Rezension zu Was wirkt in der Psychotherapie?

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Rezension von Hans-Peter Heekerens

Agnes von Wyl, Volker Tschuschke u.a. (Hrsg.): Was wirkt in der Psychotherapie?

Thema
Das Buch stellt Geschichte, methodische Anlage und zentrale Ergebnisse der von der Schweizer Charta für Psychotherapie (http://www.psychotherapiecharta.ch/) initiierten und in den Jahren 2007 -2012 realisierten prospektiv angelegten Praxisstudie ambulante Psychotherapie – Schweiz (PAP-S) in einer Gesamtschau dar. Die Ergebnisse dieser Studie betreffen sowohl Ergebnis als auch Prozess. Einzelne Aspekte der Studie waren schon zuvor an getrennten Orten (Zeitschriften etwa) der interessierten (Fach-)Öffentlichkeit präsentiert worden; darunter auch in Psychotherapy Research, der renommiertesten Zeitschrift für Psychotherapieforschung. Die PAP-S ist eine naturalistische multizentrische Feldstudie (vgl. Heekerens, 2005), die Behandlungsmethoden untersuchte, wie sie tatsächlich in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung von Erwachsenen angewendet werden.

Ins Blickfeld der Studie gerieten neun respektive zehn unterschiedliche Ansätze (Verfahren, therapeutische Schulen). Über neun kooperierende Charta-Institute zur Mitarbeit gewonnen wurden Psychotherapeut(inn)en folgender Ansätze: Transaktionsanalyse, Prozessorientierte Psychologie, Integrative Körperpsychotherapie, Existenzanalyse, Logotherapie, Kunst- und ausdrucksorientierte Psychotherapie, Analytische Psychotherapie nach C. G. Jung, Bioenergetische Analyse und Therapie (ergänzt durch in Österreich durchgeführte) und Gestalttherapie. Ferner beteiligten sich zwei Psychotherapeut(inn)en psychoanalytischer Prägung, deren Institute keine Kooperationspartner waren.

Herausgeber(innen)
Agnes von Wyl, promovierte Psychologin und psychoanalytisch ausgebildete Fachpsychologin für Psychotherapie, ist Dozentin am Psychologischen Institut der Universität Zürich (UZH) und Professorin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZAHW), Department Psychologie und dort Leiterin der Fachgruppe Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie; sie ist Mitglied der Society for Psychotherapy Research (http://www.psychotherapyresearch.org/), einer internationalen und interdisziplinären wissenschaftlichen Organisation, die die o. g. Zeitschrift Psychotherapy Research herausgibt.

Mitglied der Society for Psychotherapy Research ist auch der promovierte Psychologe und (Lehr-) Analytiker Volker Tschuschke (https://de.wikipedia.org/wiki/Volker_Tschuschke). Bis zu seiner Emeritierung 2013 war er Professor am Lehrstuhl für Medizinische Psychologie an der Universitätsklinik zu Köln und ist heute Leiter der Abteilung Psychotherapiewissenschaft an der Sigmund Freud Privatuniversität Berlin. Einigen der an Psychotherapieforschung Interessierten ist er bekannt durch mehrere Publikationen, darunter seine aus dem Jahr 2005 stammende »Stellungnahme im Auftrag des Berufsverbandes Psychologischer PsychotherapeutInnen (BDP) zur Wirksamkeit der Klientenzentrierten Psychotherapie (Gesprächspsychotherapie)« (online verfügbar unter www.vpp.org [letzter Zugriff am 29.11.2016]).

Aureliano Crameri ist nach Studium der klinischen Psychologie an der UZH Dozent für Forschungsmethoden und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ZAHW.

Die promovierte Psychologin Margit Koemeda-Lutz ist eine der bekanntesten Körperpsychotherapeut(inn)en im deutschsprachigen Raum; zu ihrem Bekanntheitsgrad hat nicht zuletzt ihre leitende Mitarbeit an der Evaluation der Wirksamkeit von ambulanten Körperpsychotherapien beigetragen (der Abschlussbericht dieses Projekts ist online verfügbar unter www.eabp.org/ [letzter Zugriff am 29.11.2016]).

Die PAP-S wäre ohne die Schweizer Charta für Psychotherapie nie zustande gekommen. Deren Vorsitzender ist der Gestalttherapeut Peter Schulthess, der auch in anderen nationalen und internationalen Psychotherapieorganisationen – teilweise an führender Stelle – arbeitet; u.a. ist er Mitglied der Society for Psychotherapy Research.

Autor(inn)en
Die Herausgeber(innen) treten auch als Autor(inn)en auf; neben ihnen zu finden sind Hugo Grünwald, promovierter Psychologe, Psychotherapeut und Professor an der ZHAW, Peter Müller-Locher, promovierter Psychologe und Daseinsanalytiker sowie Mario Schlegel; der promovierte Anthropologe und Psychotherapeut (Jungianer) ist an Fragen der therapeutischen Beziehung Interessierten aufgefallen durch seinen Essay »Evolution der Empathie« (online verfügbar unter www.psychotherapie-wissenschaft.info [letzter Aufruf am 29.11.2016]).

Aufbau und Inhalt
Das Buch enthält zwischen dem Vorwort, in dem Agnes von Wyl die Gesamtanlage der Studie skizziert sowie eine Zusammenfassung der nachfolgenden Teile präsentiert, einerseits und ausführlichen Angaben zu den Autor(innen) andererseits zwölf mit gesonderten Literaturverzeichnissen versehene Beiträge.

In »1 Wie kam es zur PAP-S-Studie? Zur Vorgeschichte der Studie« schildern Peter Schulthess, Margit Koemeda-Lutz und Mario Schlegel, alle in der Schweizer Charta für Psychotherapie (künftig Charta) leitend tätig, zunächst deren Geschichte sowie ihre institutionelle Verfasstheit. Danach wird die Historie der PAP-S mit ihrer Projektierungsphase bis Anfang 2007 und ihrer Realisierung zwischen Anfang 2007 und Ende 2012 skizziert. Dieses Kapitel zeigt v. a. Zweierlei: Zum einen die Vielzahl ganz unterschiedlicher Aufgaben, die es zu bewältigen galt, und zum anderen, dass Schwierigkeiten durch entschlossene Akteure zu überwinden sind. Und manchmal hat man – wie hier bei der Finanzierungsfrage – auch Glück (das der Tüchtigen).

Über »Wie kam es zur Zusammenarbeit der Charta mit zwei verschiedenen Hochschulen in der PAP-S-Studie? Das wissenschaftliche Interesse an einer naturalistischen Praxisstudie« (Feld- im Unterschied zu Labor-Studie) berichten im 2. Beitrag Peter Schulthess, Vorsitzender der Charta, Hugo Grünwald von der ZHAW (der einen Hochschule) und Volker Tschuschke, bis Ende Februar 2013 Professor an der Universitätsklinik zu Köln (der anderen Hochschule). Aus diesem Kapitel sei eine Passage zitiert, weil sie über den unmittelbaren Kontext hinaus Bedeutung haben dürfte für Praxisforschung – auch auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit: »Gemeinsamer Nenner aller drei Partner … war, ein praxisgerechtes Forschungsprojekt durchzuführen und gleichwohl wissenschaftlich relevante Ergebnisse zu liefern. Es sollte die Kluft zwischen Forschung und Praxis überwunden werden, indem die Hochschulen nicht einfach mit einem ihnen geeignet erscheinenden Design im Auftrag einer Praxisorganisation forschen sollte. Durch den frühen Einbezug der Praxisorganisation und der Nutzung der dortigen Forschungskompetenz sollte ein Projekt realisiert werden, mit dem sich die Mitgliedsinstitutionen der Praxisorganisation identifizieren konnten.« (S. 24-25)

Im dritten Beitrag »Praxisstudie ambulante Psychotherapie Schweiz (PAP-S-Studie): Studiendesign« stellt Agnes von Wyl nicht nur, wie die Überschrift nahe legt, das Studiendesign der PAP-S vor, sondern auch deskriptive Daten der Baseline-Erhebung. Die wesentlichen Punkte lassen sich wie folgt skizzieren:
- Die zehn vertretenen Ansätze wurden bereits oben genannt; für manche Auswertungen werden sie in Gruppen (»humanistisch«, »tiefenpsychologisch«) zusammengefasst.
- Es gab mindestens vier Erhebungszeitpunkte: Prä, Post und Follow-up (Katamnese) sowie nach jeder 5. Therapiesitzung.
- Die Gesamtzahl der beteiligten Therapeut(innen) liegt bei 81 mit einer stark unterschiedlichen Verteilung über die Ansätze; mit nur 2 am geringsten vertreten sind die Psychoanalyse und die Logotherapie / Existenzanalyse, am stärksten die Integrative Körpertherapie (20) und die Transaktionsanalyse (14). In die Auswertung gingen fallweise weniger Therapeut(inn)en ein
- Die realisierte Stichprobengröße der Patient(innen) liegt bei 362; auch hier gingen in die Auswertung fallweise weniger Personen ein. Rund zwei Drittel der Klientel sind Frauen und das Alter reicht bei einem Durchschnittsalter von 40 Jahren von 17 bis 73; ebenfalls rund zwei Drittel der Patient(inn)en hatten in den letzten zwei Jahren keine psychiatrische oder psychotherapeutische (Vor-)Behandlung erfahren.
- Neun von zehn Patient(inn)en litten an einer psychischen Beeinträchtigung mit »Krankheitswert«: Diagnosen auf der 1. Achse des DSM-IV (https://portal.hogrefe.com/dorsch/diagnostic-and-statistical-manual-of-mental-disorders-dsm-iv/), wovon die überwiegende Mehrzahl auf drei Störungsbildern entfällt (in absteigender Häufigkeit): Affektive Störungen, Angststörungen, Anpassungsstörungen.

Kapitel 4 »Der OPD-Ratingprozess. Persönliche Erfahrungen und Einsichten« (Peter Müller-Locher) verfolgt die Fragestellung: »Welche Schritte wurden von der sich bildenden Gemeinschaft der RaterInnen aus eigener wachsender Überzeugung unternommen, um das Ziel einer hinreichend guten Übereinstimmung in der OPD als eine [sic!] von mehreren Diagnoseverfahren in der externen Befunderhebung zu erreichen« (S. 51) OPD (Version 1 muss man aus heutiger Sicht präzisieren) steht für Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (https://de.wikipedia.org/wiki/Operationalisierte_Psychodynamische_Diagnostik).

Im 5. Abschnitt »Psychotherapeutische Interventionstechniken. Das PAP-S-Rating-Manual (PAP-S-RM)« berichten Volker Tschuschke, Margit Koemeda-Lutz und Mario Schlegel von der Entwicklung und Validierung eines für die vorliegende Studie konzipierten, aber auch darüber hinaus verwendbaren Manuals zur objektiven Erfassung psychotherapeutischer Interventionstechniken. Es umfasst mit seinen 100 therapeutischen Interventionskategorien die wichtigsten von aus 13 therapeutischen Behandlungskonzepten abgeleiteten und wohl definierten Interventionstechniken sowie 25 nicht- oder unspezifische Interventionstechniken, von denen angenommen wird, dass sie von Psychotherapeut(innen) unabhängig von deren schulischer Orientierung angewendet werden. Zu den 13 Behandlungskonzepten gehören neben den zehn in vorliegender Studie vertretenen auch: Gesprächspsychotherapie / Personenzentrierte Therapie im Sinne der Gesellschaft für Personenzentrierte Psychotherapie und Beratung (GwG), (Kognitive) Verhaltenstherapie und Systemische Therapie.

Dass Psychotherapeut(inn)en oft nicht das machen, was sie gemäß ihrer Ausbildung und/oder ihrer Überzeugung tun sollten, ist seit Sigmund Freud bekannt. Die Frage nach der »Konzepttreue«, die im Falle bestimmter Interventionen die Gestalt von »Treatment-Treue« annimmt, ist eine alte. Und keineswegs nur eine des wissenschaftlichen Elfenbeinturms, sondern eine berufs- und versorgungspolitische – zumindest in Ländern wie Deutschland, wo dies, was sich Psychotherapie nennen darf, welche eine »wissenschaftliche« ist und sich Aussicht auf Einschluss ins öffentliche Gesundheitssystems ausrechnen darf, nach »Schulen« geordnet abgehandelt wird. Psychotherapieforscher(innen) haben am Sinn solchen Vorgehens immer wieder Zweifel angemeldet – mit Verweis auf Forschungsresultate, die anzeigen, dass sich Psychotherapeut(inn)en unterschiedlicher Schulen in ihrem praktisch-alltäglichen Vorgehen weitaus mehr ähneln als unterscheiden.

Das ist denn auch das zentral interessierende Ergebnis, das von Volker Tschuschke mit Hilfe des PAP-S-RM an PAP-S-Daten herausgearbeitet hat. Einzelheiten sind nachzulesen im 6. Beitrag »Therapeutische Interventionstechniken: Zur Bedeutung der Konzepttreue in der Psychotherapie«. Das Ergebnis bestärkt den Autor auch in seinen Forderungen nach einem einheitlichen Therapieansatz und einem Direktstudium der Psychotherapie (vgl. Tschuschke, 2015).

Auch in der im 7. Kapitel »Therapeutische Techniken: Prädiktoren und zeitliche Verlaufsaspekt«e (Margit Koemeda-Lutz) dokumentierten Analyse spielte das PAP-S-RM die zentrale Rolle. Mit ihrer Hilfe können – hier auf Audioaufnahmen dokumentierte – Therapeut(innen)-Äußerungen als methodenspezifisch (der schulischen Zugehörigkeit entsprechend), fremdschulisch (aus dem Konzept einer anderen Schule stammend) oder allgemein (nicht- oder unspezifisch) zugeordnet werden. Die Forschungsfrage war, welche der drei betrachteten Variablen Schulenzugehörigkeit, Therapeut(in) und Klient(in) eine Therapeut(inn)enäußerung am besten vorhersagt. Am besten, so das Resultat der Analyse, die Größe Klient(in), teilweise die Variable Therapeut(in), praktisch gar nicht der Faktor Schulenzugehörigkeit. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit dem im 6. Abschnitt gefundenen.

Als gesicherte Ergebnisse der Psychotherapieforschung gelten heute (Norcross, 2011): 1. Die therapeutische Beziehung leistet – unabhängig von einem spezifischen Behandlungsansatz – substantielle und konsistente Beiträge zum Ergebnis einer Psychotherapie. 2. Sie trägt zum Ge- und Misslingen einer Therapie in mindestens demselben Maße bei wie eine bestimmte Behandlungsmethode (»Technik«). Im 8. Kapitel Therapeutische Beziehung präsentiert Volker Tschuschke nach Analyse von PAP-S-Daten Erkenntnisse zum Binnenbereich der therapeutischen Beziehung, von denen die bedeutsamsten referiert seien:
- Je belasteter bzw. chronisch gestörter Patient(inn)en sind, umso belasteter ist die therapeutische Beziehung.
- Psychotherapeut(inn)en stellen sich auf solche »schwierigere« Patient(inn)en ein, indem sie verstärkt an der therapeutischen Beziehung arbeiten.
- Eine ausreichend gute therapeutische Beziehung ist entscheidend für den (positiven) Fortgang der Therapie mit »schwierigeren« Patient(inn)en.

In »Outcom«e, dem 9. Buchbeitrag geht Aureliano Crameri mehreren Fragen nach, von denen vor allem zwei von Bedeutung sind: 1. Gibt es, beurteilt an der Effektstärke (https://de.wikipedia.org/wiki/Effektstärke), zwischen den in der PAP-S vertretenen Gruppierungen (s. o.) »humanistisch« und »psychodynamisch« Unterschiede? 2. Gibt es zwischen den Effektstärken dieser beiden Verfahren auf der einen Seite und solchen in Praxisstudien für den kognitiv-behavioralen Ansatz ermittelten Effekt andererseits Unterschiede? Beide Fragen wurden verneint.

In Kapitel 10 »Unterschiede zwischen TherapeutInnen« analysiert Volker Tschuschke die »lange Zeit vernachlässigte Forschung zur differentiellen Effektivität von BehandlerInnen« (S. 141). Es gibt TherapeutInnen, die häufiger, und solche, die seltener erfolgreich sind; es gibt Unterschiede in der »Qualität«. Auf der Datenbasis der PAP-S konnten solche in ihrer Wirksamkeit unterschiedliche Behandler(innen) ausfindig gemacht werden. Dabei zeigt sich zum einen, dass die Unterschiede nicht zusammenhängen mit Alter, Geschlecht, Berufserfahrung und schulischer Zugehörigkeit. Zum anderen wird sichtbar dass es eine Wechselwirkung gibt zwischen der Qualität von Therapeut(inn)en und dem Klient(inn)enmerkmal »psychische Belastung vor Behandlungsbeginn«: Je größer diese ist, umso stärker kommt die Qualität zum Tragen.

Keine Psychotherapiestudie kann heutzutage auskommen ohne den »Einfluss von Geschlechts- und Gender-Aspekten in der Psychotherapie« zu prüfen, wie das Volker Tschuschke im 11. Beitrag tut. Die wesentlichen Ergebnisse seiner Analyse sind:
- »Therapeutinnen und Patientinnen schließen sich ebenso wahrscheinlicher zusammen wie Therapeuten und Patienten. Diese Zuteilung geschah offenbar völlig ungeachtet irgendwelcher Indikationserwägungen.« (S. 152)
- Auf den Behandlungserfolg hatte weder das Geschlecht der Therapeut(inn)en noch das der Patient(inn)en einen signifikanten Effekt.
- »Es scheint, dass Therapeutinnen – im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen – empathischer, supportativer und weniger konfrontativ arbeiten. Dies ist – da durchgängig in allen Therapiekonzepten beobachtbar – fraglos die Auswirkung einer Gender-Variablen.« (S. 154)

Einen vertieften Einblick darein, ob und wie sich Geschlecht und Gender im Psychotherapieprozess (eventuell) auswirken, bietet im letzten, 12. Kapitel »Geschlechtsunterschiede in der PAP-S-Studie analysiert mit dem Psychotherapie-Prozess Q-Set (PQS-R-D)« (Agnes von Wyl). Die zentralen Ergebnisse (nach Zusammenfassung auf S. 159) sind: »Auf der Ebene der PatientInnen zeigte sich, dass bei Patienten signifikant häufiger negative Gefühle als Teil des Therapieprozesses identifiziert wurden als bei Patientinnen. Auf der Ebene der TherapeutInnen zeichnete sich eine vertrauensvollere therapeutische Beziehung durch die Arbeit von Therapeutinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen ab.«

Diskussion
Das erste, was man zu diesem Buch zu sagen hat, betrifft nicht es selbst, sondern seine Entstehungsgeschichte: Die PAP-S. Die ist in dreifacher Hinsicht bedeutsam. Zum einen ist sie eine der seltenen prospektiven Feldstudien zur Psychotherapie im deutschsprachigen Raum. Zum Zweiten gibt sie uns Einblick in solche Formen der Therapie, die eine lange Tradition haben, in Deutschland aber – infolge gesetzlich organisierter Verödung – zu den aussterbenden Arten gehören. Zur Illustration: In der PAP-S gehören vier von 10 Therapeut(innen) entweder zur Integrativen Körperpsychotherapie oder zur Bioenergetischen Analyse und Therapie. Jüngere Leser(innen) dürften sich verwundert die Augen reiben (»Was ist das denn?«). Und das nicht nur deutsche, sondern auch österreichische, in der die psychotherapeutische Landschaft nach wie vor bunter ist als in Deutschland; nur: »Anerkannte« Verfahren sind beide auch im »liberalen« österreichischen Psychotherapeutengesetz nicht (www.bmgf.gv.at).

Schließlich ist die PAP-S ein Beispiel dafür, dass man eine den Kriterien der Wissenschaftlichkeit genügende und für die Praxis bedeutsame Untersuchung durchführen kann – wenn Vertreter(innen) der Praxis dies denn auch wirklich wollen. Diese letzte Bemerkung ist nicht zuletzt adressiert an die deutsche Soziale Arbeit, bei der es mir am Wollen, dergleichen Praxisstudien zu initiieren und durchzuführen, zu mangeln scheint (vgl. Heekerens, 2016).

Was nun das Buch als solches anbelangt, so besteht sein Hauptverdienst darin, dass es Informationen zu der PAP-S und Forschungsberichte zu einzelner ihrer Aspekte, die zuvor gesondert an verstreuten Orten (darunter englischsprachigen Fachzeitschriften) an einem Ort vereint und in allgemeinverständlicher Sprache präsentiert.

Man muss sich bei Kenntnisnahme der im Buch referierten Studienergebnisse immer wieder die Frage stellen, ob sie denn für den Gesamtbereich der Psychotherapie (folgt man dem Buchtitel) oder gar für jede Form der psychosozialen Hilfe (für die Bedeutung der »therapeutischen Beziehung« spricht dafür im Kontext anderer Untersuchungsbefunde Vieles) gelten. Die Frage nach dem Geltungsbereich ergibt sich daraus, dass eine ganze Reihe von schulischen Ansätzen keinen Eingang in die Studie fand. Darunter solche, die in Deutschland nicht nur etwa auch vorhanden sind, sondern sogar dominieren: die Psychoanalyse etwa (in der Studie nur mit 2 von 81 Personen vertreten) oder die (ohne jegliche Vertretung) Systemische Therapie, (Kognitive) Verhaltenstherapie sowie die Gesprächspsychotherapie/Personenzentrierte Therapie im Sinne der GwG. Man muss hier fallweise prüfen, ob und wie die für die PAP-S gefundenen Resultate eingebettet wurden in Ergebnisse anderer Studien.

Es gibt Weniges, das kritisch anzumerken wäre. Auf Zweierlei möchte ich hinweisen. Im Buch finden sich immer wieder Passagen, die man so lesen kann, als seien sinnvolle experimentelle Feldstudien auf dem Gebiet der Psychotherapie nicht möglich. Sie sind es sehr wohl (ausf. Heekerens, 2005), stellen bei Entscheidung über Kausalhypothesen die Methode der Wahl dar und stehen in einer langen Tradition feldexperimenteller Evaluation psychosozialer Interventionen. Das bekannteste Beispiel dürfte Perry Preschool Project (https://de.wikipedia.org/wiki/High/Scope_Perry_Preschool_Project) sein, dem ersten und beispielgebenden Feldexperiment bei der Erforschung der Wirkungen frühkindlicher Bildung (vgl. Heekerens, 2010). Und, um ein sehr junges Beispiel zu nennen, erst durch das Moving to Opportunity-Feldexperiment (https://en.wikipedia.org/wiki/Moving_to_Opportunity) wissen wir mit Sicherheit, dass die Wohnumgebung von Kindern deren späteres Wohlergehen beeinflusst (vgl. Heekerens, im Druck). Mit diesen Ausführungen ist nicht verkannt, dass aus praktischen, rechtlichen und moralischen Gründen oft experimentelle Feldstudien nicht möglich sind, sondern man sich mit quasi-experimentellen, die die interne Validität mehr oder minder sichern, begnügen muss.

Damit sind wir bei der zweiten kritischen Anmerkung. Von der PAP-S heißt es bei der Vorstellung deren Studiendesigns, es handle sich dabei um eine »naturalistische quasi-experimentelle Studie« (S. 35). Dem ist im Punkte »quasi-experimentell« zu widersprechen. Nicht jedes Design, das nicht experimentell ist, ist deshalb schon quasi-experimentell, also einem experimentellen Design aus guten Gründen (nahezu) gleichwertig zur Seite zu stellen. Für die meisten im Buch referierten Fragestellungen ist die Frage »quasi-experimentell oder nicht« völlig irrelevant; sie können sich auf die Prospektivität der Studie (https://de.wikipedia.org/wiki/Prospektive_Studie) stützen. Bei zwei Fragestellungen, beide verfolgt von Aureliano Crameri im 9. Kapitel, ist das anders. Da wird verglichen: zwischen den Effektstärken der in der PAP-S vertretenen Gruppierungen »humanistisch« und »psychodynamisch« einerseits und zwischen diesen Effektstärken und den in anderen Studien ermittelten Effektstärken des kognitiv-behavioralen Ansatz andererseits.

Bei einer solchen vergleichenden Evaluation (differenzielle Effektivität) aber spielt – im Unterschied zur nicht-vergleichenden Evaluation (absolute Effektivität), wo man eine Kausalhypothese testet – die Sicherung der internen Validität, um die man sich mit experimentellen und quasi-experimentellen Designs bemüht, keine Rolle (vgl. Heekerens, 2005). Verglichen werden hier ganze »Behandlungspakete«, das alleinige Vergleichskriterium ist der Effekt und konstant zu halten sind nur die Behandlungsziele. Es ist daher auch überflüssig zu prüfen, ob Aureliano Crameri seine Vergleiche nach den Forderungen eines kontrollierten quasi-experimentellen Vergleichs »wasserdicht« gemacht hat. Nach meiner Beurteilung nicht, aber das ist für die Gültigkeit seiner Aussagen unerheblich.

Für die Gültigkeit seiner Vergleiche ist aber etwas anderes von Bedeutung: ob denn die Behandlungsziele die gleichen sind. Beim Vergleich zwischen den in der PAP-S vertretenen Gruppierungen »humanistisch« und »psychodynamisch« ist das der Fall. Fraglich aber ist, ob denn die Behandlungsziele dieser beider PAP-S-Ansätze die gleichen sind wie bei den zum Außenvergleich mit dem kognitiv-behavioralen Ansatz herangezogenen (vgl. S. 135 Tab. 9). Daher ist die Frage offen, ob dieser Außenvergleich, methodisch beurteilt, legitim ist.

Fazit
Das Buch gehört in die Bibliothek von Hochschul(abteilung)en, an denen Soziale Arbeit studiert wird; zumindest solcher, in denen auf eine gediegene Qualifizierung in Fallarbeit (Social Case Work) Wert gelegt wird und/oder eine Schwerpunktbildung oder Weiterqualifizierung (Masterstudium) in Klinischer Sozialarbeit besteht.

Literatur
Heekerens, H.-P. (2005). Vom Labor ins Feld. Die Psychotherapieevaluation geht neue Wege. Psychotherapeut, 50, 357-366.
Heekerens, H.-P. (2010). Die Auswirkung frühkindlicher Bildung auf Schulerfolg – eine methodenkritische Bestandsaufnahme. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 30, 311-325.
Heekerens, H.-P. (2016). Rezension vom 08.06.2016 zu Borrmann, S. & Thiessen, B. (Hrsg.) (2016). Wirkungen Sozialer Arbeit. Potentiale und Grenzen der Evidenzbasierung für Profession und Disziplin. Opladen – Berlin – Toronto: Verlag Barbara Budrich. Socialnet Rezensionen (www.socialnet.de/rezensionen/20932.php).
Heekerens, H.-P. (im Druck). Auf gute Nachbarschaft – Die Wohnumgebung von Kindern beeinflusst deren spätere Lebensqualität. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation.
Norcross, J.C. (2011). Conclusions and Recommendations of the Interdivisional (APA Divisions 12 & 29) Task Force on Evidence-Based Therapy Relationships. Online verfügbar unter http://societyforpsychotherapy.org/evidence-based-therapy-relationships/ [letzter Zugriff am 5.12.2016].
Tschuschke, V. (2015). Psychotherapiewissenschaft: ein Kommentar. Psychotherapie – Wissenschaft, 5 (1), 94-100. Online verfügbar unter www.psychotherapie-wissenschaft.info/ [letzter Zugriff am 4.12.2016].

Rezensent
Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Heekerens
Hochschullehrer für Sozialarbeit/Sozialpädagogik und Pädagogik an der Hochschule München

Zitiervorschlag
Hans-Peter Heekerens. Rezension vom 14.12.2016 zu: Agnes von Wyl, Volker Tschuschke, Aureliano Crameri, Margit Koemeda-Lutz, Peter Schulthess (Hrsg.): Was wirkt in der Psychotherapie? Ergebnisse der Praxisstudie ambulante Psychotherapie zu 10 unterschiedlichen Verfahren. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2016. ISBN 978-3-8379-2586-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/21943.php, Datum des Zugriffs 14.12.2016.

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