft werden konnte. Eine Frauenquote konnte auch in dem 2005
reformierten Betriebsverfassungsgesetz durchgesetzt werden.
Daraufhin stieg der Anteil der Frauen in den Gewerkschaften und
unter den Delegierten zu den DGB-Bundeskongressen. Auch in den
industriellen Aufsichtsräten waren Frauen immer häufiger vertreten.
Erst durch die Einführung innergewerkschaftlicher Quoten wurden
Frauen – so die Autorin – zu Gewinnerinnen der Einheit, nachdem sie
unmittelbar nach der Wende, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit,
zunächst zu den Verliererinnen zählten.
Die Studie stellt eine wichtige Ergänzung zu dem ersten Band dar.
Die gewerkschaftliche Geschichtsschreibung hat bisher den Anteil
der Frauen als Reformmotor in der Gewerkschaftsbewegung sträflich
vernachlässigt. Die beiden zeitlich dicht aufeinander folgenden
Untersuchungen von Plogstedt sind deshalb just in time erschienen –
als ein Beitrag gegen den neoliberalen anti-gewerkschaftlichen
Trend. Sie sind nicht nur für Gewerkschafter und
Gewerkschafterinnen als Standardwerk unerläßlich, sondern sind auch
für diejenigen, die sich mit Gleichtellungspolitiken beschäftigen
und frauenpolitisch etwas bewegen wollen, von hohem Interesse.
Mechthild Veil
Mechthild Veil, » Sibylle Plogstedt: Mit vereinten Kräften«; in:
Evelyn Annuß, Sabine Kalff, Gabriele Jähnert, Regine Othmer (Hg.),
feministische studien, Heft 2, 2015, Stuttgart: Lucius & Lucius
Verlagsges. mbH, 2015, S. 353 – 355.