Rezension zu Musik und Demenz (PDF-E-Book)
BFS-Info 8/2015
Musik und Demenz. Ein Modellprojekt für die Arbeit mit
Demenzkranken
Mit den Mitteln der Musik »die Person hinter der Demenz wieder
sichtbar zu machen«, das ist das Anliegen eines neuen Fachbuches.
Es basiert auf dem Modellprojekt »Music for Life«, das 1993 von der
Musikpädagogin Linda Rose in England ins Leben gerufen und in
Zusammenarbeit mit dem Pflegeheimträger »Jewish Care« und
zahlreichen Musikern weiterentwickelt wurde. Seit 2009 wird das
Projekt von der Londoner Wigmore Hall, einem weltberühmten
Aufführungsort für Kammerkonzerte, und der Hilfsorganisation
»Dementia UK« unterstützt. Nun wurde deren Arbeit systematisch
wissenschaftlich ausgewertet.
Auf Basis von Gesprächen, Feldbeobachtungen, Reflexionstagebüchern
und Interviews haben Peter Alheit, Kate Page und Rineke Smilde
empirisch untersucht, wie Musik und Demenz interagieren. An dem
Forschungsprojekt waren drei Musiker, acht Frauen, die an Demenz
erkrankt sind, fünf Pflegepersonen, ein Personalleiter des
Pflegeheims, eine Projektkoordinatorin und drei wissenschaftliche
Beobachter beteiligt, die in kreativen musikalischen Workshops im
Rahmen des Projekts »Music for Life« zusammengearbeitet haben. In
diesen wöchentlichen Musikstunden sitzen Demenzkranke,
Pflegepersonal und Musiker in einem Stuhlkreis um leicht zu
spielende Instrumente herum. Jede Sitzung beginnt mit dem gleichen
Stück, gefolgt von einem Willkommenslied, das die Namen der
Teilnehmer enthält und zum wiederkehrenden wechselseitigen Erkennen
beiträgt. Anschließend improvisieren alle gemeinsam und drücken
ihre Gefühle in Form von schnellen oder langsamen Rhythmen, lauten
oder leisen Tönen und verschiedensten Klängen aus. Demenzkranke
können die Musiker dirigieren, mitmusizieren oder sogar ein eigenes
Stück spielen.
Die »Music-for-Life«-Workshops sind ein inspirierender Ansatz für
Musiker, Pflegekräfte und Familienangehörige von Demenzkranken
jenseits der Anregung an das Pflegepersonal, »mit ihren Klienten
Kinderlieder zu singen, um die Stimmung zu heben«. Stattdessen
beschreibt die qualitative Studie, wie Musik Zugang zu einem
Menschen finden kann, wo die Sprache ihn nicht mehr findet. Und wie
Musik dazu beitragen kann, die Beziehung zwischen Demenzpatienten
und Pflegepersonal sowie Angehörigen zu stärken.
Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel. Auf die Einführung folgen
der konzeptionelle Rahmen und die zugrunde liegende
Forschungsmethodologie, das Konzept der »Grounded Theory«
(»empirisch begründete Theorie«). Der wichtigste und ausführlichste
Teil der Studie, Kapitel 4, besteht aus einer intensiven Analyse
und Interpretation des vielfältigen Forschungsmaterials. Dabei
werden vier »Kernkategorien« der Interaktion zwischen Musik und
Demenz (Identität, Kommunikation, Partizipation und Entwicklung)
herausgebildet. In Kapitel 5 werden die Forschungsergebnisse zu
einem theoretischen Konzept in Bezug auf soziales Lernen und
professionelles Lernen für Musiker zusammengefügt.
»While the music lasts«, so lautet der Titel des Buches im
englischen Original. Dass am Ende die Musik bewirken kann, dass
eine demenzkranke Person »aus ihrer Dunkelheit heraustritt« und in
ihrer Persönlichkeit wieder sichtbar wird, ist eine wichtige
Erkenntnis. Vor diesem Hintergrund fordern die Autoren den Ausbau
kreativer und innovativer Arbeitsformen wie im Projekt »Music for
Life« im Umgang mit Demenz, einer Krankheit, die jeden treffen
kann. Das Buch ist keine Praxisanleitung für die Nutzung von Musik
bei der Arbeit mit Demenzkranken. Es liefert vielmehr die
wissenschaftlichen Grundlagen für den Einsatz und die Potenziale
von Musik im Umgang mit Demenz. Das Inhaltsverzeichnis und eine
Leseprobe sind unter www.psychosozial-verlag.de abrufbar.
www.sozialbank.de