Rezension zu Verwaltung des Krankenmordes

Sozialpsychiatrische Informationen 1/2006 36.Jg.

Rezension von Heinz Faulstich

In diesem Buch geht es darum, ob und wie Provinzial- oder Länderverwaltungen im NS-System selbst eine aktive Rolle bei der Ermordung von psychisch kranken Menschen gespielt haben. Der Verdacht bestand schon seit langem, ohne im Einzelnen belegt werden zu können. Die bisher umfangreichste Darstellung der Entwicklung eines Provinzialverbandes, nämlich diejenige von Bernd Walter über die Geisteskrankenfürsorge in der Provinz Westfalen (Paderborn 1996), konnte gerade in dieser Hinsicht keine Aufschlüsse geben, da in den westfälischen Anstalten – mit Ausnahme einer kleinen Kinderfachabteilung- nicht gemordet wurde. Nichtsdestoweniger hat sich auch Walter mit dem Problem besonderer regionaler Entwicklungen auseinander gesetzt und unter Hinweis auf die frühen Krankenmorde in Pommern und die Entstehung der Mordanstalten Hadamar und Meseritz-Obrawalde in der zweiten Phase der »Euthanasie« den Begriff der »regionalen Euthanasie« vorgeschlagen, womit er »die Fortsetzung der ›Euthanasie‹-Aktivitäten im regionalen Rahmen und (...) in der Verantwortung von Führungskräften in den Gau- und Gesundheitsverwaltungen« meinte, die »aus eigenem Antrieb besonders radikal und skrupellos agierten«.

Peter Sander hat nun mit dem Bezirksverband Nassau die Entwicklung einer solchen Mordregion im Detail beschrieben. Als langjähriger Mitarbeiter der Gedenkstätte Hadamar ist Sandner mit der »Euthanasie«-Literatur und -forschung bestens vertraut, auch hatte er durch die Bearbeitung der Kapitel über die NS-Zeit in den Anstalten Weilmünster und Eichberg im Rahmen der von Christina Vanja begründeten historischen Schriftenreihe des LWV Hessen selbst wichtige neue Forschungsergebnisse vorgelegt. Damit ergab sich erstmals die Möglichkeit eines Gesamtüberblicks über den Wiesbadener Bezirksverband, seine Anstalten und die darin handelnden Personen.

Vorangestellt sei die Charakterisierung der maßgeblichen Führungskräfte: Sofort nach der Machtübernahme wurde Fritz Bernotat, damals noch ein kleiner Verwaltungsbeamter, von Gauleiter Jakob Sprenger, der ihn schon seit der »Kampfzeit« kannte und inzwischen als den »agilsten Nationalsozialisten im Landeshaus« – dem Sitz der Bezirksverbandes in Wiesbaden schätzen gelernt hatte, zum »politischen Beauftragten« für den Bezirksverband ernannt. Diese machtvolle Position konnte er noch ausbauen, als ihn der neue Landeshauptmann Wilhelm Traupel im Herbst 1933 zu seinem Adjudanten ernannte und mit vielen Kompetenzen und Vollmachten ausstattete. Sowohl zu Traupel – der wie Bernotat SS-Mitglied war – als auch zu Sprenger entwickelte Bernotat enge persönliche Beziehungen, was nicht zuletzt auch seiner rasanten Beamtenkarriere zugute kam. Gemeinsame Überzeugung dieser Führungstroika war die energische Verfolgung rassenhygienischer Ziele und des Abbaus der »ungeheuren Fürsorgelasten«. In einem Punkt aber unterschied sich Bernotat deutlich von seinen Gesinnungsgenossen, nämlich in einem persönlichen, in seiner Motivation noch unklaren, tiefgehenden Hass gegenüber allen psychisch Kranken und geistig Behinderten. Schon in der Vorkriegszeit sprach er offen davon, dass man »diese Kranken umlegen« oder einfach »totschlagen« solle (vgl. S. 320).

Nachdem Traupel 1936 auch noch die Leitung des Bezirksverbands Hessen, des nördlichen Teils der Provinz Hessen-Nassau übernommen und seinen Dienstsitz nach Kassel verlegt hatte, schwang sich Bernotat zum eigentlichen Herrscher des Bezirksverbandes Nassau auf. Zunächst betrieb er mit der ihm eigenen brutalen Energie die von Traupel eingeleitete Politik der Ausschaltung der konfessionellen Anstaltsträger aus der Betreuung psychisch kranker und geistig behinderter Menschen, wobei man auch vor falschen Versprechungen und illegalen Machenschaften nicht zurückschreckte. Durch Berechnung der in den staatlichen Anstalten höheren Pflegesätze bei den übernommenen Patienten ließen sich dabei erhebliche Gewinne erzielen.

Diese Erkenntnis, dass man an der Versorgung von Geisteskranken auch gut verdienen könne, wurde für Bernotat zu einem der Leitmotive seines zukünftigen Handelns. Bald wandte er es auch auf diejenigen Patienten an, die sich ohnehin schon in staatlicher »Anstaltsfürsorge« befanden, indem er sie weit unter dem Niveau versorgen ließ, welches die Pflegesätze an sich erlaubt hätten. Erreicht wurde dies durch massive Einsparungen in allen Bereichen, so beim Personal und bei der Ernährung, vor allem aber durch eine enorme Überbelegung. Anhand der Entwicklung von Weilmünster zu einer nationalsozialistischen Sparanstalt kann Sandner dies eindrücklich demonstrieren. Aufgrund der Entkonfessionalisierungsaktion, aber auch durch Übernahme zahlreicher Patienten aus der Rheinprovinz stieg dort die Belegung zwischen 1935 und 1938 von rund 500 auf 1500 Patienten an. Damit ging eine massive Qualitätsverschlechterung der pflegerischen Versorgung einher, die auch dadurch entstanden war, dass man gerade in Weilmünster bei der Wiederaufnahme des Krankenhausbetriebes viele »alte Kämpfer«, darunter etliche SS-Männer, eingestellt hatte, die von Krankenpflege keine Ahnung hatten und oft brutal mit den Patienten umgingen.

Peter Sandner kann in Weilmünster noch ein anderes Phänomen herausarbeiten, das für zukünftige Entwicklungen in den Anstalten des Bezirksverbandes bedeutsam werden sollte, nämlich die Stärkung der Macht der Verwaltungsleiter auf Kosten der ärztlichen Direktoren. Bernotat ließ den Verwaltungsleiter von Weilmünster jede Woche in seinem »Jagdschlösschen« in Weilmünster zum Rapport antreten, um mit ihm die erreichten Fortschritte im Sparprogramm zu besprechen, während es mit dem ärztlichen Direktor keinen Austausch gab. Sandner stellt fest: »Im Einklang mit Landeshauptmann Traupel baute Bernotat das Anstaltswesen als Herrschaftsgebiet der Verwaltung und nicht der Medizin aus.« (S. 329) In dem 1940 voll entbrannten Machtkampf zwischen Sprenger und Traupel, der zur Entmachtung des Letzteren führte, schlug sich Bernotat instinktsicher und rechtzeitig auf die Seite des Gauleiters, womit seine dominierende Position im Bezirksverband endgültig zementiert war.

Wie es genau dazu kam, dass als letzte der sechs Gasmordanstalten der T4 das nicht ganz ideal gelegene Hadamar ausgewählt wurde, kann auch Sandner nicht definitiv klären, da die entsprechenden Akten des Bezirksverbandes vernichtet wurden. Er muss sich deshalb mit der Konstruktion behelfen, dass der Besuch jener hohen Kommission vom Februar 1939, der Prof. Carl Schneider, Dr. Herbert Linden vom Reichsinnenministerium und ein SD-Mann angehört hatten und die alle Vorwürfe des Frankfurter Psychiatrieprofessors Kleist über die miserablen Verhältnisse in den nassauischen Anstalten zurückwies, von »entscheidender Bedeutung für die Einbindung des Bezirksverbandes Nassau in die ›Euthanasie‹-Verbrechen« gewesen sei. Dabei hätten sich neben Bernotat auch der Eichberger Direktor Dr. Mennecke als grundsätzliche Befürworter der »Euthanasie« zu erkennen gegeben und dadurch für die Beteiligung an der Mordaktion geradezu empfohlen.

Sandner kann unter minutiöser Auswertung der gesamten »Euthanasie«-Literatur und -Prozessakten nachweisen, dass keine andere Länder- oder Provinzialverwaltung so eng und intensiv mit der T4-Zentrale zusammengearbeitet hat wie der Bezirksverband Nassau. Die Kooperation reichte vom Einsatz eigener Arbeiter bei der Einrichtung der Mordanstalt und der Abordnung eigenen Personals zum Betrieb derselben bis zur kostenlosen Überlassung der Anstalt Hadamar. Ein besonderes Entgegenkommen Bernotats bedeutete auch die Tatsache, dass er alle seine Anstalten als Zwischenanstalten zur Verfügung stellte und sich auch aktiv an der Steuerung der Zu- und Abtransporte beteiligte. – »In dem Wiesbadener Anstaltsdezernenten Bernotat fand T4 einen engagierten Mitstreiter, der aufgrund seiner Präsenz und Durchsetzungskraft den Bezirksverband Nassau insgesamt zu einem verlässlichen Partner der Mordorganisation formen konnte.« (S. 510)

Die engen Verbindungen zwischen Bezirksverband und T4-Organisation blieben auch nach dem Stopp erhalten, so wurde einerseits das vom Bezirksverband zur T4 abgeordnete Personal teilweise zum Russlandeinsatz mitgenommen, andererseits T4-Personal nach Eichberg und Weilmünster versetzt, wo es sich maßgeblich an den aufkommenden Medikamentenmorden beteiligte. Die Grundlage für Letzteres war die von einzelnen Anstaltsdezernenten, so auch von Bernotat an »zuverlässige« Ärzte ausgegebene Devise in ausgewählten Fällen weiter »Euthanasie« zu betreiben. – Ein Hungersterben hatte es in Nassau und Kurhessen schon vor der Aktion T4 gegeben. Nach dem überraschenden Stopp der Aktion, als viele für Hadamar bestimmte Patienten in den Zwischenanstalten zurückgeblieben und Ende 1941 auch noch Evakuierungstransporte aus den luftgefährdeten norddeutschen Anstalten hinzugekommen waren, nahm es ab 1941/42 in den Anstalten des Bezirksverbandes, besonders aber in Weilmünster neue Dimensionen an.

Bezüglich des Hungersterbens gebührt Peter Sandner das Verdienst, die strukturellen Voraussetzungen für den Einsatz der Unterernährung als Mordmethode als Erster genau und überzeugend herausgearbeitet zu haben. (Bei meinen vorwiegend statistischen Forschungen zu diesem Thema ging es mir seinerzeit vor allem um den Nachweis des Hungersterbens als solchem, um die allgemeinen Ernährungsbedingungen und auch um regionale Unterschiede. In der Regel standen mir jedoch keine Verwaltungsakten zur Verfügung.) Während Sandner die Verantwortung für die Medikamententötungen den ausführenden Ärzten und Pflegekräften zuschrieb, stellte für ihn »die mangelhafte Nahrungsmittelversorgung (...) eine Tat der Verwaltung im Einklang mit den grundsätzlichen Vorgaben aus der Politik dar«. (S. 589) Tatsächlich war der Nahrungsentzug zusammen mit der Überbelegung mit all ihren gesundheitsschädigenden Auswirkungen diejenige Mordmethode, die die Verwaltung am leichtesten steuern konnte.

Konkret ließen sich im Bezirksverband Nassau zwei Entscheidungs- und Handlungsebenen nachweisen: Erstens die von Bernotat gelenkte Zentralverwaltung in Form der sehr niedrigen Ansätze für die Ernährung der Patienten im Haushaltsplan, zweitens in den Anstalten selbst durch die tatsächliche Bereitstellung von Lebensmittelmengen, die noch einmal deutlich unter den etatmäßig vorgesehenen Rationen lagen. Für diese zusätzlichen Einschränkungen waren die leitenden Verwaltungsbeamten, von Bernotat entsprechend instruiert, verantwortlich. Die eingesparten Nahrungsmittel, aber auch Kleidung und Ähnliches wurden an andere Institutionen und auch an Einrichtungen der Partei abgegeben. – Dem Anstaltspersonal blieb die vom Bezirksverband und den Verwaltungsleitern betriebene Unterschlagung von Lebensmitteln nicht verborgen, was einer Aufforderung gleichkam, sich selbst ebenfalls nach Kräften zu bedienen. Das tat man dann auch. Die Unterschlagung von Lebensmitteln kam aber auch der Justiz zu Ohren, die strenge Sondergerichte zur Ahndung von »Verbrechen gegen die Kriegswirtschaftsordnung« eingerichtet hatte. Die 1943 im Kalmenhof und auf dem Eichberg durchgeführten Ermittlungen führten in zwei Prozessen zur Verurteilung von Verwaltungsangestellten und Wirtschaftspersonal. Auch Bernotat geriet ins Visier der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, wurde aber von Gauleiter Sprenger gedeckt.

Im Jahre 1942 eskalierte aus verschiedenen Gründen der schon seit einiger Zeit schwelende Konflikt zwischen Bernotat und Mennecke, unter anderem deswegen, weil Mennecke auf dem Eichberg eine »Therapieabteilung» zur Durchführung der modernen Schockverfahren einrichten wollte, die er bei Prof. Carl Schneider in Heidelberg erlernt hatte. Mit seinem Vorhaben folgte Mennecke den Vorschlägen der leitenden T4-Ärzte, welche der Psychiatrie mit Forschung und Therapie – aber auch mit begleitender »Euthanasie« – eine neue Zukunft zu geben gedachten. Bernotat jedoch sperrte sich dagegen. Er betrachtete Menschen mit seelischen und geistigen Behinderungen ausschließlich als minderwertige »unnütze Esser«, die keiner medizinischen Behandlung bedürften und am besten alle beseitigt werden sollten. Der Konflikt zwischen den beiden Protagonisten in Nassau wird von Peter Sandner als exemplarisch für den Zerfall der NS-Psychiatrie in zwei völlig verschiedene Lager angesehen, nämlich in die »Psychiatriefraktion« der leitenden Ärzte in der T4-Organisation auf der einen und der »Partei- und Verwaltungsfraktion« auf der anderen Seite, zu der hochrangige Verwaltungsbeamte wie Linden im Reichsinnenministerium, aber auch Allers und H. J. Becker in der T4-Organisation gehörten. Mennecke, der seinen früheren Förderer Bernotat mittlerweile für »den größten Feind der Zukunftspsychiatrie« hielt, konnte sich durch seine Parteinahme für die »Psychiatrie-Fraktion« im Bezirksverband nicht mehr halten. Bernotat ließ im Januar 1943 seine Freistellung vom Militärdienst aufheben und sorgte dann auch noch dafür, dass er an der Ostfront eingesetzt wurde.

Seinen ungebrochenen Vernichtungswillen konnte Bernotat im Sommer 1942 erneut unter Beweis stellen, nachdem die Berliner T4-Zentrale die Anstalt Hadamar an den Bezirksverband zurückgegeben hatte. Er machte daraus ein Zentrum der zentral organisierten und dezentral umgesetzten Krankenmorde mithilfe von Medikamenten. Auch hierzu haben sich keine Dokumente auffinden lassen. Sandner geht aber mit Recht davon aus, »dass die Grundsatzentscheidung zur im August 1942 geschehenen Wiedereinrichtung der Mordanstalt Hadamar gemeinsam von Vertretern des Bezirksverbandes und von ›T4‹ (...) getroffen wurde. Die mehrtägige Begegnung zwischen den Wiesbadener Landesräten Bernotat und Kranzbühler einerseits sowie dem Berliner Reichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstalten und ›T4‹-Mitarbeiter Linden andererseits, die Mitte Mai 1942 (...) stattgefunden hatte, dürfte für diesbezügliche Kontaktaufnahmen genügend Gelegenheit geboten haben«. (S. 609) Später traf sich Bernotat auch noch mit dem Geschäftsführer der T4 Dietrich Allers und dem Leiter der zentralen Verrechnungsstelle Hans-Jochim Becker.

Wie schon während der Gasmordaktion kam es auch jetzt wieder zu einer reibungslosen Zusammenarbeit, von der sowohl der Bezirksverband als auch T4 profitierte. So stellte T4 das vorübergehend in Weilmünster beschäftigte Mordpersonal nun für Hadamar zur Verfügung, half bei der Neueinrichtung der Anstalt u. a. mit der Lieferung von Strohsäcken und ließ die ersten Transporte von der Gekrat durchführen. Der Verwaltungsleiter Klein, der sich schon während der Gasmorde in vielfacher Hinsicht nützlich gemacht hatte, wurde jetzt lokaler Ansprechpartner und Repräsentant von T4. Auf der Ebene des Bezirksverbandes avancierte er zum eigentlichen Direktor der Mordanstalt, während der Arzt Dr. Wahlmann lediglich die Rolle eines medizinischen Feigenblattes spielte.

Die Organisation der Verlegungen war dem Duo Bernotat und Linden vorbehalten, die zumeist telefonisch miteinander kommunizierten. Linden, den auch Sandner als die »Schlüsselfigur« der Patientenmorde nach T4 einschätzt, war durch die regelmäßigen Belegungsmeldungen der Anstalten genau informiert und konnte je nach Räumungserfordernissen die Evakuierungstransporte dorthin dirigieren, wo noch Platz war. Bernotats Aufgabe in diesem System war es, immer wieder freie Plätze anzubieten – auch durch die Ermordung der Patienten. Waren die Platzanforderungen für Hadamar zu groß, dann schickte er Transporte wieder in die ehemaligen Zwischenanstalten. Von dort erfolgte dann später der Weitertransport nach Hadamar als der effektiveren Tötungsanstalt. – Insgesamt wurden in Hadamar in der Zeit von August 1942 bis zum Kriegsende mehr als 4400 Menschen ermordet, in der Hauptsache evakuierte psychisch Kranke aus vielen deutschen Anstalten, von denen fast 90 % bis Kriegsende starben, ab 1944 aber auch körperlich und psychisch kranke Zwangsarbeiter, Fürsorgezöglinge und jüdische Mischlingskinder.

So ausführlich wie bisher noch kein anderer »Euthanasie«-Forscher beschäftigt sich Peter Sandner mit der Tatsache, dass praktisch zeitgleich mit der Wiedereröffnung von Hadamar auch in Meseritz-Obrawalde eine Anstalt mit eindeutigem Tötungsauftrag ihre Tätigkeit aufnahm und dass zwischen den beiden Anstalten auffällige Ähnlichkeiten bestanden: Beide wurden in der Regie von Provinzialverwaltungen betrieben, beide wurden von Verwaltungsbeamten geleitet – Klein in Hadamar und Grabowski in Meseritz – und in beiden wurden aus dem ganzen Reich antransportierte Psychiatriepatienten mit Medikamenten ermordet. – Pointierter noch als in seinem Buch hat Peter Sandner in einem am 21. Mai 2004 in Warschau gehaltenen Vortrag vor polnischen Medizinern und Historikern und dem aus Deutschland angereisten Arbeitskreis zur Erforschung der »Euthanasie« die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Forschungen dahingehend zusammengefasst, dass Hadamar und Meseritz-Obrawalde »zu Modellanstalten einer neuen systematischen Krankenmordaktion« geworden seien, die »als Ersatz oder Fortsetzung der Gasmordaktion gelten« könne. Entscheidend sei dabei, dass dieses »Kooperationsprojekt« zentral durch den Reichsbeauftragten Herbert Linden und Vertreter der »T4«-Zentrale in Berlin gesteuert und dezentral von Anstaltsträgern umgesetzt worden sei, wobei nicht mehr – wie in der T4-Aktion – die Ärzte, sondern die Verwaltungsleute das Sagen gehabt hätten.

Die These von der zentralen Steuerung einer dann dezentral durchgeführten Mordaktion ist gerade für diese bisher noch viel zu wenig beachteten Sonderentwicklungen in Hadamar und Meseritz hochgradig evident, aber sie als Ersatz oder gar Fortsetzung der Gasmordaktion zu bezeichnen, in der es ausschließlich – wie seinerzeit in Aktion T4 – um die Vernichtung lebensunwerten Lebens« gegangen sei, erscheint mir denn doch recht kühn. In dieser These fehlt mir wenigsten ein kleiner Hinweis darauf, dass die massive Steigerung der mörderischen Aktivitäten auch etwas mit dem gestiegenen Bedarf an Krankenhausbetten infolge des Bombenkrieges und der erheblichen Verluste im Ostfeldzug zu tun hatten. – Gewagt ist auch die Annahme von Peter Sandner, dass diese Sonderaktion durch Karl Brandt legitimiert gewesen sei. Er stützt sich dabei auf die »unmittelbare zeitliche Nähe der Wiedereröffnung der Anstalt Hadamar zur Ernennung von Karl Brandt zum Bevollmächtigten für das Sanitäts- und Gesundheitswesen am 28. Juli 1942«. (S. 609) Nachdem er diesen Zusammenhang zunächst nur für wahrscheinlich hielt, stellt er danach die Legitimierung der neuen Aktion durch Brandt an vielen Stellen seines Buches als gegeben dar. Dabei hebt er besonders auf den in Hitlers Ernennungsschreiben enthaltenen Begriff der »Sonderaufgaben« ab, der sich aber im vollen Wortlaut des Erlasses ausdrücklich auf »Sonderaufgaben und Verhandlungen zum Ausgleich des Bedarfs an Ärzten, Krankenhäusern usw. zwischen dem militärischen und dem zivilen Sektor« bezog. Die zeitliche Nähe allein schafft sicherlich noch keinen inhaltlichen Zusammenhang.

Ich möchte Peter Sandner vorschlagen, es doch bei der von ihm vorzüglich herausgearbeiteten und bewiesenen These von der aktiven Rolle von Provinzial- und Länderverwaltungen bei der Durchführung von Krankenmorden zu belassen. Leute wie Fritz Bernotat oder der Gauleiter von Pommern, Franz Schwede-Coburg entsprachen genau der oben zitierten Beschreibung Bernd Walters von Führungskräften in den Gau- und Gesundheitsverwaltungen, die »aus eigenem Antreib besonders radikal und skrupellos agierten«: Beide hatten schon vor der Aktion T4 gemordet und konnten sich danach durch Hitlers »Euthanasie-Ermächtigung« nur bestätigt fühlen. Sie bedurften nicht ständig neuer Legitimation.

Weiter oben hatte ich Bernotats Erkenntnis, dass man an Leiden und Tod der Patienten auch noch Geld verdienen könne, neben seinem Hass auf alle psychisch Kranken als eines der Leitmotive seines Handelns herausgestellt. Durch ständige Überbelegung seiner Anstalten mit auswärtigen Patienten (für die er keine Pflegesätze zu bezahlen hatte), durch Unterernährung, Unterversorgung und Ermordung wurde diese perverse Profitgier so perfekt umgesetzt, dass der hoch verschuldete Bezirksverband Nassau am Ende der NS-Zeit alle Schulden in Höhe von 40 Millionen Reichsmark getilgt und 15 Millionen RM Rücklagen gebildet hatte. Als der Kämmerer Landesrat Willi Schlüter im Mai 1945 seinem Nachfolger über die günstige Finanzlage berichtete, soll dieser beglückt ausgerufen haben: »Mir ist, als ob ich heute Geburtstag hätte!« – Übrigens wurde keiner der höheren Beamten des Landeshauses, die an diesem Ergebnis fleißig mitgewirkt hatten, nach dem Krieg gerichtlich belangt. Sie waren noch nicht als Mittäter erkannt.

Gegen Schluss sind noch einige Worte über das Buch als solches angebracht: Da ist zunächst zu rühmen, dass es für seine fast 800 Seiten mit 35 Euro recht preisgünstig ist, was wahrscheinlich nur durch Zuschüsse des LWV Hessen möglich wurde. Leider hat man die Unterbringung der riesigen Textmassen aber auch durch einige Nachteile erkauft: So ist das fast 2 kg wiegende Buch schwer zu handhaben. Bei der zu straffen Leimbindung und dem zu schmalen Innensteg muss man die Seiten kräftig auseinander drücken, um die in der Mitte liegenden Satzanfänge und -enden lesen zu können. Auch sind die Ziffern der Anmerkungen so klein, dass man immer wieder zur Lupe greifen muss. Wahrscheinlich hätte es dem Buch gut getan, den ausufernden Anmerkungsapparat, der im Durchschnitt fast ein Drittel der Textseiten in Anspruch nimmt, zu straffen, oder, falls der Autor damit nicht einverstanden gewesen wäre, den Text auf zwei Bände zu verteilen.

Dennoch stellt das Buch mit dem gelungenen Nachweis der aktiven Beteiligung von Verwaltungen an Krankenmord und Hungersterben einen Meilenstein in der Erforschung der NS-Psychiatrie dar und sollte zur genaueren Untersuchung der Verwaltungsstrukturen in den bereits identizierten Mord regionen der zweiten Phase der »Euthanasie« anregen. Darüber hinaus krönt es – quasi als »Schlussstein«- die von Christina Vanja mit großer Energie durchgehaltene Erforschung und publizistische Erschließung jener Provinz des Dritten Reiches, in der mit rund 20 000 Opfern die meisten psychisch Kranken ermordet wurden.

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