Rezension zu Vom Leben danach
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Rezension von Brigitta Huhnke
Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Artikel »Wie in Hamburger
Medien durch fragwürdige Heldenverehrung das Leid von NS-Opfern und
deren Nachkommen 70 Jahre nach der Befreiung verdrängt wird«:
Nichts ist wirklich vorbei, im Leben danach, für keine Seite. Das
Geschehene bleibt in den Generationen der Kinder und Enkel von
Überlebenden nicht nur im Gedenken an die verlorenen
Familienmitglieder präsent. Viele Erinnerungen sind fragmentiert,
auch solche, die von der jeweils individuellen Kraft des
Widerstandes und des Überlebens zeugen. Nur zu oft lassen sich
Erinnerungen schwer in Sprache fassen, ebenso nur sehr bedingt in
Rituale oder bestimmte (Gedenk-) Orte bannen. Aber sie tauchen
weiter im Familiengeschehen auf, als Symbole oder bestimmte
Handlungen, können so zum Ausgangspunkt produktiver Aneignungen von
Geschichte in der Gegenwart werden. Diese Zusammenhänge hat der
Psychoanalytiker Markus Zöchtmeister untersucht: Vom Leben danach.
Eine transgenerationelle Studie über die Shoah. [1]
Demgegenüber scheint das Fundament, auf dem sich die
Auseinandersetzung von Nachkommen der NS-Gesellschaft bewegt, noch
sehr brüchig zu sein, hat sich vor allem das Schweigen im Sinne
aktiver Verleugnung noch nicht ausreichend aufgelöst. Diesen
Eindruck erweckt aktuell in Hamburg ein Medienhype anlässlich des
70. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus. Fast so wie
aus dem Nichts heraus beherrscht seit dem 18. April 2015 die
Deutung von der erfolgreichen »Kapitulation« [2] Hamburgs die
regionale Berichterstattung. Und so fing alles an: Die
Handelskammer Hamburg hatte den Welt-Journalisten Uwe Bahnsen
beauftragt »Hanseaten unter dem Hakenkreuz – Die Handelskammer
Hamburg und die Kaufmannschaft im Dritten Reich.« zu verfassen.
»JumpmediaTV« und NDR griffen den Stoff begierig auf und
inszenierten aus dem PR-Stück, veröffentlicht im April 2015, ein
»Dokumentarspiel« – mit Geldern der GebührenzahlerInnen des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Printmedien stiegen ein und
lobten über Tage hinweg vor der TV-Ausstrahlung das Heldenepos,
wonach vor allem der mutige Direktor der Gummiwerke Phoenix, Albert
Schäfer, Hamburg gerettet haben soll.
Erinnerungen an »die Nähe zum Tod« in Familien von Überlebenden
Lisa W., Anfang der siebziger Jahre geboren, folgt einem inneren
Auftrag: »ich muss mich wehren können«. Das setzt die gelernte
Politikwissenschaftlerin beruflich und gesellschaftlich seit vielen
Jahren souverän um: vor allem als Aktivistin einer großen
Umweltorganisation in Österreich. Sie plant Proteste, achtet auf
deren friedlichen Verlauf, scheut sich auch nicht vor
Auseinandersetzungen mit Rechtsradikalen. Schon als kleines Mädchen
fand sie Demonstrationen zum 1. Mai oder solche für den Frieden
»super spannend«. Anders als Erika W., ihre 1948 geborene Mutter,
die sie zu diesen Manifestationen früh mitnahm, hatte sie nie Angst
sich politisch zu zeigen. Sie ist auch forscher als ihr Großvater
dies über Jahrzehnte hinweg nach der Befreiung gewesen war. Lisa W.
lebt nicht weit von ihm. Aber wie ihre Mutter Erika. W. in deren
Wohnung, braucht auch Lisa W. zwei Ausgänge. Hinter beiden dieser
Türen hat sie eine kleine Axt deponiert. Sie braucht die
Schutzvorrichtungen in ihrem kleinen Häuschen einer
Arbeitersiedlung in Wien, »da kann man aus dem ersten Stock auch
flüchten . Und ich habe mir sogar schon ausgemalt, wenn sie mich
jetzt holen kommen , quasi könnte ich übers Dach auch flüchten.
Also das, diese Fantasien habe ich ziemlich massiv.« Aber vor allem
setzt Lisa W. den Weg des Großvaters und ebenso den ihrer Mutter
fort, »ihr Bewusstsein haben sie mir gegeben.«
Für seine umfangreiche Studie »Vom Leben danach« hat Markus
Zöchmeister in den letzten 20 Jahren 13 Familien befragt, in denen
jeweils ein Angehöriger Überlebender oder Überlebende der
NS-Verfolgung und Holocaust ist. 80 Interviews sind so zusammen
gekommen. Acht dieser Familiengeschichten hat der in Wien
praktizierende Psychoanalytiker veröffentlicht. Ihn interessiert
die Weitergabe der zentralen Erfahrung: die »Nähe zum Tod«, mit der
alle Überlebenden zu ringen haben. Es hätte auch der eigene Tod
sein können, in diesem »psychotischen Kosmos« der Folterkeller, in
den Gestapo-Gefängnissen, in den Konzentrationslagern. Auch auf den
Todesmärschen, in den Wochen und Tagen vor der Befreiung, waren die
Gefangenen nicht nur dem Morden der SS ausgeliefert sondern auch
gewalttätigen Übergriffen seitens Teilen der deutschen bzw.
österreichischen Bevölkerung. [3] Diese »Nähe zum Tod« bleibt aber
nicht nur die zentrale Erfahrung der Überlebenden, sie wird auch in
der Familie weitergegeben.
Die ungewöhnliche Leistung des Psychoanalytikers Zöchmeister
besteht darin, sichtbar zu machen wie diese Grenzerfahrungen, die
sich eben nicht so einfach mit Sprache fassen lassen, sich weiter
tradieren. Zöchmeister greift Fragmente in den Erinnerungen auf,
Symbole, Bilder, deutet, fragt weiter nach. Seine psychoanalytische
Methode stützt sich auf das von Alfred Lorenzer entwickelte
»Szenische Verstehen«. So versucht er über die Wiederbelebung der
familiären Dynamik Wissen um diese »Nähe zum Tod«, was
atmosphärisch in der Familie präsent ist, frei zu legen. Dafür gibt
er auch sehr konkret Einblicke in das Geschehen der
psychoanalytischen Methode von Übertragung und Gegenübertragung.
Zöchmeister lässt sich sehr intensiv auf die Ängste und
Irritationen ein, die in den Interviews bei den Befragten, aber
auch bei ihm selbst entstehen. Vor allem lässt er die Leserin
teilhaben an seinen Deutungen, ebenso an seinen Zweifeln, an seiner
Spurensuche. Das Buch forciert die eigene Auseinandersetzung oft
bis zur Schmerzgrenze, fordert den Kontakt mit den eigenen Ängsten
geradezu heraus, gibt aber auch die Möglichkeit, sich eigener
diffuser Trauer um das Geschehene bewusster zu werden.
Bis heute versucht Lisas Großvater, Edgar W., 1922 geboren, seine
Familie zu schützen. Er hat im politischen Untergrund gearbeitet,
unter Lebensgefahr Flugblätter verteilt. 1941 wird er als Mitglied
eines kommunistischen Jugendverbandes verhaftet, nach Buchenwald
verschleppt. Zwischenzeitlich muss Edgar W. als Funker an der
Ostfront Dienst tun (aber er habe nie schießen müssen, darauf ist
er stolz), wird 1944 wieder verhaftet. Er kommt in ein Nebenlager
von Buchenwald. Im Februar 1945 gehen die Qualen auf einem
Todesmarsch nach Mauthausen weiter. Der Gaskammer dort entgeht er
nur knapp, muss aber noch Zwangsarbeit leisten. Nach dem Krieg
trifft Edgar W. Mutter und Schwester wieder, die in Ravensbrück
eingesperrt waren, ebenfalls einen Todesmarsch überlebt haben.
In sich gekehrt spricht Edgar W. lange nicht über seine
Erfahrungen. Als junger Mann entscheidet er sich gleich nach dem
Krieg für ein Studium der Bildenden Kunst in Wien. Und er ist
weiter politisch aktiv, als Kommunist in der Arbeiterbewegung. 1948
wird Erika W. geboren. Mit der Familiengründung tritt die Kunst in
den Hintergrund, Edgar W. wird Beamter bei der Bahn. Er
funktioniert, sorgt für die Familie, malt nur noch ab und zu. Dann
läuft 1978 die erste Folge der US-Spielfilm- Serie »Holocaust«.
Erika, die Tochter ist bei ihm. Edgar W. weint, bricht zusammen. Er
findet keine Worte. Doch er fängt umgehend wieder zu malen an. Bis
dahin sei er »in seiner inneren Dunkelkammer« gewesen, sagt
Zöchmeister. Die Tochter Erika hilft ihm, schließlich sogar dabei
seine Bilder auszustellen. Erika W., Lisas Mutter, ist mit dem
familiären Gebot »unterzutauchen« (was allerdings sehr viel
komplexer ist als hier dargestellt werden kann) aufgewachsen. Schon
früh fängt sie an Dinge in der Wohnung zu verstecken, unbewusst vom
Vater übernommen. Dieser musste damals ebenfalls ständig etwas
verstecken: Gegenstände, Flugblätter oder sich selbst, aus einer
realen Angst vor der Gestapo heraus. Lisa W.’s Mutter ist ohne
Zweifel ebenfalls eine mutige Frau, mehr als das Bild, das sie von
sich selbst in den Gesprächen mit Zöchmeister zunächst zeigt. Sie
setzt sich lange in leitender Funktion in der sozialistischen
Partei ein, ist in der Umweltbewegung aktiv, in der politischen
Bewegung gegen rechtsradikale Entwicklungen, übernimmt viel
Verantwortung. Aber die latente Angst bleibt. Das tendenzielle
Chaos, das Erika durch das Verstecken von Gegenständen so erzeugt
ist ihre »Methode« weiter »unterzutauchen«.
[1] Zöchmeister, Markus (2013):Vom Leben danach. Eine
transgenerationelle Studie über die Shoah. Gießen.
[2] In Wahrheit handelt es sich um eine alte Verklärung der Täter,
die sofort nach der Befreiung einsetzte, vgl. dazu Grolle, Joist
(1997): Hamburg und seine Historiker. Hamburg.
[3] Vgl. Blatmann, Daniel (2011): Die Todesmärsche 1944/45. Das
letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmordes. Reinbek
bei Hamburg.
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