Rezension zu Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus
Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 28 (2016)
Rezension von Ann Andrea Petzel
Buchbesprechung
Andreas Zick/Beate Küpper (Hrsg.), Wut, Verachtung, Abwertung.
Rechtspopulismus in Deutschland, Bonn 2015 (Verlag J.H.W. Dietz
Nachf.), 220 S.
Oliver Decker/Johannes Kiess/Elmar Brähler (Hrsg.),
Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus, Gießen
2015 (Psychosozial-Verlag), 208 S.
Die Frage, wie sich PEGIDA und der neue Populismus in Deutschland
sozialwissenschaftlich untersuchen lassen, treibt seit deren
Gründung im Jahr 2014 viele Wissenschaftler um. Das Novum dieser
Protestbewegung stellt alle bisherigen Forschungen und ihr
methodisches Werkzeug vor enorme Herausforderungen, denen sich die
Autoren mit ganz unterschiedlicher Herangehensweise nähern.
Als Ausgangspunkt ihres Sammelbandes »Wut, Verachtung, Abwertung«
wählen die Autoren Daten der im Jahr 2014 von der
Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Studie Fragile Mitte –
Feindselige Zustände, die sie unter neuen Gesichtspunkten
empirisch untersuchen. In dieser Studie wurden zwischen Juni und
August 2014 2000 zufällig ausgewählte Bürger telefonisch
befragt. Der Sammelband stellt eine empirische Ergänzung der
Studie dar und versucht die enorme Dimension von Wut, Verachtung
und Abwertung, welche zumindest in Teilen der deutschen
Bevölkerung vorhanden ist, greifbar werden zu lassen. Dass die
politische Mitte fragil ist, dabei menschen- und
demokratiefeindliche Orientierungen aufweist, untersucht und belegt
die Friedrich-Ebert-Stiftung seit 2006. Der Befund überrascht
daher wenig. Die genannten Phänomene, die sich teilweise in einer
feindseligen und gewaltbereiten Stimmung akkumulieren, werden aber
gänzlich neu betrachtet. Die Akteure benutzen ihre Wut, ihre
Verachtung und Abwertung – mitunter versteckt als Sorgen und
Ängste –, um menschenverachtene Einstellungen gegenüber den als
fremd Gebrandmarkten in der Gesellschaft zu festigen. Besondere
Aufmerksamkeit verlangt dabei der Beitrag »Sozialschmarotzer – der
marktförmige Extremismus der Rechtspopulisten« von Andreas
Hövermann, Eva Groß und Andreas Zick. Die Autoren spüren den
negativen Auswirkungen einer harten Kosten-Nutzen-Analyse für
unser soziales Zusammenleben nach, welche Vorurteile, Stereotype
und Ungleichwertigkeitsideologien bedienen. Dies wird besonders in
der gesellschaftlichen Unterscheidung zwischen ökonomisch
wertvollen und weniger nützlichen Einwanderern deutlich.
Zentraler Befund des Bandes ist, dass diese Stimmungen nicht nur
bis in die gesellschaftliche Mitte reichen, sondern darüber hinaus
nachhaltig unsere Zivilgesellschaft gefährden. Ein Klima der
Furcht, Unsicherheit und auch Mutlosigkeit entsteht bei all jenen,
die als fremd wahrgenommen werden. Ganz besonders sind Flüchtlinge
betroffen. Die zunehmende Gewalt gegenüber ihnen macht das
gesellschaftliche Ausmaß dieser vielfältig untersuchten Phänomene
deutlich.
Auf Grundlage derselben Mitte-Studie untersucht der Sammelband
»Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus« die
Unterordnung unserer Gesellschaft unter das Primat der Wirtschaft.
Die auf Wachstum ausgerichtete Gesellschaft entfesselt autoritäre
Aggressionen, welche sich gegen all jene richten, die als Bedrohung
der wirtschaftlichen Stärke angesehen werden. Die Autoren kommen
zu dem Schluss, dass die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen seit
2014 stetig rückläufig ist, allerdings konnten sich rechtsextreme
Einstellungen konsolidieren. Dieses Phänomen wird als sekundärer
Autoritarismus beschrieben, welcher eine steigende Intoleranz
gegenüber einzelnen Gruppen wie Asylbewerbern charakterisiert.
Seiner europapolitischen Dimension wird durch den Beitrag
»Deutschland mitten in Europa – Politische Einstellungen und
Europa-Skepsis« von Johannes Kiess, Oliver Decker und Elmar
Brähler Rechnung getragen, die jene Abwertung und die Euro-Skepsis
erstmalig miteinander in Beziehung setzen. Eine Analyse der
politischen Kultur, der parteipolitischen Sphäre sowie eine
Bestandsaufnahme unserer Zivilgesellschaft runden den Sammelband
ab.