Rezension zu Sprachbilder des Unbewussten
Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse, Heft 57, 1/2016
Rezension von Galina Hristeva
Das Faszinosum »Freud« verlangt nach immer neuen Erklärungen.
Einen Zugang sucht auch der Berliner Kulturwissenschaftler und
Psychoanalytiker Moritz Senarclens de Grancy: In seinem hier
angezeigten Buch konturiert er die Psychoanalyse als eine Theorie
und Praxis des Wiederauffindens des verloren gegangenen
Zusammenhangs und untersucht die für Freuds Denk- und Schreibweise
konstitutive »Dialektik von Bruch und Zusammenhang« (S. 29).
Die Spaltung des Bewusstseins der Patientinnen, der Verlust des
Assoziations- und Erinnerungsfadens, der Bruch der
lebensgeschichtlichen Kontinuität veranlassen den jungen Freud,
sich auf die Suche nach dem im Symptom noch schlummernden, durch
das »rettende« Wort (S. 13) zu restituierenden Zusammenhang zu
machen. Und so geben Breuer und Freud in der »Vorläufigen
Mitteilung« bekannt: »Wir fanden nämlich, dass die Symptome
verschwanden, [...] wenn der Kranke dem Affekt Worte gab« (S. 23).
Während aber Breuer den neuropoetischen Schöpfungen der
Patientinnen keinen Sinn abgewinnen kann, verfügt Freud über die
Fähigkeit, »auf ungewohnte Weise Verbindungen herzustellen« (S.
17).
Die Metapher ist für den Autor die Scharnierstelle zwischen Bruch
(mit bisherigen Bedeutungen und Kontexten) und Neuverknüpfung.
Leitend im Buch ist also die Frage nach der Herkunft von Freuds
Epistemik aus dem Bruch und der Neuverknüpfung sowie nach den
erkenntnistheoretischen Leistungen der Metapher in diesem
Spannungsfeld. Eingeklammert ist auch die wissenspoetologische
Frage nach dem Beitrag der Bildlichkeit zur Wissensgewinnung. Nicht
zuletzt soll das von Jean Starobinski aufgeworfene Problem der
»sehr engen Konnivenz« (S. 34) zwischen psychoanalytischer Rhetorik
und den erforschten Phänomenen und somit die Strukturanalogie
zwischen Psychoanalyse und Metapher überprüft werden.
Das »exklusive« Verhältnis (S. 39) von Psychoanalyse und Sprache
wird von Senarclens de Grancy überzeugend belegt, ebenso Freuds
Opposition gegen die positivistische Psychologie, seine Suche nach
neuen Ausdrucksmitteln für seine »prekären« Forschungsobjekte (S.
35). Deutlich spürbar ist zudem die Atmosphäre des Aufbruchs um
1900, wobei ein Verweis auf die damals grassierende Sprachskepsis
auch am Platz gewesen wäre. Nach der großflächig angelegten, die
vielfältigen Möglichkeiten der Metapher demonstrierenden
Darlegung wichtiger Ergebnisse der bisherigen Metaphernforschung
(Blumenberg, Lakoff u. Johnson, Weinrich usw.) lässt der Autor den
Leser an der Geburt eines durch Brüche und Verknüpfungen in
»mühevoller Kleinstarbeit« entstandenen »neuen Textes« (S. 42)
teilhaben.
Die Analysen der »Studien über Hysterie« und des »Entwurfs einer
Psychologie« bestätigen dann: Das Trauma der Patientinnen,
Therapieabbrüche, der spezifische Wahrheitsbegriff der
Psychoanalyse, die Einführung der psychischen Realität und die
neuen epistemischen Aufgaben erheischen regelrecht den Zugriff auf
metaphorisches, zuweilen mythisches Sprechen. Zu betonen ist aber,
dass diese konkreten Textanalysen erst spät im Buch einsetzen und
eine stärkere Fokussierung auf die Metapher wünschenswert gewesen
wäre, gleitet der Autor im Anschluss an die derzeit dominierende
Forschung doch immer wieder in die Besprechung narrativer Techniken
oder Genremerkmale der Freud‘schen Texte ab. Der anvisierte Nexus
zwischen der Metapher und ihrem Bruch- bzw. Verknüpfungspotential
hätte überhaupt konsequenter geknüpft werden können. Einzelne
Metaphern, etwa die Licht-, Schauspiel- und Bilderbuchmetapher oder
die berühmte Metapher vom »somatischen Entgegenkommen«, blitzen
nur »für einen Moment« (S. 126) auf, um recht schnell von
allgemeineren Überlegungen verdrängt zu werden. Zu stellen wäre
außerdem die Frage nach der Substanz hinter den Metaphern gewesen.
Ist das Ich z. B. nur eine Metapher, »ein Ausdruck von rein
metaphorischer Qualität« (S. 55), wie das Buch suggeriert?
Aus der Rhetorik herausgelöst hat die Metapher längst ihren
interdisziplinären Siegeszug gehalten. Ihr Wissen, ihre Nähe zur
Übertragung, die von ihr ausgehenden Irritationen, ihr
»schöpferischer Funken« (Lacan, zit. auf S. 78) sowie das Spiel
mit Kontinuität und Diskontinuität stimmen tatsächlich mit
Hauptzügen der Psychoanalyse überein. Mag Arlows Diktum von der
Psychoanalyse als »metaphorischer Unternehmung« (zit. auf S. 49)
auch übertrieben sein, regt Senarclens de Grancys Buch doch dazu
an, die Psychoanalyse weiterhin »vonseiten der Metaphorik [zu]
erhellen« (S. 39). Inwieweit Freuds Metaphorik wie auch der ganze
»epistemische Sonderfall« Psychoanalyse (S. 216) einer im Judentum
verwurzelten Erkenntnislehre verpflichtet und nach Pierre Legendre
mit dem Merkmal »jüdisch« (S. 222) zu versehen ist, wird – wie vom
Autor hier angestoßen – ebenfalls einer genaueren Prüfung
bedürfen.