Rezension zu Die Technik-Debatte in der Psychoanalyse

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Rezension von Hans-Peter Heekerens

Entstehungshintergrund

Die französische Originalausgabe des Werkes erschien 1987, 1989 die deutsche Ausgabe im Fischer Verlag und im Jahre 2000 erschien dann im Psychosozial-Verlag die Neuausgabe, die nun versehen wurde mit einem Vorwort von Léon Wurmser und einer Einleitung des Autors. Deren dritte (unveränderte) Auflage liegt mit dem hier zu betrachtenden Buch vor.

Zur Entstehungsgeschichte des Buches gehört auch, sich vor Augen zu halten, welche Ressourcen neben jenen, die es zum Schreiben eines klugen Buches auf dem Gebiet der Psychoanalyse ohnehin bedarf, der Autor verfügte. Von denen sind drei zu nennen. Die erste ist: Sowohl die Genfer Universität als auch die in Stanford gewährten dem (Visiting) Professor ein hohes Maß bezahlter Zeit zur Forschung und Manuskripterstellung. Ferner: Der Autor beherrscht in hinreichendem Maße alle relevanten Sprachen – einschließlich des Ungarischen; das ermöglichte ihm historische Manuskripte im Original zu lesen. Schließlich: Und er hatte Zugang zu Quellen, die bis Mitte der 1980er schwer und nur wenigen zugänglich waren. Er hatte direkten Zugang zum Genfer Michael Balint-Archiv mit seinen unpublizierten Manuskripten und Briefwechseln. Er konnte den Briefwechsel zwischen Sigmund Freud und Sándor Ferenczi vor dessen Veröffentlichung, an der er mitwirkte, einsehen, weil er in dessen Herausgeberkomitee war – zusammen mit der gebürtigen Budapester Psychoanalytikerin Judith Dupont (Paris), die nach Michael Balints Tod zur Verwalterin von Sándor Ferenczis »Klinischem Tagebuch« (Manuskript) geworden war und dieses in französischer Übersetzung 1985 erstmals publizierte (vgl. Heekerens, 2014). Ob der Autor über Judith Dupont das deutschsprachige Manuskript einsehen konnte oder auf die genannte französische Publikation angewiesen war, ist unklar.

Thema

Was das Thema eines Buches ist, liegt immer auch im Auge des Betrachters. Das vorliegende Werk kann man unter zumindest zwei Perspektiven lesen. Die erste ist eine systematische. Die Fragestellung lautet: Welche noch heute aktuell erscheinenden Fragen der Psychoanalyse werden hier behandelt? Der in der Schweiz geborene US-amerikanische Psychoanalytiker Léon Wurmser (https://de.wikipedia.org), der Sándor Ferenczis Forderung nach einer »elastischen« Methodik in seinem Handeln aufgegriffen hat, beschreibt in seinem Vorwort, um welche Fragen es geht: »Betonung der Technik gegenüber der Metapsychologie, direkte Erfahrung gegenüber Einsicht, Verlauf (process) gegenüber Inhalt, die Subjektivität des Patienten gegenüber der ›wissenschaftlichen‹ Theorie, Empathie gegenüber Deutung, Ein-Personen-Psychologie gegenüber Zwei-Personen-Psychologie, die Patienten-Therapeuten-Dyade, Übertragung und Gegenübertragung und die ›wirkliche‹ Beziehung.« (S. I)

Die zweite Perspektive ist eine historische. Wir erfahren in diesem Buch eines gebürtigen Budapesters viel über die von Sándor Ferenczi begründete und auch durch Michael Balint in der Welt bekannt gewordene Budapester Schule der Psychoanalyse (vgl. ergänzend Falzeder, 1984; Harmat, 1988; Mészáros, o. J.; Rudnytsky, Giampieri-Deutsch & Bokay, 2000; Schuch, 1994). Vieles spricht dafür, dass nicht Berlin, London oder New York das Erbe Wiens hätten antreten können, sondern Budapest, wären da nicht all die widrigen »äußeren« Ereignissen gewesen, jene in der »Weltenfirma ›Fatum & Ananke‹« (Sigmund Freud im Brief vom 1.10.1910 an Sándor Ferenczi). Wie anders wäre die Entwicklung der Psychoanalyse und der gesamten nicht-behavioralen Psychotherapie dann gelaufen! Die historische Darstellung im Buch zeichnet nicht nur ein Bild von »Dort-und-Damals«, sondern vermittelt (implizit wie explizit) eine Vorstellung davon, was dies für »Hier-und-Heute« bedeutet.

Autor

André Haynal (https://de.wikipedia.org/wiki/Andr%C3%A9_Haynal), Jg. 1930, geboren in Budapest, nahm als (Philosophie-)Student 1956 am Ungarischen Volksaufstand teil, und emigrierte nach dessen Unterdrückung in die Schweiz, wo er in Zürich Medizin studierte. Er ist Psychiater und Psychoanalytiker in eigener Praxis in Genf, lehrt(e) an der Medizinischen Fakultät der Genfer Universität und ist als Lehranalytiker am Centre Raymond de Saussure tätig. Er gilt bis heute als bedeutendster Chronist der Auseinandersetzungen zwischen Sigmund Freud und Sándor Ferenczi um die Frage der »richtigen« psychoanalytischen Behandlungstechnik; er hat nicht nur das vorliegende Buch verfasst, sondern im Nachgang auch noch »Disappearing and reviving: Sandor Ferenczi in the history of psychoanalysis« (London: Karnac Books, 2002). Er ist der Verwalter des Balint-Archivs in Genf. Er war an der Herausgabe des Freud-Ferenczi-Briefwechsels verantwortlich beteiligt; dessen letzter Band mit den hier besonders interessierenden Jahren 1925 – 1933 ist im Internet einsehbar (http://library.umac).

Aufbau und Inhalt

Das Buch besteht im Kern aus sieben Kapiteln, die durch kleinere Buchteile am Anfang und Ende gerahmt sind. Dem ersten Kapitel unmittelbar vorangestellt ist des Autors Vorwort zur Erstauflage (1987), in dem sich neben Dankesworten Angaben zur Konzeption des Buches sowie zu benutzten Quellen finden. Eröffnet wird das Buch mit dem »Vorwort von Léon Wurmser zur Neuausgabe« (2000), das man als kluge Rezension eines kompetenten Kollegen lesen darf; hier wird der Verstehenshorizont eröffnet, unter dem man das Buch gewinnbringend lesen kann.

Dem folgt die »Einleitung zur Neuausgabe« von André Haynal (2000), in dem er davon spricht, dass in den nur eineinhalb Jahrzehnten zwischen Original- und deutscher Neuausgabe sich nicht nur ein weltpolitischer Wandel vollzogen habe, der Ungarn wieder zu einem freien Land machte, sondern auch »eine wahrhaftige Ferenczi-Renaissance, nicht nur den Donauraum, sondern die ganze psychoanalytische Welt ergriffen« (S. VII) hat. Zu dieser Renaissance, die in Deutschland mit Johannes Cremerius (1983) begann, hat er im deutschsprachigen Raum mit vorliegendem Buch und einem einschlägigen Psyche-Artikel von (Haynal, 1988) beigetragen.
Die sieben Kapitel des Buchkerns hat der Autor selbst (vgl. S. 8) unterteilt: in zwei biographische (II: Sándor Ferenczi, VI: Michael Balint) und fünf ideengeschichtliche. Doch sind die beiden Gruppen vortrefflich miteinander verbunden und werden damit dem Umstand gerecht, dass man beide Protagonisten besser versteht, wenn man Leben und Werk als ineinander verflochten betrachtet, wenngleich »die vielfältigen und geheimen Verbindungen, die unleugbar zwischen dem Werk und den bekannten Tatsachen seines Lebens bestehen, schwer zu erfassen sind« (S. 107).

In »I. Prolegomenon: Freud« zeichnet der Autor ein Bild des psychotherapeutischen Praktikers Sigmund Freud, das manche überraschen mag: Der Begründer der Psychoanalyse erscheint hier in seinem therapeutischen Handeln durchaus »elastisch«. Es wird ein Sigmund Freud sichtbar, »der unsicher war in Bezug auf die theoretischen und praktischen Konsequenzen seiner fundamentalen Entdeckung der Übertragung« (S. 21). All das macht verständlich, weshalb sich Sándor Ferenczi wie Otto Rank, die gemeinsam die »Entwicklungsziele der Psychoanalyse« (1923 erschienen, auf 1924 datiert) verfasst und dort die Bedeutung von »Erlebnis« hervor gehoben hatten, mit einigem Recht als auf dem selben Wege wie Sigmund Freud wähnen durften. Schon vor 1924 aber waren Divergenzen nicht zu übersehen: »So tritt eine Polarität auf, bei der Freud zeitweilig für die ›Einsicht‹ (das Bewußtwerden) des Geistes der Aufklärung optiert, Ferenczi [und Rank; H.-P.H.] hingegen für das ›Erlebnis‹, die gelebte Erfahrung.« (S. 23)

Wie Sándor Ferenczi seit 1909, nur ein Jahr nach seinem Beitritt zur »Bewegung« durch seinen auf Einladung Sigmund Freuds erfolgten Auftritt auf dem Salzburger Kongress (1908), zu den Vorstellungen und Überzeugungen kam, die 1932 zur »Ausladung« durch Sigmund Freud führte, wird in »II Sandor Ferenczi: Die neuen Fragestellungen« berichtet. Dort wird als hauptsächliche Triebfeder herausgestellt: »Er wollte die Rolle des Analytikers – ein Thema, das bis dahin tabu war – und deren Implikationen beim analytischen Prozeß verstehen…« (S. 34)

»III Intermezzo: Ferenczi – Biographische Notizen« bietet eine biographische Skizze, deren Knappheit nicht als Mangel empfunden wird, da sie von Kenntnis der Vita Sándor Ferenczis (1873 – 1933), der frühen »Bewegung«, der geschichtlichen Entwicklung Mitteleuropas sowie der politischen Geschehnisse in den Jahren 1918 – 1933 gekennzeichnet ist. »Das ganze Leben dieses so sensiblen und gewiß etwas labilen Mannes war Schauplatz von Konflikten und Spannungen; in seinem Privatleben gab es die lange Wartezeit, um seine Geliebte heiraten zu können; die politische Situation in Ungarn von Ende 1919 an hatte Auswirkungen auf seine berufliche Situation, und zwar schon vor dem allgemeineren Aufkommen des Nazismus in Mitteleuropa; er wurde in die Kontroverse um die psychoanalytische Tätigkeit von Nichtärzten verwickelt; mit Freud war er ein überzeugter Verfechter der Laienanalyse und machte sich damit bei seinem Aufenthalt in New York Feinde, wie Jones zu betonen nicht versäumte.« (S. 61).

Eine Biographie Sándor Ferenczis in der Breite und Tiefe, wie sie etwa für Karl Abraham (Zienert-Eilts, 2013) oder Otto Rank (Liebermann, 2014) vorliegt, fehlt bis heute. In einer solchen wäre Vieles, was in diesem Kapitel nur angesprochen werden konnte, vertieft zu betrachten; etwa das Verhältnis zwischen Sándor Ferenczi und Ernest Jones (vgl. Heekerens 2014).

Kapitel »IV Diskussionen über die psychoanalytische Praxis in den 20er und 30er Jahren« vermittelt einen Eindruck davon, welche Stimmen sich damals zu Wort gemeldet haben und welche praktischen Erfahrungen, theoretischen Überlegungen und »vereinspolitische« Interessen mit den Diskussionsbeiträgen verbunden waren. In den 1920ern beginnt »die Suche nach Regeln, die den Analytikern einen Arbeitsrahmen geben sollen: den der korrekten freudianischen Psychoanalyse« (S.70). Und tatsächlich kann man schon Mitte der 1930er von einem »Regelwerk« sprechen, dessen zentrale Elemente Otto Fenichel so charakterisiert hat:
• »a) und b) mit dem aktuellen und in der analytischen Situation vorhandenen Affekt arbeiten;
• c) die Widerstände vor den Inhalten deuten;
• d) mit der Deutung dessen beginnen, was sich an der Oberfläche befindet« (zitiert nach S. 71).
Das aber war damals nicht das einzige Wort und es sollte auch nicht das letzte bleiben. Denn was hier formuliert ist, bleibt »diesseits der Interaktion Patient-Analytiker«, um eine Formulierung des Autors (auf S. 68) zu verwenden. Wenn man die so markierte Grenze überschreiten will, kommt man zwangsläufig zu den »fundamentalen Fragen über den Analytiker selbst: Diese werden in der 1939 vorgelegten Arbeit von Alice und Michael Balint (1939a) entwickelt« (S. 73). Der genannte Artikel »On transference and counter-transference« wurde im »International Journal of Psychoanalysis« unter der Herausgeberschaft von Ernest Jones publiziert und in die endgültige englische Fassung wohl erst in London gebracht; die Spuren von Sándor Ferenczi sind unverkennbar.

Das fünfte Kapitel »Der Analytiker – dieser Unbekannte – und sein regredierter Patient: Das Werk Michael Balints« ist das längste und von großer Vielfalt. Daher wohl ist es durch Zwischenüberschriften in acht Abschnitte gegliedert. Im ersten, »Des Analytikers Welt« wird geschildert, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen Michael Balint weiter verfolgt und vorantreibt, wozu Sándor Ferenczi angestoßen hat. »Man gelangt so zu der Einsicht, daß die Analyse nicht nur eine Technik ist, sondern vielmehr eine Beziehung zwischen zwei Personen. Man braucht zwar zu Beginn eine Technik, um Klavier spielen zu können, doch das Spiel – die Interpretation – des Künstlers geht weit über die technische Fertigkeit hinaus. Die analytische Praxis setzt zwar das Erlernen einer Technik voraus, doch sie ist, wie man gar nicht oft genug sagen kann, weit mehr als das. Und die von Ferenczi angeregten Überlegungen zur Technik führten zu deren Überschreitung und gelangten zur Perspektive einer analytischen Praxis.« (S. 80 – 81)

Die Überschrift des nächsten Abschnitts, »Auf der Suche nach den Urformen der Liebe«, erinnert deutsche Leser(innen) an den Titel des Buches, mit dem Michael Balint hierzulande ab 1969 über die psychoanalytische Community hinaus berühmt wurde: »Die Urformen der Liebe und die Technik der Psychoanalyse«; was mit »Urformen der Liebe« gemeint ist und welche Bedeutung dies für die analytische Praxis hat, wird hier skizziert. Ausführungen in »Über Reifungs- und Regressionszonen« ergänzen das Bild. »Zur Übermittlung in der Psychoanalyse« zeigt uns Michael Balints Position in Sachen psychoanalytischer Ausbildung; es finden sich hier Überlegungen, die Anlass geben, die säuberliche (Unter-)Scheidung von Heil-, Lehr- und Kontrollanalyse zu überdenken.

Über die Entstehung der »Balint-Gruppen«, deren Bedeutung für Qualifikation von Ärzt(inn)en und Sozialarbeiter(inne)n sowie ihre Entwicklungen und Fehlentwicklungen wird in »Seitenblick auf die Medizin« berichtet. In »Nach der Kontroverse um Ferenczi« wird dargestellt, wie sich Michael Balint in auf verschiedenen Ebenen auftretenden Kontroversen – auch in der um Sándor Ferenczi – positioniert. »Wissenschaftliche Position« beleuchtet schlaglichtartig, wie Michael Balint an Fragen der Metapsychologie herangeht, in welche Richtungen er die Grenzen der Psychoanalyse als Fachgebiet überschreitet und dass er die Bedeutung »sozialer Faktoren« anerkennt (wie das für die »freudianische Linke« charakteristisch ist. Der Abschnitt »Der psychoanalytische Forscher« schließt mit Worten, die dessen Inhalt verdichten: »Es besteht kein Zweifel daran, dass Balint seine Arbeiten in einem evolutionären Geist verstand, der Freud und natürlich Ferenczi die Treue hielt. Sein Ansatz war innovatorisch und hat zur Erneuerung des psychoanalytischen Denkens beigetragen.« (S. 103)

Bei und mit all den Ausführungen dieses fünften Kapitels entsteht ein Bild von Michael Balint, das ahnen lässt, wie er es fertig brachte, seinen seit 1932 (auch und gerade von Ernest Jones) verfemten Lehrer Sándor Ferenczi nie zu verraten und dennoch seinen Platz – im »Randgebiet«, wie er selbst sagt – einer psychoanalytischen Gemeinschaft zu behaupten, die über zwei Jahrzehnte dominiert wird von Ernest Jones, dem er wegen seiner Rettung nach England zu danken hat. Michael Balint war im Handeln, wozu auch das Schreiben gehört, abwägender, diplomatischer und vorsichtiger als Sándor Ferenczi; sein Stil war ausgewogen, geschmeidig und verbindlich.

Kapitel »VI Von Budapest nach London: Das Leben Michael Balints« bietet eine lebendig skizzierte Vita Michael Balints (1896 – 1970). Kurz, detailreich und durch immer neue Facetten überraschend, kann diese Skizze dazu anregen, eine auch hier noch immer fehlende Biographie zu schreiben; die könnte viele Fragen beantworten, die hier zu kurz kommen (mussten). Wir bekommen hier die Skizze eines Mann, der noch zu k. u. k. - Zeiten in Budapest als jüdischer »Bergsmann« geboren wurde und als trinitarischer »Balint« (als »Assimilierter«) in London stirbt, der als Soldat im 1. Weltkrieg mitkämpfen muss, die sich für Juden und Intellektuelle in der Zwischenkriegszeit zunehmend verschlechternde Situation in Mitteleuropa durchmacht, sich rechtzeitig – seine in Budapest verbliebenen Eltern werden von den Nazis in den Tod getrieben – nach London retten kann, dort seinen eigenen therapeutischen Stil entwickelt und institutionelle und wissenschaftliche Karriere macht.

Die Ausführungen in »VII Auftauchende Perspektiven: Zu den Kontroversen in der Psychoanalyse« beinhalten vieles, das speziell an die psychoanalytische Community gerichtet ist, und manches, was »überholt« scheint, weil die in den letzten zwei, drei Jahrzehnten erfolgte Entwicklung der Psychoanalyse »eingeholt« hat, was damals als Möglichkeit wie Notwendigkeit aufgezeigt wurde. Einige Ausführungen sind von zeitloser Gültigkeit und dürften auch in anderen psychotherapeutischen »Schulen« An- und Nachklang finden. Folgende etwa:

»Zu diesen Durchbrüchen im Erbe Ferenczis, von Balint erneut untersucht und weitergegeben, gehört die Bedeutung, die der Praxis zugemessen wird, auf Kosten einer von dieser losgelösten theoretischen Spekulation; die persönliche Anteilnahme des Analytikers als Schöpfer der analytischen Situation, der nicht aufhört, beteiligt zu sein; die Untersuchung der psychoanalytischen Situation in einer mehr beschreibenden als vorschreibenden Dimension; das Bestreben, die Veränderungskräfte in der Kur zu stärken, ihre Wirksamkeit, ihre Anpassung an das persönliche Leiden, welche Tiefe dies auch immer haben mag, um nicht von Schwere zu sprechen; die Beschreibung des analytischen Feldes in interpersonalen und intersubjektiven Begriffen, des menschlichen Wesens als aus einem interaktionalen Selbst bestehend; den entscheidenden Einfluß der Umgebung, selbst der Traumata, sowie der Mutter und der ersten ›mütterlichen Umwelt‹.« (S. 134)

Am Ende finden sich zunächst zwei Anhänge. Da ist einmal eine Liste der Kongresse der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) zwischen 1908 und 1985. Zum anderen findet sich hier die wohl heute noch aktuellste, 22 Seiten umfassende, Bibliographie der Arbeiten Michael Balints. Es folgen das Verzeichnis der Abbildungen, die auf den Seiten 138–148 zu finden sind, und ein recht ausführliches Namen- und Sachregister.

Diskussion

Léon Wurmser leitet das vorliegende Buch mit den Worten ein: »Dies ist ein faszinierendes, aufregendes Buch – historisch, doch höchst aktuell, philosophisch, doch direkt relevant für die psychoanalytische und psychotherapeutische Praxis, leidenschaftlich und fesselnd, doch solid und wissenschaftlich fundiert.« Diese nunmehr 15 Jahre alte Formulierung hat nichts von ihrer Gültigkeit und Eleganz verloren. Ich möchte anfügen: Das Buch beeindruckt auch durch den »Takt« des Autors.

Wenn im Titel des Buches von »Technik« die Rede ist, könnten viele – zumal jene, die mit Theorie und Praxis der Psychoanalyse weniger vertraut sind – meinen, es ginge um »therapeutische Technik« im Unterschied zu »therapeutischer Beziehung«. Das wäre ein Irrtum. Wenn hier von »Technik« gesprochen wird, ist »Beziehung« immer mit thematisiert. Deren Bedeutung ist für alle Spielarten der Psychotherapie, ja für jegliche Form der »helfenden Beziehung« groß. Darüber herrscht heute in der Forschung zur Psychotherapie Konsens. Im Jahre 2011 hat die gemeinsam von den Sektionen »Klinische Psychologie« (behavioral) und »Psychotherapie« (nicht-behavioral) der American Psychological Association gebildete Task Force on Evidence-Based Therapy Relationships (Leitung: John C. Norcross) als zentrale Untersuchungsbefunde festgehalten:
»Die therapeutische Beziehung leistet substanzielle und konsistente Beiträge zum Ergebnis einer Psychotherapie – unabhängig vom spezifischen Typ der Behandlung. Die therapeutische Beziehung trägt in mindestens demselben Maße wie die jeweilige Behandlungsmethode zum therapeutischen (Miss-)Erfolg bei.« (http://societyforpsychotherapy.org)

Daran anschließend findet sich eine Liste einzelner Faktoren, die aufgrund vorliegender Evaluationsforschung als »erwiesene« oder zumindest »wahrscheinliche« (positive) Wirkfaktoren zu gelten haben. Zur ersten Gruppe gehört etwa »Empathie« und zur zweiten beispielsweise »Wertschätzung«. Wer hier an Carl Rogers denkt, liegt nicht falsch. Aber längst vor ihm haben auf die Bedeutung dieser Punkte und überhaupt der therapeutischen Beziehung hingewiesen Sándor Ferenczi und Otto Rank, von dem Carl Rogers nach eigenem Bekunden neben seinen Klient(innen) am meisten gelernt hat (Heekerens & Ohling, 2005).

Der Münchener Psychoanalytiker Michael Ermann (https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Ermann) hat sich schon früh an Michael Balint orientiert und wandte sich zunehmend mehr dem Paradigma der Intersubjektivität zu. Zum Schluss seiner Ausführungen in »Sándor Ferenczi und der Institutionskonflikt der Psychoanalyse« lässt er ihn mit folgenden Worten von 1933 zu Wort kommen: »›Die Liebesrelation [ich würde bescheidener sagen: der Respekt; ME] kommt anscheinend weder im Subjekt A zustande noch im Subjekt B, sondern zwischen beiden. … Mutuelles Verständnis meint: Keiner will herrschen.‹« (Erdmann (2010, S. 9; http://www.m-ermann.de/mediapool). Das ist das zentrale Budapester Erbe, das auch Michael Balint antritt. »Hungarians were aware that psychoanalysis was a two-way street« (Paul Roazen, 2001 nach Mészáros, o. J., S. 7).

In seinen nicht-biographischen Partien folgt das Buch einem ideengeschichtlichen Ansatz. Dessen Stärken werden hier deutlich – ebenso aber seine Grenzen. So etwa im 4. Kapitel »Diskussionen über die psychoanalytische Praxis in den 20er und 30er Jahren«. Diese Diskussionen werden so dargestellt, als handle es sich um einen herrschaftsfreien Diskurs. Davon kann nicht die Rede sein. In besagten Diskussionen wird doch nicht nur eine Rolle gespielt haben, was jemand sagt, sondern auch wer dieser Jemand ist – und zwar in der institutionell verfassten Psychoanalyse. Welches Gewicht hatte etwa Theodor Reik, von dessen Buch »Der überraschte Psychoanalytiker« (1935) Otto Fenichel 1941 sagte, dass es »uns die beste Theorie über Intuition und Empathie gibt, die wir bis heute besitzen« (zitiert nach Angaben auf S. 72). Und welches Gewicht hatte damals Otto Fenichel?

In beiden Fällen kann die Antwort nur lauten: ein geringes. Ab den 1930ern verschiebt sich in Folge massenhafter Emigration aus Festlandeuropa der Schwerpunkt der Psychoanalyse zunehmend mehr in den angelsächsischen Bereich, insbesondere in die USA, die ab den 1930ern für Jahrzehnte den Ton angeben werden. Auch Otto Fenichel (https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Fenichel), zu Budapester Zeiten ein enger Freund Michael Balints, fand in den USA Exil: von 1938 bis zu seinem Tod 1946 in Los Angelos. Fuß gefasst hat er in den USA nie und sein Einfluss auf die dortige Analyse war zu seinen Lebzeiten gering; für die »Freudianische Linke« war da einfach kein Platz. Und dem ebenfalls 1938 in den USA gekommene Theodor Reik (https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Reik) wurde die Vollmitgliedschaft in der von Abraham Brill (https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Brill) mit gegründeten Psychoanalytische Vereinigung von New York die vollwertige Mitgliedschaft verweigert, weil er »Laien-Analytiker« (nicht-ärztlicher Psychotherapeut) war. Manchem Laien-Analytiker erging es – ausnahmsweise! – besser; etwa Hanns Sachs (http://www.psyalpha.net/biografien/hanns-sachs). Manchem schlimmer: Otto Rank musste sich 1930 nach seinem Vortrag auf einem großen, international und interdisziplinär besetzten Kongress aus dem Mund Abraham Brills, dem damaligen Präsidenten der Amerikanischen Psychoanalytischen Vereinigung, anhören, seine Ausführungen seien als »ein Zeichen seiner gegenwärtigen Fehlanpassung« (S. 377) anzusehen.

Damals hatte Otto Rank gerade seine 1925 begonnene, in Paris durchgeführte und von ihm als Fortsetzung der Arbeit an den »Entwicklungszielen« angesehene »Technik der Psychoanalyse« abgeschlossen. Die »Technik« erschien in drei Bänden: »Die analytische Situation« (1926), »Die analytische Reaktion« (1929) und »Die Analyse des Analytikers und seiner Rolle in der Gesamtsituation« (1931). In einem Buch zusammengefasst ist die »Technik« 2006 im Psychosozial-Verlag neu erschienen (Rank, 2006). Die Herausgeber, die Psychoanalytiker Ludwig Janus (http://www.ludwig-janus.de/) und Hans-Jürgen Wirth (https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-J%C3%BCrgen_Wirth) schreiben im Vorwort: Die »Technik« zeigt Otto Rank, »wie er in souveräner Eigenständigkeit ein neues Verständnis der analytischen Situation entwickelt und sein therapeutisches Konzept einer Willenspsychologie in deutlicher Abgrenzung zur damaligen psychoanalytischen Therapie entwirft, die wesentlich eine Widerstandsanalyse war« (S. 7). Man kann (heutzutage) in der »Technik« durchaus einen Beitrag zur damaligen psychoanalytischen Praxis sehen.

Im ganzen vorliegenden Buch, auch dort, wo man es erwartet hatte, im 4. Kapitel »Diskussionen über die psychoanalytische Praxis in den 20er und 30er Jahren« wird aber keiner der drei Bände der »Technik« auch nur erwähnt. Weshalb ist unklar. Hat der Autor, was unwahrscheinlich scheint, die »Technik« nicht gekannt? Hat er sie, was nachvollziehbar ist, nicht mehr als Beitrag zum psychoanalytischen Diskurs gerechnet? Ungereimtheiten bleiben. Etwa: Warum geht der Autor nicht auf Otto Rank ein, wohl aber auf Wilhelm Reich, nennt dessen einschlägige Schriften und referiert daraus, wo der doch der offiziellen Psychoanalyse ebenfalls als Dissident galt (bzw. noch immer gilt).

Otto Rank seinerseits bezieht sich in der »Technik« auf den psychoanalytischen Diskurs der 1920er; namentlich auch – und dabei im Ton kritisch bis an die Grenze der Abwertung – auf Sándor Ferenczi. Beispielsweise notiert er im ersten Band (Rank, 2006, S. 45), wo er die Entwicklung der Technik in der Psychoanalyse bis 1926 skizziert: »wir besitzen nur einige grundlegende Arbeiten von Freud (aus den Jahren 1904 bis 1918), aber nichts im wesentlichen darüber Hinausgehendes von seinen Schülern, mit Ausnahme von Ferenczis Beiträgen zur ›aktiven Therapie‹, die er aber kürzlich wieder eingeschränkt hat«; mit Letzterem spielt er auf »Kontraindikationen der aktiven psychoanalytischen Technik« von 1926 an. Und im 3. Band findet sich die Fußnote (Rank, 2006, S. 406): »Nach langen verwirrenden Umwegen ist Ferenczi kürzlich wieder bei einer ›Neokarthasis‹ gelandet, die er mit einem Relaxationsprinzip verbindet (Int. Zeitschr. Psa. XVI, 1930). Seine Technik lässt aber nach wie vor jede Konstruktivität vermissen.«

Man vermisst nicht nur Otto Rank, sondern auch »Galizien«. Davon spricht der Autor im ganzen Buch nicht, was verwundert, weil er sich in der Geographie, Geschichte und Kultur Mitteleuropas, aus dem er selbst stammt, doch gut auskennt. Beispielsweise ist für den Autor Sándor Ferenczis Vater »ein aus Polen eingewanderter Jude« (S. 47) und unter den um 1900 in Budapest vertretenen Ethnien führt er auf: »Juden aus Westpolen (das seit Maria Theresia der Doppelmonarchie angehörte)« (S. 45). Das Gebiet, das damals Österreich (nicht der Doppelmonarchie) bei der 1. polnischen Teilung 1772 im Petersburger Vertrag zwischen Preußen, Russland und Österreich »zugesprochen« wurde, ist als »Galizien« (damals so benannt) in die Geschichte eingegangen. Als politische Einheit verschwand es nach dem 1. Weltkrieg von den politischen Landkarten. Die danach verbliebenen immer noch zahlreichen Juden wurden ab 1941 auf Betreiben der Deutschen (Progrome in Lemberg und anderen Städten) oder von diesen selbst in den Tod getrieben oder umgebracht.

Heute liegt sein westlicher und kleinerer Teil Galiziens in Polen, sein östlicher mitsamt der damaligen Hauptstadt Lemberg (Lviv) in der Ukraine. Galizien war ein Land mit vielen Ethnien, Sprachen und Kulturen; und es war so arm, dass Auswanderung in großem Umfang stattfand. Insbesondere das dortige (ashkenasische) Judentum war ein großes Reservoir bedeutender – auch für die Psychoanalyse bedeutender – Geister, die selbst oder aber deren Vorfahren dort geboren worden waren. Nehmen wir zur Illustration Sigmund Freud selbst. Geboren wurde er in Freiberg in Ostmähren (Příbor) als Sohn eines bis dorthin gekommenen Galiziers aus der heutigen Ukraine. Aus dem heute zu Polen gehörendem Teil Galiziens stammt der Vater von Sándor Ferenczi, der zwar nicht nach Budapest, aber immerhin ins damals wie heute ungarische Mischkolz (Miskolc) gekommen war. Selbst in Galizien geboren ist eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die für die Entwicklung der Psychotherapie eine Rolle gespielt haben. Ich nenne hier nur – in alphabetischer Reihenfolge – die vier allgemein bekanntesten: Abraham Brill, Siegfried Bernfeld, Wilhelm Reich, Manès Sperber.

Fazit

Das Buch ist – weit über den Kreis der Psychoanalytiker(innen) hinaus – all jenen zu empfehlen, die von der Bedeutung der Beziehung(sgestaltung) zwischen Patient(inn)en und Therapeut(innen) bzw. Klient(inn)en und Berater(inne)n überzeugt sind. Berater(innen) und Psychotherapeut(inn)en, die sich der »Dritten Kraft« (den Ausdruck Abraham Maslow geprägt) zurechnen, können (auch) hier studieren, dass die Geschichte der Humanistisch-Experienziellen Psychotherapie nicht erst mit Carl Rogers begann, sondern rund zwei Jahrzehnte früher mit (Otto Rank und) Sándor Ferenczi.

Literatur
• Cremerius, J. (1983). »Die Sprache der Zärtlichkeit und der Leidenschaft«. Reflexionen zu
• Sandor Ferenczis Wiesbadener Vortrag von 1932. Psyche, 37, 988-1015.
• Falzeder, E. (1984). Die »Sprachverwirrung« und die »Grundstörung«. Die Untersuchungen Sandor Ferenczis und Michael Balints über die Entstehung aus Auswirkungen früher Objektbeziehungen. Unveröff. Diss., Univ. Salzburg.
• Harmat, P. (1988). Freud, Ferenczi und die ungarische Psychoanalyse. Tübingen: Edition Diskord (deutsche Übersetzung des 1986 in Bern bei Európai Protestáns Magyar Szabadegyetem erschienenen ungarischen Originals von Pál Harmat: Freud, Ferenczi és a magyarországi pszichoanalísis).
• Haynal, A. (1988). Probleme aus der Geschichte der psychoanalytischen Praxis und Technik. Psyche, 42, 561-576.
• Heekerens, H.-P. (2014). Rezension vom 20.03.2014 zu Ferenczi, S. (2013). Das klinische Tagebuch. Gießen: Psychosozial-Verlag (www.socialnet.de/rezensionen/16363.php).
• Heekerens, H.- P. & Ohling, M. (2005). Am Anfang war Otto Rank: 80 Jahre Experienzielle Therapie. Integrative Therapie, 2005, 31, 276-293.
• Lieberman, E. J., (2014). Otto Rank. Gießen: Psychosozial-Verlag (Socialnet Rezension: www.socialnet.de/rezensionen/16563.php).
• Mészáros, J. (o. J.). Sándor Ferenczi and the Budapest School of Psychoanalysis. (www.newschool.edu/).
• Rank, O. (2006). Technik der Psychoanalyse Band I – III (hrsg. von L. Janus und H.-J. Wirth). Gießen: Psychosozial-Verlag
• Reichardt, S. (2014). Authentizität und Gemeinschaft. Berlin: Suhrkamp Verlag (Socialnet Rezension: www.socialnet.de/rezensionen/16987.php).
• Rudnytsky, P. L., Giampieri-Deutsch, P. & Bokay, A. (Hrsg.) (2000). Ferenczi„s turn in psychoanalysis (Neuaufl.). New York: New York University Press.
• Schuch, H. W. (1994). AKTIVE PSYCHOANALYSE – Sándor Ferenczis Beitrag zur Technik der Psychotherapie (http://dr.hans-waldemar-schuch.de).
• Zienert-Eilts, K. (2013). Karl Abraham. Gießen: Psychosozial-Verlag (Socialnet Rezension: www.socialnet.de/rezensionen/16718.php).

Zitiervorschlag
Hans-Peter Heekerens. Rezension vom 26.08.2015 zu: André Haynal: Die Technik-Debatte in der Psychoanalyse. Freud, Ferenczi, Balint. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2015. 3. Auflage. ISBN 978-3-8379-2507-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/19358.php, Datum des Zugriffs 21.12.2016.

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