Rezension zu Geschlechtliche, sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung

Forum für Behindertenpolitik auf Marxistisch-Leninistischer Grundlage

Rezension von Daniel Horneber

Als mich Heinz-Jürgen Voss fragte, ob ich eine Rezension des Buches »Geschlechtliche, sexuelle, und reproduktive Selbstbestimmung« schreiben möchte sagte ich gerne zu, denn die Selbstbeschreibung des Buches klang für mich vielversprechend. Sie lautet: »Selbstbestimmung geht über die Überwindung bzw. Abwesenheit von äußerem Zwang hinaus. Sie erfordert positives Bewusstsein über Möglichkeiten eigenen Handelns mit einem Spektrum von Anpassung bis Ausbruch. Geschlechtliche Selbstbestimmung schließt Abweichung, Veränderung und Deutungshoheit über körperliche Geschlechtsmerkmale ein. Im vorliegenden Buch wird ›Selbstbestimmung‹ im sexualwissenschaftlichen Diskurs aus akademischer und aktivistischer Perspektive betrachtet. Die Beiträge beleuchten Aspekte von Inter- und Transsexualität, Asexualität, Sexualität unter Haftbedingungen, im Kontext von Behinderung sowie außerhalb heterosexueller Paarbeziehungen. In ihrer Vielfalt sind die Beiträge Zeitzeugnis, geben zugleich einen Ausblick auf die Zukunft und tragen dazu bei, gängige Denkschablonen zu überwinden.«

Als ich dann das Buch in Händen hielt und feststellte, dass die verschiedenen Themen Transsexualität, Intersexualität, Asexualität, Sexualität im Gefängnis, Sexualität im Kontext von Behinderung sowie außerhalb heterosexueller Paarbeziehungen den verschiedenen Kategorien sexueller geschlechtlicher und reproduktiver Selbstbestimmung zugeordnet worden waren, war ich irritiert .

Im Abschnitt »Geschlechtliche Selbstbestimmung« kommt zunächst der sehr informative Artikel »Selbstbestimmung von Trans* zum Durchbruch verhelfen«. Diese gibt einen guten Überblick über die Kategorisierung von Trans* im Kontext der WHO und die verschiedenen von Aktivist_innen geführten Kampagnen zur Entpathologisierung von Trans* Personen. Im Anschluss daran wurde eine Liste mit Fachbegriffen eingeschoben, welche sehr hilfreich ist.

Es folgt der Artikel »Trans* und sexuell?!«. In diesem werden unter anderem die Themen Identität und Selbstdefinition vor und nach der Hormoneinnahme und oder einer OP, Masturbation, Zufriedenheit mit dem eigenen Körper, Beziehung, Imagination als sexuelle Strategie und Sexpartys als Strategie sexueller Zufriedenheit um nur einige Bereiche zu nennen behandelt, was der Artikel in überzeugender Art tut. Die Zuordnung zum Abschnitt Geschlechtlicher Selbstbestimmung ist für mich nicht für alle Bereiche logisch. Meiner Meinung nach hätten einige auch unter sexueller Selbstbestimmung von Trans* Personen laufen können. Im Abschnitt »Geschlechtliche Selbstbestimmung« folgen noch weitere sehr gute Artikel zu Trans* und Intersexualität, welche verschiedene Aspekte des Themas beleuchten. Allen ist gemeinsam, dass sie sehr viele wissenswerte Informationen enthalten, welche für Pädagog_innen zur Pflichtlektüre werden sollten. Der Abschnitt sexuelle Selbstbestimmung, in welchem unter anderem Artikel zu Asexualität zu finden sind, bietet gute Übersicht zum Thema, auch wenn mir aufgrund dessen, dass das Thema Asexualität als Identität verhandelt wird, eine alleinige Zuordnung zum Abschnitt »sexuelle Selbstbestimmung« nicht ganz schlüssig erscheint. Ein weiteres Thema im Abschnitt sexuelle Selbstbestimmung sind Artikel über Sexualität in Haftanstalten.

Der letzte Abschnitt des Buches handelt von reproduktiver Selbstbestimmung, in diesem Abschnitt geht es unter anderem um das Recht auf Abtreibung. Dabei wird auch die Kontroverse um den Begriff der Selbstbestimmung in Hinblick auf Abtreibung von behinderten Föten nach einer PND erörtert. Die Autor_in geht davon aus, dass diese Kontroverse eine Flanke hin zu den sogenannten Lebensschützer_innen öffnet. Damit hat sie meiner Einschätzung nach recht. Eine Debatte darüber ist aber notwendig! Ich empfehle dazu das Buch »Die selbstbestimmte Norm« von Kirsten Achtelik .

Diesem Artikel folgt einer zur reproduktiven Selbstbestimmung von behinderten Menschen. Leider ist dieser Artikel der einzige zum Thema behinderte Menschen in diesem Buch. Darüber hinaus wurde der Artikel von einer Autor_in geschrieben, welche im Bereich der sog. Behindertenhilfe arbeitet und die nicht aus dem aktivistischen selbst betroffenen Personenkreis kommt und die deshalb nicht aus dieser Perspektive schreiben kann.

Sexualität im Kontext mit Behinderung nur unter dem Thema sexuelle Reproduktion abzuhandeln greift viel zu kurz! Partnerschaft, Verhandlung über den und die Wahrnehmung des eigenen Körper, Lust beim Sex und Strategien ( Sexualassistenz oder Sexualbegleitung) zur Befriedigung der Sexualität wären Themen gewesen, welche die Zuordnung zum Abschnitt reproduktive Selbstbestimmung nicht mehr ausreichen hätten lassen, welche aber notwendig sind, um dem Thema gerecht zu werden.

Die abschließenden Artikel beschäftigen sich mit reproduktiver Selbstbestimmung außerhalb heteronormativer Beziehungen. Wenn im Buch die großen Abschnitte weggelassen worden wären, hätten die reproduktiven Rechte von Trans* und Inter Personen schon weiter vorne behandelt werden können. Es fällt auf, dass es im Buch kein ausführliches Kapitel zu lesbisch, schwul oder bi lebenden und liebenden Personen gibt, und sie ebenfalls nur unter dem Aspekt der Reproduktion zu betrachten wird ihnen meiner Meinung nach nicht gerecht.

Inhaltlich sind die Artikel trotzdem gut, weil sie die Strategien zu Erfüllung des Kinderwunsches bei Nichtheteronormativ lebenden Menschen aufzeigen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen legalen und illegalen Strategien. Die in der BRD legalen sind künstliche Befruchtung, Adoption oder Pflegschaft, illegal ist die Leihmutterschaft. Zur künstlichen Befruchtung führt der Artikel zum Thema z.B. folgendes aus: künstliche Befruchtung wird nur für Hetero-Ehepaare von der Krankenkasse bezahlt und dass es bis vor einigen Jahren z.B lesbischen Frauen überhaupt nicht möglich war sich künstlich befruchten zu lassen. Adoptionen sind grundsätzlich für alle nichtheterosexuell liebenden Menschen möglich, ebenso Pflegschaften. Illegal ist in der BRD immer noch die Leihmutterschaft. Das zwingt vor allem trans* Personen, inter Personen und schwule Männer dazu, ins Ausland zu gehen. Zu den Aspekten einer Leihmutterschaft empfehle ich das Buch »Sie nennen es Leben wir nennen es Arbeit«. Der Artikel macht auch deutlich, dass Kinderwunsch bei Regenbogenbeziehungen häufiger vorkommt als sich das der Hetero /die Hetera vorstellen kann. Gut ist auch der Abschnitt, der darauf eingeht, wie es Kindern in Regenbogenfamilien geht. Er kommt aufgrund von Studien zu dem Schluss, dass es ihnen gut geht.

Ich habe im Großen und Ganzen den Eindruck dass das Weglassen der Großen Abschnitte dem Buch gut getan hätte. Ich empfehle dieses Buch trotz der Unzulänglichkeiten, die es aus meiner Sicht hat, allen Pädagog_innen und Mitarbeiter_innen in der Jugendhilfe an Schulen und all jenen, welche Lehrer_innen oder Erzieher_innen ausbilden.

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