Rezension zu Veränderungspotenziale in Krankenhausorganisationen (PDF-E-Book)
Arbeit. Band 24, Heft 3-4, 2016 (De Gruyter)
Rezension von Maximiliane Wükesmann
Maria Crojethovic, Sebastian Gütschow, Carolin Krüger, Tom Stender,
Thomas Elkeles: Veränderungspotenziale in
Krankenhausorganisationen
Besprochen von JProf. Dr. Maximiliane Wükesmann: Vertretung des
Lehrstuhls Wirtschafts- und Industriesoziologie. Juniorprofessur
Soziologie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät,
Technische Universität Dortmund.
Der deutsche Krankenhaussektor findet sich nunmehr seit zwei
Jahrzehnten großen Veränderungen ausgesetzt, die durch zahlreiche
Gesundheitsreformen initiiert wurden. Wesentliche Ziele der
ordnungspolitischen Maßnahmen lagen dabei in einer Reduzierung der
Behandlungskosten und durchschnittlichen Verweildauer je Patient,
einer steigenden Kostentransparenz und der Förderung des
Wettbewerbs im Krankenhausmarkt. Krankenhäuser unterliegen daher
einer zunehmenden Ökonomisierung sowie der Notwendigkeit eines
effizienten, bedarfsgerechten Ressourceneinsatzes. Angesichts
dieser hochdynamischen Entwicklung sind Krankenhäuser im
Spannungsfeld aus medizinischer und wirtschaftlicher Leistung
oftmals gezwungen, ihre Prozesse, Strukturen und Kultur zu
reorganisieren.
All die soeben skizzierten Wandlungsprozesse nehmen die Autoren und
Autorinnen des Buches »Veränderungspotenziale in
Krankenhausorganisationen« unter Berücksichtigung der Aspekte der
Formalität und Informalität in den Blick. Das Forschungsziel
besteht – auch wenn die Autorinnen und Autoren die Forschungsfrage
nicht explizit benennen – in der empirischen Erfassung und
Untersuchung des Verhältnisses von Formalität und Informalität
unter den besonderen Bedingungen des New Public Management in
nordostdeutschen Krankenhäusern. Neue, meist betriebswirtschaftlich
orientierte formale Strukturvorgaben, die häufig den ethischen
Ansprüchen der handelnden Akteure der medizinischen Versorgung
widersprechen, so die These, zwingen diese dazu, informelle
Strategien zu entwickeln, um im Arbeitsalltag den zu versorgenden
Patienten gegenüber handlungsfähig zu bleiben. Das Buch selbst ist
in einen theoretischen Teil und einen methodischen und empirischen
Teil untergliedert. Im Theorieteil werden zunächst aus einer
soziologischen Perspektive begriffliche Klärungen des
Verständnisses von Organisation und formellen und informellen
Handlungsweisen in Organisationen vorgenommen. Im zweiten Kapitel
wird das Krankenhaus als eine komplexe Organisation anhand des
Aufbaus und am Beispiel der handelnden Akteure (ärztliches,
pflegerisches und kaufmännisches Personal) spezifiziert. Das dritte
Kapitel widmet sich den besonderen Veränderungen unter dem Einfluss
des New Public Management. Hier fokussieren die Autoren und
Autorinnen insbesondere auf die Einführung des
Fallpauschalensystems mit all den (negativen) Folgen für die
handelnden Akteure im Krankenhaus.
Von methodischer Seite greifen die Autorinnen und Autoren auf eine
quantitative und eine qualitative Studie zurück, die im Rahmen
eines Lehrforschungsprojekts an der Hochschule Neubrandenburg in
Kooperation mit dem Zentrum für Staats- und Gesellschaftsstudien
Buenos Aires durchgeführt wurden. An der quantitativen Studie, die
Ende 2011 bis Mitte 2012 durchgeführt wurde, beteiligten sich 338
Pflegekräfte und Ärzte aus neun Krankenhäusern in
Mecklenburg-Vorpommern. Dies entspricht einer sehr guten
Rücklaufquote von 38,8 Prozent. Für die qualitative Befragung
wurden 29 leitfadengestützte Interviews mit Ärzten und
Pflegekräften unterschiedlicher Fachrichtungen und Hierarchieebenen
in sechs verschiedenen Krankenhäuser ebenfalls in
Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt. Die Analyse der erhobenen
Daten bildet das Herzstück der Buches, wobei der Darstellung der
qualitativen Ergebnisse wesentlich mehr Raum gegeben wird. So
beschränkt sich die Auswertung der quantitativen Daten auf rein
deskriptive Analysen, bei denen vor allem abteilungsspezifische und
berufsgruppenrelevante Unterschiede aufgezeigt werden konnten.
Hervorzuheben sind dabei die Ergebnisse im Bereich der Gynäkologie
und Geburtshilfe. Gerade hier wird ein Mangel an Wertschätzung und
Anerkennung des Faches sowie ein hoher betriebswirtschaftlicher
Druck wahrgenommen. In Bezug auf die Analyse der
leitfadengestützten Interviews verwundert von methodischer Seite,
dass hier das Konzept der Grounded Theory Anwendung findet. Die im
Theorieteil hergeleiteten Vorannahmen sowie der Bezug auf eine
zuvor durchgeführte Studie von Crojethovic aus dem Jahr 2012 hätten
aus meiner Sicht ein deduktives Vorgehen im Sinne der qualitativen
Inhaltsanalyse von Mayring nahegelegt. So umfassen die
herausgearbeiteten Kategorien unter anderem jene Bereiche, wie etwa
Personalmangel und betriebswirtschaftlicher Druck, die bereits
Bestandteile der quantitativen Befragung waren. Darüber hinaus
stellen die Autorinnen und Autoren Initiativen der handelnden
Akteure heraus, mit denen diese auf die beschriebenen
Problemsituationen – entweder bottom-up oder top-down – reagieren.
Sie unterscheiden dabei formale (z.B. Einsatz von externen Kräften,
monetäre Anreize), informell-legale (z.B. Vereinfachung des
Dokumentationssystems), informell-illegale (z.B. Antizipation der
ärztlichen Anordnung) und informell-prekäre Initiativen (z.B.
Herabsetzung der Überwachungsfrequenz bei Patienten), die sie mit
zahlreichen Interviewausschnitten illustrieren und in Form einer
Tabelle (S. 204f) zusammenfassen. Im abschließenden Ausblick
fordern die Autorinnen und Autoren, auf langfristige und
tragfähigere (formale) Lösungen für das Gesundheitssystem
hinzuarbeiten, damit die handelnden Akteure nicht zu informellen
Initiativen gezwungen werden.
Trotz der geäußerten Kritik an der methodischen Vorgehensweise
handelt es sich um ein lesenswertes Buch, das durch die Tiefe in
der Empirie einen sehr guten Einblick in die aktuellen Problemlagen
deutscher Krankenhäuser bietet und zu weiteren
Forschungsaktivitäten anregt.
Quellenangabe: Arbeit. Band 24, Heft 3-4, Seiten 217–219, ISSN
(Online) 2365-984X, ISSN (Print) 0941-5025, DOI:
https://doi.org/10.1515/arbeit-2016-0016, July 2016
www.degruyter.com