Rezension zu Eine Couch auf Reisen
Deutschlandradio Kultur
Rezension von Ulfried Geuter
Robert Akeret ist Psychotherapeut. Er behandelt Patienten
in der Regel so lange, bis es ihnen gelingt, wieder alleine
zurechtzukommen. Doch weil er wissen wollte, wie die Geschichten
weitergingen, besuchte er fünf ehemalige Patienten. Wie die
Krankengeschichten weitergingen, erzählt er in seinem Buch »Eine
Couch auf Reisen«.
Fünf Geschichten in der besten Tradition von Sigmund
Freud, der die Krankengeschichte zur literarischen Form der Novelle
entwickelte. Von Naomi, der Studentin, die ihr Leben im College
hasst, ihre Mutter verachtet und glaubt, in die falsche Familie
geboren worden zu sein; deren Lebensdrang und erotische
Ausstrahlung als Kind und Jugendliche von ihrer Mutter gefesselt
wurden; die aufreizend ins Büro der Beratungsstelle einer
Universität kommt; die tanzen will und von der Idee beherrscht ist,
eine spanische Contessa zu sein, schließlich nach Mexico geht, um
Tanz zu lernen.
Akeret trifft sie nach vielen Jahren wieder. Da heißt sie Isabella,
war Flamenco-Star in Sevilla gewesen, danach Leiterin einer
Tanzschule in den USA und betreibt in Florida einen Pudelsalon. Der
Therapeut ist von ihr beeindruckt. Während der Therapie hatte er
darüber nachgedacht, ob sie an einem Wahn leide, an einer Störung,
bei der sich ein Mensch als zwei oder mehrere Personen begreift.
Doch Isabella vermittelt ihm, wie sehr sie es genoss, mehrere Leben
in eins zu bringen.
Akeret erzählt die Geschichten seiner Patienten mit ansteckender
Leidenschaft für seine therapeutische Aufgabe und teilweise
geradezu spannend. Es gelingt ihm, die Erzählung ihrer
Lebensgeschichte, frühere therapeutische Dialoge, von denen er
Tonaufnahmen zu haben scheint, seine heutigen Eindrücke von diesen
Menschen und seine eigenen Gefühle auf der Reise zu in sich
geschlossenen Geschichten zu verknüpfen.
Nicht alle fünf sind dabei Erfolgsgeschichten. Mindestens zwei sind
tragisch. Eine ist die des narzisstischen Schriftstellers Sasha,
der seine Unfähigkeit, Nähe zu einem Menschen zu leben, nicht
verlor. Akeret ist bestürzt, als er ihn trifft. Er jagte auch nach
der Therapie der Hitze des sexuellen Rauschs nach und wurde ein
einsamer alter Mann. Aber er schaffte es, durch die Therapie seine
Schreibblockade zu lösen und großartige Romane zu schreiben, indem
er das, was ihn zu zerreißen schien, als Quelle seiner
literarischen Produktionen nutzte.
Auch Akeret, der Psychoanalytiker, hat die Qualen der Seele als
Quelle der Literatur genutzt. Aus den Qualen seiner Patienten und
seinen inneren Skrupeln, ob er denn gute Arbeit geleistet hat, ist
sein Buch entstanden. Das Leiden ist der Stoff, um gute Geschichten
zu erzählen, die kurzweilig und doch tiefsinnig zu lesen sind. Man
liest sie auch deswegen gern, weil Akeret ein kreativer
Psychotherapeut ist, der sich nicht an starre Regeln seiner
psychoanalytischen Zunft hält. Er lässt Isabella in seiner Praxis
tanzen, und mit jedem Patienten arbeitet er auf eine Art, die auf
diese Person zugeschnitten ist. Seine Geschichten nutzen die
Neugier des Lesers am Außergewöhnlichen, sie befriedigen das
Bedürfnis, wenigstens in der Phantasie in Lebensbereiche zu
schauen, die man sonst vielleicht nicht sieht, aber in der
Literatur mit ruhigem Abstand sehen kann. Sie vervollständigen
Lebensgeschichten, die ungewöhnlich sind und deren Fortgang man
gerne erfährt. Aber das Ende erfährt man auch so nicht, weil die
Romane des Lebens erst mit dem Tod zu Ende gehen.