Rezension zu Geschlecht zwischen Spiel und Zwang
Lesbenring-INFO
Rezension von Elke Heinicke
Der von Richter-Appelt und Hill zusammengestellte Band zu Fragen
der Geschlechts- und sexuellen Identität reicht von Texten zur
Genetik und Evolutionsbiologie über Entwicklungspsychologie bis hin
zur Soziologie.
Hirschhauer sinniert beispielsweise, was in den Köpfen der
Zuhörer geschieht, wenn ein Redner seinen Beitrag mit »Meine Damen
und Herren!« einleitet und warum es wohl für uns wichtig ist,
Männer und Frauen als solche erkennen zu können. Des weiteren wirft
er die Frage auf, warum trotz der Neigung zu Homogamie (Neigung zu
Paarung innerhalb der gleichen Schicht, Hautfarbe, Bildungsgruppe)
nicht auch die Paarung mit dem eigenen Geschlecht bevorzugt wird.
Warum gibt es keinen Datenschutz für die
Geschlechtszugehörigkeit?
Weber erklärt uns (wieder mal) Judith Butler. Sie behandelt die
soziale Konstruktion von Geschlecht in der Schule und deckt dabei
auf, dass Mädchen, die vom dress code (Schmuck, Schminke, lange
Haare) abweichen, in der Regel als kindisch disqualifiziert werden.
Währenddessen führen Solidarisierungen der Jugendlichen gegen
Lehrer und Ungerechtigkeit eher zur Entdramatisierung von
Geschlecht.
Klussmann geht den Fragen nach, warum der Pfau ein Rad
schlägt und was das mit protzigen Geländewagen zu tun hat und
beschäftigt sich mit der Entstehung von Zweigeschlechtlichkeit in
der Evolution.
Holterhus widmet sich den Gründen für das Auftreten von
Intersexualität.
Richter-Appelt fragt, warum manche Identitätsänderungen
als kritisch, bzw. krank angesehen werden (von Mann zu Frau),
andere dagegen als völlig unbedenklich gelten (von Franzose zu
Schweizer). Sie beschäftigt sich mit dem Thema, was einen Mann zum
Mann und eine Frau zur Frau macht. Im Umgang mit Intersexualität
erwägt sie ein Akzeptieren als Bereicherung statt Korrektur um
jeden Preis.
Dannecker beschreibt sexuelle Identität als politische,
sexuelle Orientierung dagegen als psychologische Kategorie und
fragt, wie subversiv drag in Wirklichkeit ist.
Gooß widmet sich dem Thema, ob Bisexualität einen eigenen
Raum zwischen Hetero- und Homosexualität schafft, oder ob sie
hilft, die Grenzen zwischen beiden verschwinden zu lassen
Brauckmann erläutert, warum Transsexuelle out, Transgender
aber in sind und in wieweit Geschlecht überhaupt an den Körper
gebunden ist.
Berner/Hill beschäftigen sich mit Ursachen für die
Entstehung von Pädophilie und damit, dass missbrauchte Kinder oft
selbst zu Tätern werden. Außerdem stellen sie die gewagte These
auf, dass das Schwulsein zu 50%, das Lesbischsein demgegenüber nur
zu 30% genetisch bedingt sei.
Döring erklärt den Begriff Cybersex und setzt mit
feministischen Perspektiven dazu auseinander.
Dekker bezweifelt, dass der chatroom einen körperlosen
Raum schaffe, wahrend Clement den potenten Mann und
Brandenburg die potente Frau beschreiben.
Von besonderem Interesse sind die letzten beiden Beiträge von
Weeks zu Wahlfamilien von Lesben und Schwulen sowie von
Schmidt zum Wandel der Beziehungsbiographien über die
letzten 30 Jahre am Beispiel zweier deutscher Großstädte.
Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch für alle, die es etwas genauer
wissen wollen.