Rezension zu Religion(en) im 21. Jahrhundert

Gießener Allgemeine Zeitung, 12. Dezember 2016

Neue Landkarte des Glaubens
Katholische Hochschulgemeinde Gießen legt Buch zur Rolle der Religion vor

Gießen (pm). welche Bedeutung haben die Religionen heute und welche Rolle werden sie in Zukunft spielen? Vor allem, braucht unsere moderne Gesellschaft noch Religionen oder sind sie gar eine Gefahr? Auch die Fragen, welche Herausforderung der Islam für unsere Gesellschaft darstellt und welche Bedeutung das etablierte Christentum für unsere westeuropäische Kultur (noch) besitzt, bewegt die Gemüter. Diese drängenden Fragen stehen im Mittelpunkt des neuen Buches, das von der Katholischen Hochschulgemeinde Gießen (KHG) jetzt im Gießener Psychosozial-Verlag erschienen ist. Die Herausgeber Hochschulpfarrer Dr. Siegfried Karl und Hans-Georg Burger verstehen das Buch auch als Appell, über den Status und die Rolle von Religion in unserer Gesellschaft neu nachzudenken. Das Buch ist der überarbeitete und um aktuelle Beiträge ergänzte Band vom, letztjährigen Symposium der KHG über »Religion(en) im 21. Jahrhundert – Zwischen Tradition und Zukunft.«
Bis vor wenigen Jahren lautete eine weit-verbreitete These, Religion und Kirche hätten im 21. Jahrhundert keine Zukunft mehr. Doch viele Autoren in dem Buch zeigen auf, dass Religion in unserer Gesellschaft nicht verschwunden ist. Im Gegenteil, im 21. Jahrhundert komme es auf Religion sehr wohl an, so die Zeitdiagnose des deutsch-französischen Soziologen und Professors für postmodernes Denken in Paris, Michael Hochschild.

Für ihn ist »Religion heute sprichwörtlich in Bewegung geraten« und durch die Migration entstehe eine neue Landkarte der Religionen. Neue Chancen für den christlich-islamischen Dialog sieht Yasar Sarikaya, Professor für Islamische Theologie an der Universität Gießen. Erforderlich sei dafür ein Neudenken, dadurch würden sowohl die christliche als auch die islamische Theologie in Europa eine neue Dynamik gewinnen. Zu den neuen Wegen gehören die Einführung des islamischen Religionsunterrichts und die Integration des Islams in die universitäre Landschaft in Deutschland und in Europa. Die Herausgeber sowie der evangelische Pfarrer und Geschäftsführer des Rates der Religionen im Kreis Gießen, Bernd Apel, plädieren abschließend für mehr religiöse Bildung und Wissen über die Religionen. Religiöser Bildung sei »das Rezept Nummer eins gegen Fundamentalismus«.

Angesichts der aktuellen Debatten erhalten einige Beiträge besondere Aufmerksamkeit. Dazu gehören die grundsätzlichen Ausführungen von Bundestagspräsident Prof. Norbert Lammert und seines Vorgängers Dr. Wolfgang Thierse zum Verhältnis von Religion, Kirche, Staat und Politik sowie der katholische Militärbischof und Bischof von Essen, Dr. Franz-Josef Overbeck zum Verhältnis von Religion und Gewalt. Die größte Gefahr für unsere Zeit sieht Bischof Overbeck in der Instrumentalisierung der Gottesmacht bei der Durchsetzung politischer oder anderer nichtreligiöser Ziele. Gewalt und Attentate stehen für Dr. Diaa Rashid, den Vorsitzenden der Islamischen Gemeinde in Gießen, klar im Widerspruch zu den islamischen Werten. Zu den Grundwerten des Moslemseins gehöre »der Respekt des Andersseins«. Zur Nagelprobe wird auch die Frage, wie der Islam zu den grundlegenden Werten unserer modernen Gesellschaft steht. Für die renommierte Islamkennerin Prof. Susanne Schröter von der Universität Frankfurt gehört der Islam wie das Christentum und das Judentum zu Deutschland, allerdings könne nicht jede Art des Islam als demokratie-kompatibel verstanden werden und passe in unsere Gesellschaft.

Aufschlussreich ist auch, wie junge engagierte Christen über die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts denken. Stellvertretend dafür steht der Aufsatz von Sarah Larissa Schneemann, Philosophiestudentin und Mitglied der KHG Gießen.


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