Rezension zu Jenseits von Sprache und Denken
körper – tanz – bewegung. Zeitschrift für Körperpsychotherapie und Kreativtherapie (ktb) 3. Jahrgang 3. Quartal 3/2015
Rezension von Bernhard Maul
Was ist mir aus diesem lesenswerten Band geblieben? Z.B., dass mir
Geißler in seinem anerkennenswert sehr persönlich gehaltenen
Artikel aus dem Herzen spricht, wenn er schreibt: »Anders als in
der Bioenergetischen Arbeit setze ich in der
analytisch-körperpsychotherapeutischen Arbeit kaum jemals Übungen
in einem technischen Sinn ein; vielmehr gebe ich mich so, wie ich
einfach bin.« Das macht die therapeutische Arbeit natürlich und
authentisch. Erwärmend auch sein Lob der »langsamen
Psychotherapie«. Strukturelle Veränderungsprozesse brauchen ihre
Zeit, genau das lehrt uns die Evolution. Therapeutische Ansätze,
die schnelle Erfolge versprechen, wuchern jedoch allenthalben wie
Pilze aus zwielichtigem Unterholz.
Oder wenn Buchholz erklärt, dass Therapeuten ihren persönlichen
Stil höchst variantenreich entwickeln. Aus Sicht einer Forschung,
die Standardinterventionen definieren und auf ihre Wirksamkeit
prüfen will, folgt daraus eine babylonische Sprachverwirrung. Aus
Perspektive der professionellen Praktiker aber ist es gerade
unabdingbar notwendig, in vielerlei Zungen zu reden. Sich
psychotherapeutische Kompetenz als Wissensanwendung vorzustellen,
entspringt einem Kategorienfehler. Profis haben einfach ein Gefühl,
und Können ist verkörpert, es ist dynamisch.
Genau darum geht es beim impliziten Wissen, oder wie Sassenfeld
sagt: Es geht weniger um kognitive Strukturen, sondern vielmehr um
Wahrnehmungs-, Entscheidungs- und Handlungsdispositionen und die
ihnen entsprechenden Formen intuitiver Regulierung. Es geht darum,
das implizite Gedächtnis des Patienten aufzuklären und in ein
explizites, reflexives Bewusstsein zu überführen, eine zentrale
Voraussetzung des psychotherapeutischen Prozess. Diesen
tiefgehenden Prozess sollte der Therapeut natürlich bereits vorher
möglichst weitgehend für sich selbst geleistet haben. Allerdings,
so zitiert Geißler den Psychoanalytiker Krause: »Das explizite
Wissen vieler Kollegen über die Affekte ist schlecht.« Es gäbe dort
»massive Abwehrformationen« in Forschung und Lehre.
Aber nicht alles muss und kann durch das Nadelöhr der Sprache
gehen. Das Kind hat die wichtigsten Spielregeln seines kulturellen
Umfeldes begriffen, lange, bevor es sprechen kann. Erinnern ist
deshalb die unbewusste Inszenierung in der therapeutischen
Interaktion. Körperliche Handlungsdialoge laufen zunächst einmal
unbewusst ab. Ihre Erforschung ist schwierig, weil schon bei der
wissenschaftlichen Erfassung der Gesichtsmimik (FACS) eine schier
unendliche Datenmenge anfällt, die kaum strukturiert analysiert
werden kann. Das gleiche gilt auch schon fürs Sprechen, dessen
Fundament ebenso affektive, also gefühlsmäßige Strukturen sind.
Geht die implizite, die körperliche Verankerung verloren, löst sich
auch die Kohärenz unseres Selbstmodells auf. Denn unser
Kernselbstbewusstsein, so Clauer, ist die unumgängliche Grundlage
für alle höheren Bewusstseinsformen. Oder wie Stephenson sagt:
Explizites Wissen ist unflexibel. Implizites Wissen ist ein
vielschichtiger Prozess eines impliziten Vergleichens, Evaluierens,
Entwerfens, Verwerfens... Parallele Informationsverarbeitung in
Bruchteilen von Sekunden, Vorgänge, die unser Bewusstsein heillos
überfordern würden.
Leider muss ich hier aus Platzgründen aufhören. Sie müssen das
nicht! Kaufen Sie sich das Buch. Empfehlenswert!
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