Rezension zu Neue Mütter - neue Väter (PDF-E-Book)
Das Argument 312 (2/2015)
Rezension von Hannelore Faulstich-Wieland
In dem mehrjährigen studienbegleitenden Projekt, das Verf. bereits
2006 mit Studierenden an der Universität Oldenburg begonnen hatte,
wurden Familien untersucht, in denen die Mütter kontinuierlich
erwerbstätig waren und damit von Anfang an eine geteilte
Elternschaft praktiziert wurde, die sich sowohl auf die Betreuung
und Erziehung von Kindern wie auf die Hausarbeit bezog. Zentrale
Forschungsfrage war, »ob sich durch eine solche Konstellation
Geschlechterbilder bei den Kindern verflüssigen« (17). Damit die
Sozialisationswirkungen überhaupt feststellbar waren, sollten die
Kinder mindestens 13 Jahre alt sein. Interviewt wurden zwölf
Familien, bei denen die Kinder zwischen 13 und 27 Jahren alt waren.
Die Familienmitglieder wurden alle getrennt voneinander mit einem
Leitfaden interviewt. In neun Familien hatten beide Elternteile die
Arbeitszeit reduziert, während in drei Familien die Frauen
vollzeiterwerbstätig und die Männer hauptverantwortlich für die
Familienarbeit waren. Die Auswertung der Interviews geschah nach
dem Verfahren einer psychoanalytisch orientierten
Textinterpretation (22).
In den Ergebnissen der empirischen Studie geht es zunächst um die
Beziehungsdynamiken der Paare, wenn diese sich für eine geteilte
Elternschaft entschieden haben. Nachgezeichnet werden die Anfänge
der Paarbeziehung sowie der durch die Geburt markierte Beginn der
Elternschaft. Die Gefühle im Umgang mit den Neugeborenen, die
besondere Bedeutung der Stillsituationen und die weiteren
Entwicklungen in den Beziehungen zu den Kindern werden analysiert.
Für Väter scheint es schwierig, mit der »Verletzlichkeit des
Neugeborenen« umzugehen: »›Für mich war es schön, als er älter
wurde. Also so zwei, wo man was mit ihm anfangen konnte, draußen
rumlaufen, auf dem Fahrrad rumfahren, das ging dann gut‹«. (42) Ob
solche Gefühle »Traditionalisierungsdynamiken in der
Paarbeziehung« bewirken, hängt auch von der Partnerin ab (55), da
die geteilte Elternschaft mindestens zum Teil mit den
vorherrschenden gesellschaftlichen Bildern ›guter Mütter‹
kollidiert. Reagieren Frauen in der Weise, »dass er es so machen
soll, wie ich es für richtig halte« (112), dann ziehen sich Männer
zurück. Neben solchen Fragen zur geteilten Elternschaft spielt die
Hausarbeit eine zentrale Rolle in den zu realisierenden
Arbeitsteilungen – auch hier wird nur dann ein entspanntes
Familienklima erreicht, wenn die Paare Aushandlungen auf Augenhöhe
erreichen.
Im zweiten Hauptteil werden die Sozialisationsprozesse, die Kinder
in den untersuchten Familien durchlaufen, untersucht. Zunächst wird
dafür eine Familie mit Sohn und Tochter vorgestellt, in der die
Mutter vollzeiterwerbstätig und der Vater als Hausmann für die
Familienarbeit zuständig ist. Für den Sohn bedeutet dies andere
Erfahrungen als für die Tochter. Vater und Sohn benötigen offenbar
»als Männlichkeitsinszenierungen zu verstehende Verhaltensmuster«
(169) wie Fußballspielen und körperliches Kräftemessen, um mit dem
Fehlen der ansonsten für Männlichkeit bereitgestellten
Stabilisatoren zurechtzukommen. Für die Tochter bietet die Präsenz
des Vaters strukturell andere Möglichkeiten, sich von der Mutter
abzulösen. In den beiden weiteren Kapiteln werden die Entwicklungen
von Töchtern sowie von Söhnen jeweils getrennt hinsichtlich der
Probleme, aber auch der erweiterten Möglichkeiten vorgestellt.
Gemäß der psychoanalytischen Interpretation zeigen sich die
Probleme insbesondere in der Bewältigung der »sexuellen Dimension
in der Vater-Tochter-Beziehung, die mit Neid, Rivalität und
Konkurrenz in der Mutter-Tochter-Beziehung einhergehen kann« (198).
Bezogen auf die Söhne »bilden die stabilen Beziehungserfahrungen
mit dem Vater ein Gegengewicht zur Mutter-Sohn-Beziehung, durch das
innere Abgrenzungs- und Trennungsprozesse erleichtert werden«
(236). Für beide Geschlechter konstatiert Verf. letztendlich
positive Perspektiven. Für die Töchter zeigt sich, dass die
Konstellation der geteilten Elternschaft ihnen »Räume für
vielfältigere Entwicklungen eröffnen kann« (207). Sie erleben
Modelle für das Frausein, die sowohl Erwerbstätigkeit wie
Familienorientierung beinhalten. Dies – so die Vermutung der Verf.
– ermöglicht die Entwicklung von Mutterbildern, bei denen »Mütter
nicht nur bezogen auf ihre Kinder, sondern auch als Personen mit
anderen Interessen sichtbar werden« (207). Für die Söhne bietet
vor allem die Beziehung zum Vater Chancen – sofern es den Vätern
gelingt, körperlich nahe und emotional offene Beziehungen zu ihnen
herzustellen: Dann »kann sich bei ihnen ein Verständnis von
Beziehungen unter Männern herausbilden, in dem das Zulassen von
Schmerz, Trauer und Verletzlichkeit nicht als Schwäche, sondern
emotionale Stärke erlebt wird« (241).
Im dritten Hauptteil werden die Lebensentwürfe der Kinder
untersucht: Wie schätzen sie im Rückblick die Erfahrungen mit der
geteilten Verantwortung für ihre Erziehung und Betreuung ein, die
ihre Eltern gewählt haben und inwieweit halten sie diese
Konstellation für ihre eigenen Perspektiven für tragfähig? Auch
hier kommen wieder alle interviewten Gruppen zu Wort, so dass die
verschiedenen Sichtweisen miteinander verschränkt werden können.
Wie zu erwarten, gibt es hier Unterschiede: »Töchter und Söhne aus
Familien, in denen Aufgabenteilungen zwischen den Eltern relativ
konfliktfrei gelebt bzw. bei Unstimmigkeiten immer wieder für
beide akzeptable Lösungen gefunden werden konnten, äußern sich
entschiedener in ihren Vorstellungen, später ebenfalls eine mit dem
Partner geteilte Elternschaft praktizieren zu wollen, als
diejenigen aus Familien, in denen die Alltagsarrangements der
Eltern mit Ambivalenzen und unauflösbaren Konflikten verbunden
waren.« (282)
Die Rollenumkehr stellt in der Regel eher eine konflikthafte
Version geteilter Elternschaft dar – was verständlich ist, da die
Situation der ›Nur-Hausfrau‹ ja ebenfalls als deutlich weniger
befriedigend empfunden wird als eine Vereinbarkeit von Familie und
Beruf. Es wäre verwunderlich, wenn Männer mit dieser Rolle besser
zurechtkämen – zumal sie mit den Männlichkeitskonstruktionen
kollidiert. Eine Reduktion der Arbeitszeiten durch beide Eltern
erfordert zwar ebenfalls das Aushandeln von Arbeitsteilungen – dies
geschieht jedoch eher auf Augenhöhe und erlaubt folglich
einvernehmlichere Konfliktlösungen.
Im vierten Hauptteil wird nach den gesellschaftlichen Bedeutungen
gefragt, die mit veränderten Geschlechterbeziehungen in Familien
einhergehen. Wenngleich Verf. ein insgesamt ausgesprochen positives
Bild zeichnet, in dem die geteilte Elternschaft – vor allem, wenn
sie nicht in der bloßen Umkehr der Geschlechterrollen besteht –
für alle Beteiligten neue und erweiterte Möglichkeiten mit sich
bringt, so bedarf es doch förderlicher gesellschaftlicher
Rahmenbedingungen, wenn derartige Modelle sich stärker verbreitern
sollen. Das zeigt sich insbesondere daran, wenn die interviewten
Familien von ihren Berufen her privilegierte Positionen – primär im
öffentlichen Dienst und in Lehrtätigkeiten – innehatten. Selbst
dann aber ist die Alltagsorganisation – Abstimmung der Zeitpläne
zwischen den Eltern und der Zuständigkeiten für die Kinder etc. –
nicht einfach. Es bleiben schließlich die »Unvereinbarkeiten
zwischen den Logiken von Erwerbsarbeit und denen von
Fürsorgetätigkeit«, die häufig als belastend erlebt werden, weil
sie mit Zeitdruck einhergehen (302). Verf. verweist daher am
Schluss auf ein Modell für eine Familienarbeitszeit, das am
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der
Friedrich-Ebert- und der Hans-Böckler-Stiftung entwickelt wurde. Es
sieht vor, dass Väter und Mütter, die ca. 30 Stunden pro Woche
arbeiten, eine Lohnersatzleistung aus Steuergeldern bekommen
sollten. Verf. resümiert: »Ein solches Angebot kann Eltern
ermutigen, sich für eine Form der Lebensgestaltung zu entscheiden,
die beiden Geschlechtern erweiterte Teilhabe- und
Entwicklungschancen eröffnet und gesellschaftlich einen Schritt zu
größerer Geschlechtergerechtigkeit bedeutet.« (303)