Rezension zu Mit vereinten Kräften
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Rezension von Dr. Barbara Stiegler
Thema
Dies ist der zweite Band über die Geschichte der DGB Frauenarbeit
(Erster Band: »›Wir haben Geschichte geschrieben‹. Zur Arbeit der
DGB Frauen (1945–1990)«. Giessen). Beide Bände wurden von der Hans
Böckler Stiftung unterstützt.
Aufbau und Inhalt
Die methodische Basis sind zwölf Einzelinterviews mit Frauen, die
auf der Vorstandsebene des DGB und/oder auf der Vorstandsebene in
den Mitgliedsgewerkschaften tätig waren. Hinzu kommen vier
thematische Gruppeninterviews mit von ihren Gewerkschaften
benannten Funktionärinnen sowie die Auswertung von Quellen (vor
allem Protokolle von Bundeskongressen des DGB, DGB
Frauenkonferenzen, Sitzungen des Bundesfrauenausschusses).
Der Band gliedert sich in 30 Abschnitte, die in chronologischer
Reihenfolge die Geschichte erzählen, aber jeweils bestimmte
frauenpolitische Akzente setzen und immer wieder durch Porträts
einzelner Gewerkschaftsfrauen angereichert werden.
Die Darstellung beginnt 1990 mit der deutschen Einheit, die auch
für die Gewerkschaften eine Anpassung der verschiedenen
Gewerkschaftsstrukturen und -kulturen erforderte (1).
Diese Prozesse werden aus der Westsicht (2) und der Ostsicht (3)
geschildert. Es wird deutlich, wie sehr die Bedeutung der
gewerkschaftlichen Frauenarbeit und ihrer Strukturen immer wieder
zur Diskussion stand, auch unter den Frauen.
Der Streik der Erzieherinnen im Westen gerade in dieser
Umbruchszeit wird extra gewürdigt (4).
Der Aufbau der Arbeitsmarktstrukturen, die Treuhand und die
Kündigungswellen vor allem von weiblichen Beschäftigten werden
geschildert (5) und die folgende Krise der Gewerkschaften, die
zunächst »potemkinsche« Mitgliederzuwächse, dann aber einen enormen
Mitgliederschwund zu verzeichnen hatten (6). Zwar ist 1992 der
Aufbau der Frauenstrukturen abgeschlossen, allerdings mit
deutlichen Abstrichen an Macht, was die Ostfrauen erst später
bedauerten.
Es folgen Schilderungen der Debatte zu einem neuen Grundgesetz (7)
über die westliche Frauenpolitik (8) und die Frage, ob die Frauen
die Verliererinnen der Einheit sind (9).
Der Frauenstreiktag 1994 sowie der Rückzug, freiwillig oder
resigniert, westlicher Spitzenfrauen (11, 12), die Verankerung von
Gender Mainstreaming im Grundsatzprogramm des DGB bei
gleichzeitiger Ablehnung vieler Forderung des
Bundesfrauenausschusses (13), all das zeigt die Erfolge und
Misserfolge der gewerkschaftlichen Frauenarbeit.
Neben einer teils leidenschaftlich geführten Debatte zu Krieg und
Frieden 2001 (14) stehen ab 1997 die Diskussionen um die
Fusionierung von Einzelgewerkschaften im Vordergrund (15).
Gleichzeitig wird der Arbeitsmarkt »reformiert« mit den
Hartz-Gesetzen und unter kritischer Beteiligung der Gewerkschaften,
vor allem der Frauen (16).
Derweil sitzen Frauen aber auch in Aufsichtsräten (17), arbeiten
als Betriebs- und Personalrätinnen (18) und organisieren ihre
Streiks (19).
Frauenpolitisch geht es um Gleichstellung in der Privatwirtschaft
(20), Riesterrente (21), Partnerzeit, Elternzeit, Elterngeld und
Betreuungsgeld (24) aber auch den Mindestlohn (28) und Equal pay
(29).
Die beiden nächsten Kapitel setzen sich mit der Abwahl von Ursula
Engelen-Kefer (22) und der Frage auseinander: Sind das Alphafrauen?
(23), dabei geht es um den Umgang der Spitzenfrauen mit der
Macht.
Die Diskussionen über die Perspektiven der Frauenabteilungen( 25)
sowie die Quote im DGB (26) richten den Blick noch einmal auf die
inneren frauenpolitischen Fragen.
Das letzte Kapitel (30) gibt eine Zusammenfassung, eine kurze
Geschichte der DGB-Frauen (1990 -2010).
Diskussion
Sibylle Plogstedt hat sich viel vorgenommen: 20 Jahre
gewerkschaftliche Frauenpolitik in einem Buch mit einem lesbaren
Umfang darzustellen. Kein Wunder, dass sie dabei vor allem auf die
Protagonistinnen setzt, deren Berichte und Einschätzungen, deren
Erfahrungen und Erzählungen sie in den Mittelpunkt stellt. Ihr ist
bewusst, dass es dabei um eine »Rekonstruktion der Konstruktion«
(S. 14) geht. Diese zeichnet sich durch eine Mischung aus
spannenden Geschichten, persönlichen Bezügen und durch die
Darstellung politischer und organisationsbezogener Kontroversen
aus. Immer geht es auch um das Subjektive: wie haben die Frauen an
der Spitze das Geschehen erlebt und mitgestaltet, wie sind sie mit
Niederlagen umgegangen, wie haben sie Enttäuschungen
verarbeitet?
Die Geschichten erzählen von Solidarität aber auch von
Konkurrenzen, von gemeinsamen Strategien aber auch von Divergenzen
in der Frage des Vorgehens, von gegenseitiger Unterstützung, aber
auch von Einsamkeit. Einen besonderen Akzent bekommt die
gewerkschaftliche Frauenpolitik in dieser Zeit auch durch die
deutsche Einheit, die plötzlich Akteurinnen aus zwei verschiedenen
Geschlechterkulturen zusammen brachte. Es wird mehr als deutlich,
dass Erfolge in der gewerkschaftlichen Frauenpolitik den Frauen
nicht in den Schoss gefallen sind, dass sie heftig kämpfen mussten,
teilweise auch gegen »ihre« Männer. Und die Erzählungen über die
Frauenstreiks (19) sind ein feministisches Highlight, das viel von
der Kraft, der Phantasie und der Originalität der Frauen an der
Basis spiegelt.
Fazit
Empfehlenswert ist dies Buch nicht nur für »Alphafrauen«, egal in
welchen Organisationen sie Verantwortung tragen. Vielmehr ist es
eine trostreiche Lektüre für alle, die sich an den verschiedenen
Stellen für die Gleichstellung, die Emanzipation oder die
Geschlechterdemokratie einsetzen: Die hier aufgeschriebenen
Erfahrungen machen Mut, weiter zu kämpfen. Sie zeigen zwar die
Widerstände am Beispiel des DGB und der Gewerkschaften, aber diese
Organisationen sind ähnlich männlich dominiert wie die meisten
anderen auch. Die Geschichte zeigt aber auch, dass gerade auch
mächtige Frauen, wenn sie es wollen und durchhalten, etwas für
Frauen erreichen können.
Zitiervorschlag
Barbara Stiegler. Rezension vom 23.09.2015 zu: Sibylle Plogstedt:
Mit vereinten Kräften. Die Gleichstellungsarbeit der DGB-Frauen in
Ost und West (1990–2010). Psychosozial-Verlag (Gießen) 2015. ISBN
978-3-8379-2319-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245,
http://www.socialnet.de/rezensionen/18791.php, Datum des Zugriffs
13.12.2016.
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