Rezension zu Die Begegnung der Subjekte
Beratung aktuell. Zeitschrift für Theorie und Praxis in der Beratung Jahrgang 16, Heft 2/2015
Rezension von Rudolf Sanders
Ein wichtiges und spannendes Buch für alle die Kolleginnen und
Kollegen, die in ihrer beraterischen Grundorientierung
psychoanalytisch fundiert sind. In diesem Sammelband wird nicht
weniger als eine Schulen übergreifende neue Konzeptualisierung
innerhalb der Psychoanalyse der letzten 30 Jahre aufgezeigt. Und
das ist einfach spannend! Dieser Wandel geht aus von der
intensiven, wechselseitigen Verschränkung von Ratsuchendem und
Berater und ersetzt damit das alte Paradigma von Übertragung und
Gegenübertragung. In diesem neuen Verständnis wird sowohl die
Ein-Person-Psychologie von Freud als auch die
Zweipersonenpsychologie der Objektbeziehungstheoretiker durch das
Modell eines dynamisch-intersubjektiven Feldes ersetzt. Diese
Sichtweise impliziert eine neue Bewertung zentraler
psychoanalytischer Konzepte.
Anliegen des Buches ist es, das Gebiet der
intersubjektiv-relationalen Psychoanalyse und ihre Verbindungen zu
Gruppenanalyse darzustellen und damit gleichzeitig eine Einführung
in die Thematik und den aktuellen Diskussionsstand zu geben. Durch
die Struktur des Buches versuchen die Herausgeber eine
intersubjektive Grundhaltung zu vermitteln: Es ist eine einmalige
Begegnung zweier Subjekte, durch die die traditionelle Dichotomie
des Selbst (»wissender Analytiker«) und Objekt (»unwissender
Analysand«) dekonstruiert und überwunden werden soll.
Das kann an folgendem Beispiel aus der Familientherapie als
relationale Psychoanalyse deutlich werden. Niemand bestreitet heute
mehr, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Aber man kann sich
soziale Interaktion auch so vorstellen, als würden Billardkugeln
aneinander stoßen. Auch Billardkugeln interagieren miteinander.
Beim Zusammenstoß beeinflussen sie sich gegenseitig hinsichtlich
Lage und Bewegung, aber in ihrer inneren Struktur bleiben sie von
dieser Interaktion völlig unberührt. Die Billardkugel ist nach
einer Interaktion mit einer anderen Billardkugel dieselbe wie vor
dem Zusammentreffen.
Viele soziologische, psychologische und auch psychoanalytische
Theorien konstruieren den Menschen nach dem Muster von
Billardkugeln. Familientherapeuten betrachten die Existenzweise des
Abgekapselt-Seins durch einen Schutzpanzer als psychopathologische
Fehlentwicklung. Der Mensch kann zwar versuchen, sich einen
Charakterpanzer zuzulegen und sich so zu verhalten, als könnte er
seine Innenwelt vollständig von anderen abschirmen. Aber dieses
Selbstbild widerspricht seinem eigentlichen Wesen, das fundamental
auf Beziehung und Dialog angelegt ist. Der Rückzug in die Innenwelt
der Seele ist ein Versuch, Beziehungskonflikten auszuweichen; ein
Lösungsversuch, der misslingen muss, weil er dem dialogischen Wesen
des Menschen widerspricht. Beschreitet der Mensch diesen Weg
trotzdem, übernimmt das Symptom die dialogische Funktion, indem es
den anderen auf nonverbalem Wege das mitteilt, was sprachlich nicht
mitgeteilt werden kann. Wenn Menschen in einen Dialog treten, gehen
sie aus diesem Dialog zwangsläufig in irgendeiner Weise verändert
hervor. Und das unterscheidet sie von Billardkugeln!