Rezension zu Kinder brauchen Männer
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Rezension von Anne Amend-Söchting
Thema
Inzwischen dürfte niemand mehr auf die Idee kommen zu hinterfragen,
dass Kinder für ihre gesunde Entwicklung Männer genauso wie Frauen
brauchen. Dass Männer jedoch nicht nur in vielen öffentlichen
Bereichen der Betreuung und Erziehung noch unterrepräsentiert sind,
sondern auch im Familienleben oftmals nur selten zur Verfügung
stehen, unterstreichen die Beiträge des vorliegenden Bandes.
Ungleich bedeutender als die Diagnose eines solchen Status quo sind
die Forschung nach Ursachen und die Suche nach Perspektiven für die
Erhöhung des Männeranteils in professionellen Kontexten. Die
psychoanalytisch ausgerichteten Studien beweisen zudem
eindrücklich, welche entscheidende Rolle dem Vater im Rahmen der
ödipalen Triangulierung, im Dreieck Mutter-Vater-Kind, zukommt.
Herausgeber
Die Herausgeber des Sammelbandes, Josef Christian Aigner und Gerald
Poscheschnik, arbeiten beide am Institut für Psychosoziale
Intervention und Kommunikationsforschung der Universität Innsbruck.
Josef Christian Aigner, Prof. Dr. phil., Dr. h.c., ist Professor
für Psychosoziale Arbeit und Psychoanalytische Pädagogik und
gleichzeitig Psychoanalytiker, Psychotherapeut sowie
Erziehungswissenschaftler. Gerald Poscheschnik ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter, Klinischer und
Gesundheitspsychologe.
Entstehungshintergrund
In dem Buch finden sich Studien aus dem Forschungsprojekt
»elementar – Männer in der pädagogischen Arbeit mit Kindern«
(2008-2011, Universität Innsbruck), und – wie Aigner und
Poscheschnik schreiben – »zahlreiche weitere Projekte und Beiträge
von Kolleginnen und Kollegen aus der empirischen wie theoretischen
Forschung zu diesem recht neuen Thema« (S. 14/15). So entsteht ein
interdisziplinärer und multimethodaler Strauß an Stimmen zu einem
wissenschaftlich, gesellschaftlich und alltagspraktisch hoch
relevanten Themenkreis.
Aufbau
Auf das Vorwort, für das unter dem plakativen und
chiastisch-antithetischen Titel (»Kinder brauchen Männer – Männer
brauchen Kinder!«) die beiden Herausgeber verantwortlich zeichnen,
folgen in tendenziell lockerer Reihenfolge insgesamt elf
Einzelbeiträge, deren Untertitel, was positiv hervorzuheben ist, im
Inhaltsverzeichnis abgedruckt sind. Am Ende jeder Studie findet
sich ein ausführliches Literaturverzeichnis.
Inhalt
Am Anfang stehen Aigners Überlegungen zu den »public fathers«
(»›Public Fathers‹. Zur Bedeutung und Problematik der
Mann-Kind-Beziehung in der öffentlichen Erziehung«). Ausgangspunkt
ist einerseits die »Diagnose des ›fernen Vaters‹« (S. 25),
andererseits die Neigung vieler Menschen Institutionen und
öffentlich agierende Figuren zu parentifizieren. »Public fathers«,
ein spontan kreierter Begriff (vgl. S. 15), bezeichnet »Männer, die
durch ihre berufliche Tätigkeit in der öffentlichen Erziehung in
der Lage sind, bei Kindern so etwas wie eine väterliche Instanz zu
repräsentieren« (S. 26). Dabei stellt sich die Frage, wie »positive
Väterlichkeit« zu konkretisieren ist. Das Attribut scheint zwar
bereits auf Schüler im Bereich der Elementarpädagogik zuzutreffen,
aber nur bedingt die öffentliche Wahrnehmung von Familienvätern zu
bestimmen. Vielmehr sei hier ein Defizit zu konstatieren, ein Manko
einer väterlichen Autorität, das der Herrschaft anonymer Systeme
Vorschub leiste. Damit, so konstatiert Aigner, »scheint mir eine
derzeit gar nicht so latente, verbreitete Misandrie
zusammenzuhängen« (S. 32), woraus sich die Forderung ergebe zu
zeigen, dass »Mannsein« erstrebenswerte Ziele berge, an denen sich
Heranwachsende orientieren könnten. Darüber hinaus spricht Aigner
als erster Beiträger »das Dreieck Mutter-Vater-Kind« (S. 33) an um
hinsichtlich dieser Triangulierung zu explizieren, dass es
notwendig sei die »Männlichkeit des Jungen« in Prozessen »der
Bestätigung und Anerkennung durch Männer bzw. durch Frauen, die die
Männlichkeit anerkennen können« (S. 34) wertzuschätzen.
Im zweiten Beitrag, »Männer in der Elementarpädagogik. Ein
internationales Thema«, erwähnt Tim Rohrmann zunächst, dass, auch
auf der Ebene internationaler Betrachtung, der Anteil männlicher
Pädagogen im Elementarbereich meist unter der 5%-Marke liegt.
Lediglich die absoluten Zahlen männlicher Beschäftigter sind
angestiegen. Männer, die sich für eine Tätigkeit in der
Frühpädagogik entscheiden, so legt Rohrmann dar, haben oftmals
keinen lückenlosen Lebenslauf aufzuweisen. Ihre Situation in den
Einrichtungen selbst sei in hohem Maße ambivalent. Gute Chancen auf
dem Arbeitsmarkt und eine ausgeprägte Arbeitszufriedenheit gehen
jedoch einher mit problematischen Aspekten, so etwa geringe
Bezahlung und vor allem eine als dominant erlebte weibliche Kultur,
in die man sich einzuordnen habe. Rohrmann benennt diverse Projekte
zur Erhöhung des Männeranteils in Kindertagesstätten, so etwa
Männer in Kitas, und betont, dass diese gesellschaftliche und
politische Unterstützung benötigen.
Als nächstes konzentrieren sich Tim Rohrmann, Bernhard Koch,
Barbara Mösinger-Strubreither und Gabriele Schauer auf das Thema
»Männer in Kindergärten und Ausbildungseinrichtungen in
Österreich«. Sie berichten über das Forschungsprojekt »elementar«
und die damit unter anderem einhergehende empirische Studie zum
Thema »Männer in der Elementarpädagogik« (S. 62). Diese basiert auf
Befragungen der beteiligten Personengruppen. Die Autoren beginnen
die inhaltsanalytische Auswertung mit Aussagen zu »allgemeinen
Einstellungen zu Männern im Kindergarten« (S. 62), zeichnen danach
unter anderem »Wege in den Beruf« (S. 66) nach und stellen die
Frage, ob es einen »männlichen Stil« in der Erziehung gebe (S. 70).
Die Antworten legen die tägliche Erfahrung einer Gratwanderung
nahe: Einerseits haben es die Männer mit einer zumindest impliziten
Erwartungshaltung zu tun, die sich an ihre »Männlichkeit« knüpfe,
andererseits sei es unerwünscht, wenn diese Erwartungshaltung
erfüllt werde, stünde dies doch im Gegensatz zu den Normen des
Kindergartens. Abschließend eruieren die AutorInnen aus ihren
Forschungsergebnissen »Strategien zur Erhöhung des Männeranteils«
(S. 79).
Die Studie »Bodybuilder, Dandys, Kinderflüsterer. Biografie und
Männlichkeitskonstruktionen von Kindergartenpädagogen« von Gerald
Poscheschnik und Josef Christian Aigner beinhaltet die
psychoanalytisch-tiefenhermeneutische Auswertung von insgesamt
zwölf Tiefeninterviews mit Kindergartenpädagogen. Daraus
resultiert, dass die Väter dieser Erzieher meist dem
»klassisch-distanzierten Typus« (S. 84) entsprachen, das Verhältnis
zur Mutter nur vordergründig unbelastet war und meistens eine
»positive männliche Bezugsperson« (S.85) außerhalb des Vaters
gefunden werden konnte. »Der Kindergarten als symbolischer Raum«
(S. 87) erlaube es diesen meistens sehr altruistisch orientierten
Männern »die als defizitär erlebte Vaterrolle kompensatorisch zu
reinszenieren« (S.88). Die Tätigkeit mit den Kindern garantiere
eine »enorme narzisstische Gratifikation« (S. 90) im Abseits
männlicher Konkurrenz. Aus den Antworten zu den Fragen des
Interviews, die »die Männlichkeitsentwürfe der Interviewten« (S.
94) in den Blick nahmen, ergeben sich zwei Möglichkeiten, die
»Prekarität des Geschlechts« (S.95) zu verarbeiten: während Männer,
die eine »protomaskuline Position« einnehmen, alles traditionell
Männliche überbetonen und großen Wert auf die Abgrenzung zum
Weiblichen legen, nähern sich Männer auf »semifemininer Position«
ihren Kolleginnen an und sind im schlimmsten Fall misandrisch.
»Was bringen Männer in die Erziehung ein?« – diese Frage stellt
Holger Brandes und referiert dabei »Zum Forschungsstand über Männer
als Väter und pädagogische Fachkräfte«. Der Mangel an männlichen
Erziehern gehe mit einem Mangel an wissenschaftlichen Beiträgen zum
Thema konform. Brandes fasst den Stand der Forschung zusammen und
reflektiert ihn. Die Ergebnisse von Studien, die Männer als Väter
untersuchen, seien widersprüchlich: Einerseits zeigen sich so gut
wie keine Unterschiede im Verhalten von Müttern und Vätern zu
Kindern, andererseits scheine aus der bindungstheoretischen
Forschung hervorzugehen, dass insofern eine Differenz bestehe, als
das Bindungsverhalten eher durch die Mutter, das
Explorationsverhalten eher durch den Vater gesteuert werde (vgl. S.
111). Allerdings beklagten einige Forscher die »Eindimensionalität
der bisherigen Untersuchungsdesigns« und sprächen sich für eine
kritische Interpretation der Forschungsergebnisse aus, die die
Lebenswelt der Beteiligten berücksichtige. Geht man über zum
professionellen pädagogischen Handeln, dann verflachen die
Unterschiede. Der Autor bezieht sich auf die sogenannte
»Tandemstudie« (vgl. S. 116), in deren Verlauf 41 männliche und 65
weibliche pädagogische Fachkräfte in ihrer Interaktion mit einem
Kind beobachtet wurden. Obwohl sich in fachlicher Hinsicht keine
geschlechtsbezogenen Unterschiede in der Interaktion manifestieren,
lässt die Studie vermuten, »dass die Fachkräfte hinsichtlich
Materialien, Themen und Spielprinzipien geschlechtstypische
Neigungen einbringen, die mit denen von Jungen und Mädchen
korrespondieren« (S. 118). Daraus erhellt, dass sowohl weibliche
als auch männliche Fachkräfte ihr Verhalten immer wieder
reflektieren und weiter professionalisieren müssen.
Johannes Huber und Laura Burkhardt berichten über die »Innsbrucker
Pilotstudie zur Wirkung männlicher Kindergartenpädagogen
(Innsbrucker Wirkungsstudie W-INN)«, in deren Mittelpunkt
Videoaufzeichnungen aus dem Kindergartenalltag stehen (»Männliche
Pädagogen als Bezugspersonen für Jungen und Mädchen. Ein
multimethodaler Zugang zum elementarpädagogischen Wirkungsfeld«).
Während ein quantitatives Ratingverfahren im Rahmen eines
»Fachkräfte-Rating« Aussagen zur »erzieherischen Qualität«,
»Gruppendynamik« und »gendersensiblen Interaktivität« zulässt und
im Rahmen eines »Zielkinder-Rating« vor allem »beobachtbare
Verhaltenstendenzen von Jungen und Mädchen gegenüber männlichen und
weiblichen Fachkräften« erfasst werden können, ermöglicht eine
qualitative »Interaktions-Sequenzanalyse« die Betrachtung
dyadischer Fachkraft-Kind-Interaktionen. Vor allem diese bringt
deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede im Umgang der
Fachkräfte mit den Kindern ans Licht. Auf einen Nenner gekürzt
lassen sich diese als »Interaktionsmuster« bezeichnen, »die die
potenziell herausfordernde Wirkung von Männern im Kontakt mit
Kindern« (S. 135) bestätigen.
Unter dem Titel »Mehr Männer in den Kindergarten – ein steiniger
Weg. Strategien zur Erhöhung des Anteils von Männern in der
professionellen Erziehung« führt Bernhard Koch aus, wie ein
»Kindergarten als ›gendered Organisation‹« (S. 139) aussehen kann.
Die differenzierten Überlegungen münden in eine zusammenfassende
Charakterisierung von Kindergärten, die Frauen und Männern einen
adäquaten Arbeitsplatz bieten können. Neben allgemeinen Merkmalen,
wie etwa »generelle Offenheit des Trägers, der Leitung und des
Teams für Innovationen« (S. 147) stehen das »Vorhandensein sowohl
von ›weiblich konnotierten‹ als auch von ›männlich konnotierten‹
Symbolen, Körpern, Werthaltungen, Dingen und Verhaltensweisen«
sowie vor allem »Geschlechterparität als Konzeptionsbestandteil«
(ebd.).
Nachfolgend widmet sich Frank Dammasch der Analyse repräsentativer
Narrative aus seiner psychoanalytischen Praxis und schlägt damit
eine neue Richtung im Kontext des Sammelbandes ein (»Warum brauchen
auch Mädchen einen männlichen Dritten? Psychoanalytische
Erfahrungen mit der Vatersehnsucht«). Die zehnjährige Carla, die
ihren Vater nur kurz vor seiner Emigration nach Schweden
kennengelernt hat, konstruiert sich zwar in ihrer Fantasie einen
Ersatzvater, aber die Absenz des realen Vaters bedeutet
gleichzeitig die Absenz ödipaler Realität. Im Gegensatz zu Carla
hatte die achtjährige Rita eine sehr innige Beziehung zu ihrem
Vater, bevor dieser verunglückte. Beide Mädchen folgen einem
idealisierten Vaterbild, das sie in der Psychotherapie auf den dort
wirksamen »männlichen Dritten« übertragen (S. 164). Abschließend
erläutert Dammasch, welche »psychischen Basisfunktionen der
Väterlichkeit« (S. 166) bei Jungen zu unterscheiden sind und in
welchem Maße Mädchen auf die Unterstützung durch den Vater
angewiesen sind (ebd.).
Lothar Bönisch beginnt seine Argumentation mit der These, dass dem
»Diskursideal der Geschlechtergleichheit im Partnerschaftsalltag
eine Praxis der Geschlechterungleichheit entgegenstehen kann« (S.
170). Dass die titelgebende Frage »Bedürftige Väter?« alles andere
als unberechtigt ist, unterstreicht unter anderem die »Südtiroler
Männerstudie« aus dem Jahre 2010. Obwohl der Anspruch der aktiven
Präsenz des Vaters im Familienalltag besteht, spricht die
Lebenswelt der Väter eine andere Sprache. Viele sind trotz
entgegengesetzter Wünsche nach wie vor stark von Arbeit und Beruf
absorbiert. Was bleibt, so konstatiert Bönisch, ist die
»ambivalente Befindlichkeit« (S.180) eines Vaters, der zwischen den
ökonomischen Anforderungen der Berufswelt und den Bedürfnissen der
Familie stehe. Die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie
sei inzwischen nicht mehr ausschließlich ein Problem der
Frauen. [1]
Der Beitrag »Die Bedeutung des Vaters und die neuen Formen der
Elternschaft« von Hans-Geert Metzger schlägt eine neue Saite der
Diskussion an. Sich beziehend auf »neue Elternschaften« (S. 184)
und die Reproduktionsmedizin, moniert der Autor, dass manchen
Spenderkindern »die essenzielle Erfahrung mit ihrem Vater« und
damit »tatsächlich eine Hälfte ihrer Eltern« (S. 186) fehle. Fragen
nach allem, was diese Fremdheit betreffe, seien unerwünscht, an die
Stelle der »Forderung nach Gleichberechtigung«, so folgert Metzger,
sei die »Forderung nach Gleichartigkeit« (S. 187) getreten, die
jedwede Differenz ausschließen solle. Die Gendertheorie, so
argumentiert Metzger weiter, vertrete »die ideologische Absicherung
der Gleichheit« (S. 188) und stigmatisiere das Vaterbild, weil es
eng mit Machtstrukturen verquickt sei. Eine an sich unerfüllbare
Forderung nach Gleichheit ziehe unterschiedliche Formen der
Bewältigung nach sich, so etwa der »defensive Rückzug« (S. 192) und
die »phallisch-narzisstische Einstellung« (S. 193). Mit Bemerkungen
zum »väterlichen Raum« rundet Metzger seine Ausführungen ab. Da
»die ödipal geprägte Väterlichkeit infrage gestellt« (S. 196)
werde, sei ein neues »Leitbild« vonnöten, das die
»unterschiedlichen Qualitäten der Vaterschaft integrieren« (S. 198)
könne.
Thilo Naumann beendet den Sammelband mit der Studie »Kindliche
Entwicklung, Familie und Pädagogik in der heterosexuellen Matrix«.
Vor dem Hintergrund einer Kritik an der Heteronormativität, an
einer heterosexuellen Matrix, der eine »destruktive Wirkmacht« (S.
203) zu bescheinigen sei und die trotz zunehmender
Problematisierung dominiere, plädiert Naumann dafür, »Kindern
geschlechtlich triangulierende Erfahrungen mit vielfältigen
Weiblichkeiten und Männlichkeiten zu ermöglichen« (S. 210). In
traditionellen Familienformen verwirkliche einer von sechs
ermittelten Vatertypen, der »egalitäre Vater« (S. 214), das
Desiderat einer »selbstbestimmten väterlichen Identität« (S. 212),
die mit Mutter und Kind in eine Triangulierung eintreten könne. Ein
kurzer Blick auf Regenbogenfamilien zeigt, dass die Vorurteile
gegenüber gleichgeschlechtlichen Eltern, so etwa, dass eine
Konfusion der Geschlechtsidentität bei den Kindern entstehe,
unbegründet sind. Die heteronormative Prägung des Kita-Alltags
müsse kritisch hinterfragt werden. Naumann skizziert pädagogische
Konsequenzen, die sich in erster Linie am »Anti-Bias-Approach«
orientieren und das Reflexionsvermögen der pädagogischen Fachkräfte
so fordern – dies belegt er mit einem Beispiel aus der Praxis –,
dass sogar eine »nachholende innere Triangulierung, eine Versöhnung
mit der unweigerlichen geschlechtlichen und sexuellen Begrenztheit«
(S. 220) möglich sein könnte.
Diskussion
Obwohl ausnahmslos alle Texte, die in »Kinder brauchen Männer«
versammelt sind, ihren spezifischen und hochwertigen Beitrag zum
Forschungsgebiet »Männer in der privaten und öffentlichen
Erziehung« leisten, seien die psychoanalytisch akzentuierten
Studien in besonderem Maße hervorgehoben. Sie liefern nicht selten
auf partikularer Ebene die Erklärung dessen, was schnell über das
Individuelle hinaus zu einem Typischen avanciert: Jenseits
quantitativer Erhebungen manifestiert sich auf diese Weise ein bei
den Einzelausprägungen ansetzendes Induktives, ganz besonders in
den Texten von Frank Dammasch (S. 151 ff.), Lothar Böhnisch (S. 169
ff.) und Thilo Naumann (S. 201 ff.), das – allerdings auf eher
unhinterfragter theoretischer Grundlage – Schlussfolgerungen
allgemeinerer Natur erlaubt.
Zwar sind an manchen Stellen ideologische Differenzen zwischen den
Beiträgern zu vermuten (dies scheint insbesondere auf Metzger und
Naumann zuzutreffen), allerdings überwiegen die einenden Elemente,
die sich nicht zuletzt in einer Reihe von, alle Disziplinen
durchwandernden, Querschnittthemen äußern, als da sind:
1. »Public fathers« – einerseits konturiert dieser Begriff den
Anspruch, der an männliche Elementarpädagogen herangetragen wird,
andererseits konkretisiert er die oftmals a priori enthusiastische
Akzeptanz derselben. Diese Ambivalenz, so verantwortungsvoll und so
vertrauenswürdig wie ein Vater sein zu können, gleichzeitig jedoch
ohne eigenes Zutun als »Fürst«, »König« (vgl. S. 90 ff., S. 141
ff.), zumindest aber als »Exot« gefeiert zu werden, scheint für
Männer in öffentlichen Erziehungskontexten prägend zu sein und
kommt in vielen Beiträgen zur Sprache. Es liegt auf der Hand, dass
die alleinige Präsenz eines Mannes noch lange keine gute Pädagogik
ausmacht.
2. Die Suche nach Geschlechteregalität bei gleichzeitiger
Anerkennung der Differenzen – bezogen auf die pädagogische Praxis
illustrieren die Beiträge, dass im professionellen Handeln im
Allgemeinen kaum geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen (vgl.
Brandes, S. 117), dass aber zumindest in dyadischen Interaktionen
und bei der Auswahl der Aktivitäten ein Gefälle zwischen männlichen
und weiblichen Fachkräften zu beobachten ist (Huber und Burkhardt,
S. 135; Brandes, 105 ff.).
3. Immer wieder haben Männer in elementarpädagogischen Settings mit
dem »Generalverdacht« der Pädophilie zu kämpfen. Darauf weisen
unter anderem Aigner (S. 32), Rohrmann (S. 48) und Rohrmann et al.
hin (S. 76).
4. Die Ausbildung der zukünftigen ErzieherInnen – für Österreich
beklagen Aigner (S. 26) sowie Rohrmann et. al. (S. 61), dass die
Ausbildung auf Sekundarschulniveau stattfinde und zu früh beginne.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele männliche Mitarbeiter
erst auf Umwegen in eine Kindertagesstätte gelangen.
Als »Hyperthema«, als eine Art »Meta-Querschnitt«, sind alle Fragen
zu nennen, die sich um den schier unüberschaubaren Bereich Egalität
und Differenz ranken. Trotz vieler punktueller Erklärungsansätze
und aufkeimender Antworten bleibt hier leider ein Manko, besser,
eine Leerstelle bestehen, die gefüllt werden müsste, wobei
selbstredend immer der Verdacht mitschwingt, dass eine solche
Forderung a priori obsolet sein könnte. Die inzwischen bis zum
Exzess beschworene Differenz von Sex und Gender kommt so abgenutzt
daher, dass man es kaum mehr wagt erneut an sie zu erinnern. Und
dennoch: gerade hier wären so klare Positionen wie möglich
wünschenswert, weil im gegenteiligen Fall vieles im Vagen
verbleibt. Welche »typisch weiblichen« und welche »typisch
männlichen« Attribute sind biologisch gegeben, sind Natur, welche
werden konstruiert, sind also Kultur? In manchen Beiträgen scheint
die Psychoanalyse die Deutungshoheit so weit zu beanspruchen, dass
ihre Erkenntnisse als »Natur« erscheinen. Das ist nicht
ausgeschlossen, aber: quod est demonstrandum. Etwas mehr
Trennschärfe wäre nützlich gewesen, bei gleichzeitigem Bewusstsein,
was paradoxal wirkt, dass diese, bezieht man sie auf den heutigen
Wissensstand, ebenfalls eine Konstruktion ist.
Erwarten sollte man, dass WissenschaftlerInnen, die zu der
gesellschaftlichen Rolle von Männern und/oder Väter im Allgemeinen
und zu männlichen pädagogischen Fachkräften im Besonderen
publizieren, von der insgesamt sehr bunten Gendertheorie
profitieren, diese aufmerksam rezipieren und sich davor hüten bei
Unstimmigkeiten ins Polemische abzurutschen. Eindeutig in diese
Bresche schlägt Hans Geert Metzger, der mit Vorwürfen gegenüber
VertreterInnen von Gendertheorien nicht sparsam umgeht, diese aber
nur unzureichend begründet (vgl. S. 183 ff.).
Wenn man das vermutlich wichtigste Ergebnis für öffentliches
pädagogisches Handeln aus den hier vereinten Forschungen
herausfiltert, dann ist zu wiederholen, dass im professionellen
Handeln kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu beobachten
sind. Eine Differenz offenbart sich zum einen in der konkreten
dyadischen Interaktion und in den Angeboten, die von respektive
weiblichen und männlichen Fachkräften ausgehen. Ob hier erneut die
Gefahr droht Stereotypen von Männlichkeit und Weiblichkeit
aufzusitzen, sei dahingestellt. Abschließend betont sei lediglich,
dass es auf Dauer in einem geschlechtergerechten und
gendersensiblen Umfeld alltäglich werden müsste, dass alle
Angebote, bestehen sie beispielsweise eher aus stillem Sitzen,
Malen, Falten und Handarbeiten oder überwiegen in ihnen körperliche
Aktivität, Raufen und Rennen, sowohl von Frauen als auch von
Männern ausgehen sollten.
Fazit
Auf einer basalen Ebene sei das Buch allen empfohlen, die über die
schlichte Aussage, dass auch Männer in Kitas gehören, hinausgehen
wollen. Es liefert Begründungszusammenhänge, fördert Reflexion und
Professionalität im Hinblick auf Geschlechteregalität, die in
elementarpädagogischen Kontexten verwirklicht werden muss. Egalität
funktioniert jedoch nur bei gleichzeitiger Anerkennung der
Differenz und vor dem Hintergrund der Dekonstruktion
genderbedingter Stereotypen. Methodisch könnte dies mit dem
sogenannten »Anti-Bias-Ansatz« von Louise Derman-Sparks geschehen,
den Thilo Naumann erfreulicherweise am Ende des Bandes würdigt. Die
Anerkennung einzelner, »konkreter«, Familien, Eltern und Kinder
erlaubt es nicht nur die Folie der Heteronormativität kritisch zu
hinterfragen (vgl. S. 217), sondern ist ebenfalls die Matrix für
die dynamische Ambivalenz geschlechtergerechten und gendersensiblen
Handelns.
Viele Beiträge des Bandes, vor allem dann, wenn sie über
Empirizität hinausgehen, fordern dazu heraus kritische Fragen zu
stellen und quer zu denken, Bekanntes zu unterhöhlen, gegen den
Strich zu bürsten und dabei immer wieder ideologische Prämissen zu
überprüfen. Aus dieser intellektuellen Beweglichkeit lassen sich
einlösbare und anschlussfähige Perspektiven für die Zukunft der
privaten und öffentlichen Erziehung entwickeln.
[1] Vgl. dazu auch: Marc Brost und Heinrich Wefing: »Wenn du mal
ehrlich bist. Warum ist es so schwer, alles miteinander zu
vereinbaren – das Vatersein, die Liebe und den Job?«, in: Die Zeit
14, 1. April 2015, S. 48.
Zitiervorschlag
Anne Amend-Söchting. Rezension vom 13.08.2015 zu: Josef Christian
Aigner, Gerald Poscheschnik (Hrsg.): Kinder brauchen Männer.
Psychoanalytische, sozialpädagogische und
erziehungswissenschaftliche Perspektiven. Psychosozial-Verlag
(Gießen) 2015. ISBN 978-3-8379-2494-7. In: socialnet Rezensionen,
ISSN 2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/18620.php,
Datum des Zugriffs 21.12.2016.
www.socialnet.de