Rezension zu Unterwegs zur funktionierenden Gruppe (PDF-E-Book)
Themenzentrierte Interaktion, 30. Jahrgang, Heft 2, Herbst 2016
Rezension von Gesa Bertels
Eine »funktionierende« Gruppe, hier verstanden als eine lebendige
und produktive Gruppe, die gemeinsam an einem verbindenden Thema
arbeitet, entsteht nicht von allein. Um soziales Lernen und
persönliche Entwicklung in einer Gruppe zu fördern, bedarf es
einer Gruppenleitung, die über spezifisches Wissen und
entsprechende Leitungskompetenzen verfügt. Eine Hilfestellung
bietet hier die Themenzentrierte Interaktion. Wie
Gruppenleiter/-innen mit ihrer Hilfe Prozesse derart gestalten
können, dass aus einem Zusammenkommen mehrerer Individuen eine
arbeitsfähige Gruppe wird, beschreiben Angelika und Eike Rubner in
diesem Buch.
Die Autorin und der Autor sind ausgewiesene Experten in der
Themenzentrierten Interaktion. Als Lehrbeauftragte des Ruth Cohn
Institute International leiten sie seit vielen Jahren
TZI-Ausbildungskurse. Ihren professionellen Hintergrund bildet
zudem insbesondere die Psychologie. Dr. Angelika Rubner ist Dipl.-
Psychologin, Klinische Psychologin, Psychologische
Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin. Dr. Eike Rubner ist
Evangelischer Theologe, Klinischer Psychologe, Psychologischer
Psychotherapeut und Psychoanalytiker. Beide arbeiten gemeinsam in
freier Praxis in Nußdorf bei München, wo sie u.a.
Kriseninterventionen und Supervisionen durchführen.
Ihr Buch ist in vier inhaltliche Abschnitte gegliedert. Im ersten
Teil werden Grundkenntnisse über »Das Individuum und die Gruppe«
vermittelt. Nach zwei sehr allgemeinen Kapiteln zu den
Wechselwirkungen zwischen Anlage und Umwelt und zur Pluralität des
Menschen im Allgemeinen wird es für Gruppenleitungen vor allem
interessant, wenn der Fokus auf die Gruppe und ihre
psychodynamischen Prozesse gerichtet wird. Bereits in diesem
ersten, einführenden Kapitel finden sich mehrere Fallbeispiele,
die die theoretischen Ausführungen für die Leserschaft fassbarer
machen.
Es folgt im zweiten Kapitel eine Übersicht über »Die
Themenzentrierte Interaktion (TZI)«. Ausgehend von der
Lebensgeschichte Ruth Cohns werden die Grundlagen und das Konzept
der TZI sowie ihre Anwendungsmöglichkeiten und das »Ruth Cohn
Institute for TCI – international« dargestellt. Auf ca. 20 Seiten
wird hier eine zugleich kompakte wie wissensreiche und informative
Zusammenstellung der TZI geboten.
Das dritte Kapitel beinhaltet »Figur-Hintergrund-Phänomene«, ein
Begriff aus der Gestalttherapie, der z.B. Übertragung und
Gegenübertragung, Projektion, Wiederholung, Ängste, Widerstände,
Störungen und Krisen umfasst. Hier kommt spürbar der
psychoanalytische Hintergrund des Autorenteams zum Tragen. Dies ist
auch der Fall, wenn ein eigenes Kapitel dem Thema Träume und
Traumdeutung gewidmet ist. Die Autorin und der Autor nutzen beide
die Traumdeutung als regelmäßiges Element ihrer Arbeit mit
Gruppen. Auch bei anderen TZI-Leiterinnen und -Leitern kommt dieses
Instrument vor, ist jedoch kein fester Bestandteil der
Gruppenleitung nach TZI. Wer nun aber denkt, dass man ja vielleicht
auch einen psychoanalytischen Hintergrund für die Einbeziehung von
Träumen in die Gruppenarbeit benötigt, der erfährt hier
einerseits, welche Funktion Träume und ihre Deutung im
Gruppenprozess haben und erhält zugleich eine hilfreiche,
kleinschrittige Struktur, wie dies in der Praxis aussehen kann (s.
S. 95/96).
Im vierten, umfangreichsten Kapitel steht schließlich das von
Angelika und Eike Rubner entwickelte, mittlerweile sechs Phasen
umfassende Modell der Entwicklungsphasen in Gruppen im Mittelpunkt.
Es werden Spezifika ihres Modells gegenüber anderen benannt, wobei
hier z.B. die Abgrenzung zu dem besonders verbreiteten Modell von
Tuckman (Forming, Storming, Norming etc.) unterbleibt. Die sechs
Phasen werden mit ihren jeweiligen Kennzeichen, Möglichkeiten und
Herausforderungen geschildert und abschließend übersichtlich in
einer tabellarischen Übersicht zusammengefasst.
In der Gesamtschau erscheint es irgendwie einfach schlüssig und
sinnvoll, dass dieses Buch erscheint. Zu vielen einzelnen Aspekten
der Gruppenleitung nach TZI, den Phänomenen einer Gruppe und
natürlich insbesondere den Entwicklungsphasen hat das
Autorenehepaar in der Vergangenheit Artikel verfasst. Aufmerksame,
regelmäßige Leserinnen und Lesern dieser Fachzeitschrift werden
einige Beiträge wiedererkennen. Diese Neuerscheinung bringt diese
einzelnen Beiträge nun in einen Gesamtzusammenhang, stellt
Verbindungen her, füllt Lücken. Viele Beispiele aus der
langjährigen Praxis des Autorenpaars als Gruppenleiter/-in
konkretisieren die theoretischen Ausführungen auf anschauliche Art
und Weise. Was leider an manchen Stellen unterbleibt, ist die
Auseinandersetzung mit weiterer, externer Literatur. Die
Auseinandersetzung der von beiden professionell reflektierten
eigenen Praxis mit Beobachtungen und Ergebnissen aus Wissenschaft
und Forschung hätten dem Buch ein breiteres Fundament und
vielleicht auch noch neue Impulse geben können.
Ein Buch, das mindestens unter TZI-Interessierten sicherlich viele
Leser/-innen finden wird. Gerade für die Ausbildung in TZI
erscheinen vor allem die Kapitel 2, 3 und 4 wertvoll. Aber auch
über den engeren TZI-Kontext hinaus bekommen Menschen, die in
ihrer haupt- oder nebenberuflichen Praxis oder auch im Rahmen eines
freiwilligen Engagements in und mit Gruppen arbeiten, in diesem
Buch viele Anregungen, Hilfestellungen und Möglichkeiten, das
eigene Verhalten zu reflektieren.