Rezension zu Seele und totalitärer Staat
Zeitschrift für Politikwissenschaft / ZPol-Bibliographie 4/05
Die Autoren (Analytiker, Psychologen und Mediziner aus Ost- und
Westdeutschland) beschreiben anhand von sieben exemplarischen
Fallgeschichten, für deren Biografie die gesellschaftlichen
Verhältnisse in der DDR eine große Rolle spielen, Aspekte der
psychischen Erbschaft eines totalitären Staates. Thematisiert
werden die sozialisatorischen Auswirkungen des DDR-Systems auf die
Persönlichkeit. Ähnlich wie in den Arbeiten von Hans-Joachim Maaz
wird die These untermauert, dass die DDR in den Köpfen der Menschen
unbewusste Schädigungen hinterlassen hat. Die Intention der
Verfasser ist es, der ökonomisch orientierten Debatte über die
Folgen der Einheit eine subjektiv-perzeptionelle und
sozialisationstheoretische Sichtweise entgegenzusetzen. Es geht
ihnen um die »seelische Deformation aus der DDR-Zeit« und nicht um
die Beschreibung der »gekränkten Ostseele« (14). Thematisiert
werden die Fallgeschichten unterschiedlichster Persönlichkeiten:
die von SED-Mitgliedern, Regimegegnern, die eines »Krippenkindes«
sowie die von »Patienten aus Familien mit festungsartigem
Charakter« (16). Als entscheidendes Problem gilt der Kollektivismus
der DDR, der sich einerseits in der Unterdrückung von
Individualität, andererseits in der anhaltenden Orientierung an
sozialistischen Idealen widerspiegele. Die Argumentation verläuft
insofern analog zur Sozialisationstheorie in der quantitativen
politischen Kulturforschung. Zwar bestehen Zweifel an der
generellen Übertragbarkeit der Aussagen, da sie auf der Analyse von
Krankengeschichten beruhen. Dennoch liefert der Band gerade wegen
der spezifischen Herangehensweise auch dem Politikwissenschaftler
fundiertes Material zur Analyse der Folgewirkungen des
Totalitarismus.