Rezension zu Musik und Demenz (PDF-E-Book)

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Rezension von Gisela Stoll

Autor und Autorinnen

Peter Alheit, Dr. Dr., ist promovierter Soziologe und Erziehungswissenschaftler sowie emeritierter Professor für Allgemeine Pädagogik an der Georg-August-Universität Göttingen. Er publiziert zu Bildungs-, Mentalitäts- und Sozialstrukturforschung, zum Altern der Gesellschaft und zu ästhetischer Bildung und gilt als international anerkannter Experte der Biografieforschung und des lebenslangen Lernens.

Kate Page, MMus, ausgebildete Musikerin, war Projektmanagerin für »Music for Life« an der Wigmore Hall in London. Die Oboistin lebt in Australien und bietet kreative Musikworkshops für unterschiedliche Zielgruppen an.

Rineke Smilde, PhD, ist Musikologin, Flötistin und Professorin für Lebenslanges Lernen in der Musik an der Hanze-Universität Groningen sowie für Musikpädagogik an der Universität für Musik und darstellende Künste Wien.

Thema

Dieses Buch ist für Musiker geschrieben, die sich für Menschen engagieren, die jenseits von Konzerthallen leben. Es beschreibt die außergewöhnliche Wirkung von Musik, besonders im Bereich von Krankheit, Schwäche und Leiden.

Dabei geht es nicht um Anregungen für das Pflegepersonal, wie man mit vertrauten Liedern die Stimmung verbessern kann – es geht eher darum, mit den Mitteln der Musik die Person hinter der Person wieder sichtbar zu machen.

Musikerinnen, Demenzkranke, Pflegerinnen und Wissenschaftlerinnen kommen zu kreativen musikalischen Workshops mit dem Ziel zusammen, die Beziehung zwischen Demenzpatienten und Pflegepersonal zu stärken.

Das innovative Programm »Music for Life« wurde 1993 von der Musikpädagogin Linda Rose ins Leben gerufen. Weiterentwickelt wurde es mit Jewish Care und einem wachsenden Team von Musikern. Seit 2009 wird das Projekt unterstützt von der Wigmore Hall in London, einem weltberühmten Aufführungsort für Kammerkonzerte – in Kooperation mit Dementia UK, der bedeutendsten Förderinstanz für neue Formen des Umgangs mit Demenz in Großbritannien.

Die vorliegende Studie basiert auf Gesprächen, Feldbeobachtungen, Reflexionstagebüchern und Interviews und erforscht so die Interaktion zwischen Musik und Demenz in einer systematisch-empirischen Untersuchung.

Während eines Zeitraums von acht Wochen arbeiten drei Musiker mit acht Demenzkranken und fünf Mitgliedern des Pflegepersonals, indem sie musikalische Improvisation als Anregung für Kommunikationsformen nutzen.

Die Forschung zeigt, dass das Engagement in musikalischer Kommunikation außergewöhnlich wohltuend sein kann für Menschen mit Demenz.

Wo Worte nichts mehr bewirken, kann Musik Kontakt herstellen, indem sie Gesten Ausdruck verleiht, die niemals vollständig in Worten ausgedrückt werden können.

Aufbau und Inhalt

Kapitel 1 behandelt Forschungsfragen und beschreibt die Gliederung der Studie. Es beginnt mit einem Zitat von Peter Renshaw, einem der international einflussreichsten Fachberater in der Musikausbidung, London: »Es ist dringend notwendig, dass Musiker und die gesamte Kunstgemeinde beginnen müssen, sich sowohl auf lokaler wie auf globaler Ebene an der Debatte zu beteiligen, wer wir sind, und was wir gemeinsam erreichen können.«

Das 2. Kapitel enthält den konzeptionellen Rahmen. Dabei geht es um das Krankheitsbild Demenz, und es werden Pflegetheorien und Therapieansätze beschrieben, wie sie aus der Alterspsychiatrie und der Altenpflege bekannt sind.

So geht es z.B. beim personzentrierten Ansatz nach Tom Kitwood, einem englischen Sozialpsychologen und Gerontologen, ebenso wie bei dem biografisch-partizipativen Ansatz, immer wieder um die Musik als einen wichtigen Weg bei der Kommunikation.

Ein Abschnitt befasst sich mit lebenslangem Lernen, ein weiterer mit angewandter musikalischer Improvisation.

Die folgenden Kapitel behandeln u.a. die Analyse und Kodierung der qualitativen Daten, »Kernkategorien« wie Identität, Kommunikation, Partizipation und Entwicklung.

Das letzte Kapitel 5 enthält abschließende Überlegungen und Diskussion der Ergebnisse.

Im Anhang gibt es eine vierseitige Liste mit Musikinstrumenten, solche mit bestimmter Tonhöhe und ungestimmte, die bei dem Projekt eingesetzt wurden.

Zielgruppe

Im Gegensatz zu anderen Büchern mit dem Thema »Musik und Demenz« richtet sich dieses Buch in erster Linie an Profimusiker. Die Ergebnisse der Studie können Musiker inspirieren.

Das Buch enthält eine Reihe von mehrstimmigen Notenbeispielen für Gesangsstimmen und Instrumente. Das Umsetzen in der Praxis erfordert daher Grundkenntnisse in Musik, entsprechende Instrumente und ein Team, das damit umgehen kann.

Die Autoren betonen aber, dass auch professionelle Pflegepersonen und Familienangehörige in diesem Buch Anregungen und Erkenntnisse finden können.

Fazit

Es zeigt sich bei dem Projekt, dass die begleitenden Wissenschaftler eine andere Perspektive auf das Geschehen einnehmen als die Musiker und die Pflegenden.

Obwohl die Autoren wiederholt den Unterschied zur Musiktherapie betonen, scheint es bei näherem Hinsehen doch eine Menge Parallelen zu geben.

Leider sind immer noch viele wissenschaftliche Texte wegen zu langer Schachtelsätze nur schwer lesbar und meist mit zu vielen Fremdworten gespickt, so auch in diesem Buch. Wer genügend Zeit, Geduld und wissenschaftliches Interesse hat, findet aber auch viele anrührende Beispiele aus der Praxis. So schildern die Autoren sehr eindrücklich, was Musik bei demenzkranken Menschen bewirken kann, auch wenn diese über Worte oft nicht mehr zu erreichen sind.

Zitiervorschlag
Gisela Stoll. Rezension vom 28.09.2015 zu: Peter Alheit, Kate Page, Rineke Smilde: Musik und Demenz. Das Modellprojekt »Music for Life« als innovativer Ansatz der Arbeit mit Demenzkranken. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2015. ISBN 978-3-8379-2456-5. Übersetzung aus dem Englischen von Peter Alheit. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/18426.php, Datum des Zugriffs 12.12.2016.

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