Rezension zu Sprach/Bilder
www.helmut-a-mueller.de
Rezension von Helmut A. Müller
Bildworte Jesu wie das Wort, dass ein Kamel leichter durch ein
Nadelöhr kommt als ein Reicher ins Himmelreich (Matthäus 19, 24)
und Gleichnisse wie die vom verlorenen Sohn (Lukas 15, 11 – 32) und
vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 30 – 37) haben Menschen seit
über 2000 Jahre immer neu ins Herz getroffen und vor die Frage
gestellt, ob sie ihr Leben nicht verändern und auf Gott hin
ausrichten sollten. Generationen von Theologen haben zu ergründen
versucht, welche Verbindungen es zwischen der bildhaften Rede Jesu
und den durch sie angestoßenen Veränderungsprozessen gibt. Zu den
Ergebnissen dieser Anstrengung gehört die Einsicht, dass man als
Mensch nur in Metaphern vom Unsagbaren, von Gott, reden kann und
dass diese Übersetzung, diese Übertragung dann doch immer wieder
überzeugt.
Wenn Sprache und Bilder sich in Metaphern begegnen, kommt es nicht
nur zu religiösen, sondern auch zu psychotherapeutischen und
ästhetischen Transformations- und Übertragungsprozessen.
Ȇbertragungsprozesse konstituieren nicht nur die psychoanalytische
Beziehung, sondern auch vielfältig jene zwischen Künstler und Bild,
zwischen Dichter und Text sowie zwischen Betrachter bzw. Leser und
Werk. Somit kann das Sprachbild als kristallines Phänomen angesehen
werden, an dem sich verschiedene Perspektiven brechen und das
geradezu einen interdisziplinären Zugang verlangt. Aus
psychoanalytischer Perspektive stellt sich etwa die Frage, in
welcher Weise die Bildlichkeit des Sprechens (von Symptom und
Deutung) das Unbewusste in sich aufzunehmen in der Lage ist. Aber
auch Kunst und Dichtung sowie die faszinierenden Prozesse ihrer
Produktion und Rezeption sind um ›Unsagbares‹ zentriert, bedürfen
somit immer des Brückenschlags zwischen Bild und Wort. Sprache und
Bild, Begriff und Anschauung fordern sich wechselseitig heraus,
befruchten sich und kommen ohne einander nicht aus, Sie treten aber
auch … in erbitterter Gegnerschaft zueinander« (Karin Nitzschmann,
Philipp Soldt, S. 7 f.) Der Sammelband wie die ihm zugrunde
liegende Tagung im Juli 2012 in der Weserburg in Bremen hat es sich
zur Aufgabe gemacht, »die verschiedenen oder auch ähnlichem
Funktionen des Metaphorischen im Kontext von Poesie, Kunst und
Psychoanalyse in einen kreativen Dialog zu bringen« (Karin
Nitzschmann, Philipp Soldt, S. 8).
Der Band setzt ein mit einem Überblick über den Gebrauch von
Sprach/Bildern und die Artikulation des »Unsagbaren« in Kunst,
Literatur und Psychoanalyse. Demnach waren noch in der gotischen
Malerei schriftliche Verweise auf biblische Texte zum Beispiel in
Spruchbändern zwischen Verkündigungsengeln und Maria
selbstverständlich. Sie dienten der leichteren Entschlüsselung der
ikonographischen Bedeutung des Bildes. Die Renaissance entfernte
diese schriftlichen Verweise als störende Fremdkörper und setzte
stattdessen auf die sich selbst erklärenden perspektivischen
Bildräume und Figurationen. Worte, Grafismen und Sprache tauchen in
Bildern dann wieder im Dadaismus, im Surrealismus, bei Cy Twombly,
bei Anselm Kiefer und später auch bei Jonathan Meese auf. Anselm
Kiefer sagt in einem Interview mit Alexander Kluge: Ich »bin kein
Maler, ich denke in Bildern«. Jonathan Meeses großformatige
Malereien können als Niederschrift der von ihm ausgerufenen
Diktatur der Kunst gelesen werden und seine ungezählten
handschriftlich verfassten Manifeste als wort- und bildreiches
Ausmalen dieser Diktatur. Herta Müller trifft eine für das
Sprachbild bedeutsamen Unterscheidung: »Sie spricht von der
gelebten Metapher und von einer für den Schreibprozess erfundenen
fiktiven Metapher. Beispielsweise sei die Metapher des ›Königs‹
eine gelebte Metapher, die sich in ihrer Kindheit zunächst auf das
Schachspielen ihres Großvaters bezog, sich später mit einem Reim
aus der Dorfsprache verband: ›alleenig – wenig – Kenig‹ … Diesem
›König‹ konnte sie … weder durch Reden noch in Prosa, sondern nur
gebändigt durch den Reim ›beikommen‹ … Die Transformation dieser
gelebten Metapher in ein ›geschriebenes Wort‹ erfolgt erst Jahre
später in ihrem Roman Herztier (2007). Denn, so Herta Müller, ›[i]m
Schreiben ist keine direkte Realität … Die Erinnerung ist ein
abstrakter Spiegel im Kopf, und der Wunsch, es zu sagen, erzwingt
ein ganz neues Erleben durch die Sprache … Ich wollte ein
zweischneidiges Wort, so zweischneidig wie der König sollte es sein
…‹ (Herta Müller) … Mit dieser fiktiven Metapher, dem Herztier,
kann sie nun aus einer inneren Distanz zum König einen Roman
schreiben, in dem Terror und Gewalt für den Leser einfühlbar
werden« (Karin Nitzschmann, Philipp Soldt S. 19f.).
In den Schriften von Sigmund Freud schließlich sind über 500
›Vergleichungen‹ (Sigmund Freud) auszumachen.« Da es für das
dynamisch Unbewusste, wie für alles Psychische, keine Form der
direkten Anschauung gibt, ermöglicht der Vergleich jeweils eine
indirekte Form der Betrachtung für das Unanschauliche … , mit der
einer Begriffsbildung zugearbeitet wird« (Karin Nitzschmann,
Philipp Soldt, S. 21). Wenn sich bei der Bearbeitung einer durch
Verdichtung, Verschiebung und Verwandlung ins Gegenteil unsinnig
erscheinenden Traumszene durch ein Sprachbild oder einen Vergleich
wieder Ordnung einzustellen beginnt, wird das Sprachbild oder der
Vergleich zum Erkenntnisinstrument für das Unbewusste. Damit wird
eine »gelebte Metapher« im Verlauf einer Analyse »zu einer fiktiven
Metapher des analytischen Paares« (Karin Nitzschmann, Philipp
Soldt, S. 25).
Unter den Beiträgen des Sammelbandes beschäftigt sich Hartmut
Raguse mit poetischen Aspekten der dichterischen und der
psychoanalytischen Sprache. Für Peter Friese gehören das
Antizipieren, das Rechnen mit Andersheit und das Einbeziehen des
Anderen zur Kunst, wie sie Lawrence Weiner versteht. »Diese Kunst
fördert und fordert das bewusste Eingehen auf eine Veränderung
meiner selbst, welche momentan noch außerhalb meiner gegebenen
Möglichkeiten und meines momentanen Verstehenshorizontes liegt«
(Peter Friese S. 62). Joachim F. Dankwardt findet in Georg Büchners
Sprachbildern die Hypothese bestätigt, dass sich seelische
Veränderungen und Wandlungen vorwiegend auf der Ebene der
Sprachbilder bzw. des Sprachgeschehens und nicht auf der Ebene der
abstrahierenden Begriffssprache abspielen. Jutta Gutwinski-Jeggle
schließlich beschreibt die Arbeit eines Psychoanalytikers als
Arbeit an der Veränderung der Persönlichkeit und an der
Persönlichkeitsstruktur. »Wir können nicht einfach Heilung und
Gesundheit anbieten. Vielmehr versuchen wir, durch Bewusstmachung
›Lösungen‹ zu finden, Loslösungen von infantilen Versorgungs- und
Anlehnungswünschen, von Triebkonflikten des Ödipuskomplexes,
Kastrationsängsten und Allmachtsvorstellungen, um die Identität des
Patienten und seinen Status als Subjekt neu zu begründen. Wenn es
gelingt, im Patienten Denkfreiheit, Zerstörung von Illusionen,
Bekämpfung von Vorurteilen, Verantwortung für sich selbst und
andere, Erwachen von Gefühlen und Erweiterung der Kreativität
anzustoßen, so ist schon viel erreicht. Denn eine neue Sichtweise
birgt die Möglichkeit, die infantilen Besetzungen ersetzen zu
können durch konstruktive Arbeit, Karriere, liebevolle Beziehungen,
Heim und Kinder“ (Jutta Gutwinski-Jeggle, S. 127 f.).
www.helmut-a-mueller.de