Rezension zu Gesichter der ostdeutschen Transformation
niedersächsisches ärzteblatt, 6/2016
Rezension von Dr. med. Paul Kokott
Wiedervereinigung im Längsschnitt
Fünfzehn Teilnehmer der seit 1987 begleiteten Sächsischen
Längsschnittstudie von rund 400 Teilnehmern unter ehemaligen
DDR-Bürgern schildern erstmalig ihre persönlichen Eindrücke,
Erfahrungen, Erlebnisse und Empfindungen und berichten über ihr
Leben in der DDR, die Wiedervereinigung und ihr Leben im
wiedervereinten Deutschland fünfundzwanzig Jahre nach dem
Mauerfall. Die Porträtierten sind zum Zeitpunkt der Erhebung
mittlerweile über vierzig Jahre alt und haben meist ihren Platz im
Leben privat wie beruflich gefunden. Zu jedem Portrait folgen nach
einigen Angaben etwa zum Beruf oder zu den Gründen der
Studienteilnahme Stellungnahmen, die die Teilnehmer in früheren
Erhebungswellen der Studie abgegeben haben, gefolgt von einem
aktuellen Text, der eigens für das Buch entstand. Jeweils wird auch
ein altes Foto aus den 1980er oder frühen 1990er einem aktuellen
Bild aus gegenübergestellt. Damit werden die »Gesichter der
ost-deutschen Transformation« auch zu tatsächlichen Portraits.
Aufschlussreich sind die Äußerungen der Teilnehmer aus der heutigen
Perspektive zur aktuellen Lebenssituation. Positiv werden die
Reise- und Meinungsfreiheit sowie die Möglichkeiten zur
individuellen Entfaltung hervorgehoben, negativ eine
Ellenbogengesellschaft mit starkem Egoismus, das uneinheitliche
Bildungssystem, hohe Kriminalität, Arbeitslosigkeit,
familienunfreundliches System und die stark geldorientierte Politik
angemerkt. Den 15 von den Studienteilnehmern verfassten Kapiteln
sind einleitend drei Kapitel vorangestellt. Zunächst wird die
Sächsische Längsschnittstudie in ihrer Anlage und Entwicklung
skizziert, dann eine Reihe zentraler Ergebnisse der
sozialwissenschaftliche Erkenntnisse vorgestellt und anschließend
deren Repräsentativität diskutiert. Den inhaltlichen Abschluss des
Bandes bildet ein Forschungsbericht aus den Anfangsjahren der
Studie. Zweifellos eine interessante Schrift, die einen Einblick in
individuelle Lebensverläufe unter einmaligen historischen
Veränderungen gewährt.
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