Rezension zu Die eigene Angst verstehen
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Rezension von Dr. Jeanne Rademacher
Thema und Entstehungshintergrund
In diesem handlichen Ratgeber wird das aktuell in vielerlei
Hinsicht diskutierte Phänomen Angst aus der Perspektive einer
Arbeitsmedizinerin in seinen vielfältigen Formen beschrieben und
aus vorrangig psychoanalytischer Sicht erklärt. Ausgehend von der
Tatsache, dass es sich bei Angsterkrankungen um eine der in
Deutschland verbreitetsten psychischen Erkrankungen handelt und der
Leidensdruck bei den Betroffenen sehr hoch ist, versucht die selbst
in Ausbildung zur Psychoanalytischen Psychotherapeutin befindliche
Autorin größtenteils analytisch orientierte Wege aus der Angst
aufzuzeigen, wobei sowohl das Verständnis für die Ursachen angeregt
als auch konkrete Tipps bei unterschiedlichen Symptomen bzw.
Störungsbildern gegeben werden.
Aufbau und Inhalt
Einleitend gibt Voos eine kurze Bestandsaufnahme zur Häufigkeit von
Angsterkrankungen sowie zu therapeutischen
Begleitungsmöglichkeiten, wenn man unter Angstsymptomen leidet.
Hiernach schließen sich die Klärung der Frage, was Angst »ist« und
ab wann Angst krankhaft wird, an.
Die Verbundenheit von Körper und Psyche illustriert Voos in einem
nächsten Kapitel und stellt dar, welche körperlichen Symptome durch
die Angst hervorgerufen werden können. Anschließend werden
unterschiedliche Angststörungen (Panikstörung, Agoraphobie,
generalisierte Angststörung, Soziale Phobie und Hypochondrische
Störung) kurz charakterisiert, die jeweils häufigsten Symptome
anhand von Fallbeispielen illustriert und alltagstaugliche Tipps
zur quasi Eigenbehandlung gegeben.
Dass eine »Angststörung« eigentlich als eine
»Persönlichkeitsstörung« gelten kann, wird in einem Kapitel zu
Angst und Persönlichkeit(sstörung) näher beleuchtet. Hierin macht
die Autorin Entwicklungsbedingungen ängstlicher Reaktionsweisen
deutlich und lädt zur Idee ›Psychotherapie‹ ein.
Spezifische Phobien (z.B. Flugangst, Angst vor engen Räumen,
Spinnenphobie) sowie spezielle Symptome der Angst wie
Hyperventilation und Depersonalisation beschreibt Voos danach
nochmals explizit, ebenso wie schon vorab anhand von Fallbespielen
und angereichert mit praktischen Selbsthilfe-Tipps.
Der posttraumatischen Belastungsstörung und ihrer Besonderheit
widmet die Autorin ein eigenes Kapitel. Ausführungen zu
Möglichkeiten der professionellen Begleitung leitet Voos mit
Betrachtungen zu »Beruhigungsversuchen, die beunruhigen« ein,
streift dann kurz die Rolle der Familie bzw. Verwandten im Prozess
und stellt nochmals explizit spezielle Ängste von Kindern dar bzw.
beschreibt diese näher (z.B. Fremdeln und Trennungsangst, Angst vor
lauten Geräuschen, Schulangst).
Danach werden dann erste Schritte zu professioneller Hilfe
aufgezeigt, sprich Arten professioneller Begleitung
(Verhaltenstherapie oder Psychoanalyse, ambulante oder stationäre
Therapie, Einzel- oder Gruppentherapie) vorgestellt. Bevor
spezielle Therapien (Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie,
Hypnotherapie etc.) bzw. therapeutische Techniken wie Autogenes
Training, EMDR, Klopftechniken etc. zur Sprache kommen, wird die
Wartezeit bis zur Therapie bzw. die Überbrückung derselben
thematisiert bzw. (berechtigterweise) problematisiert.
Die Frage nach der Sinnhaftigkeit von medikamentöser Behandlung
sowie Arten von Medikamenten bei Angsterkrankungen wird vor dem
abschließenden Kapitel erörtert, welches die Überschrift
»Ermutigende Worte zum Schluss« trägt.
Zusätzlich finden sich ein Anhang mit wichtigen Adressen zum Thema,
ein kurzes Glossar wichtiger Fachtermini sowie die verwendete
Literatur.
Diskussion
Dieser Ratgeber gibt Laien Ideen an die Hand, eigene Angstsymptome
und Verunsicherungen deuten, damit (in gewissem Maße) selbst
umgehen und – so gewünscht – sich Wege zu professioneller
Begleitung suchen zu können.
Die Hälfte des Buches beschäftigt sich hierbei mit spezifischen
Angstphänomenen und bietet Tipps zum Umgang mit diversen
Angstsymptomen, ein Viertel liefert Erklärungsansätze und etwa ein
Viertel zeigt Ideen der fachlichen bzw. psychotherapeutischen
Begleitung auf. Gleich zu Beginn räumt die Autorin ein, dass es
sich vornehmlich um Informationen über die psychoanalytische
Therapie bei Ängsten handelt, die man im Rahmen dieses Buches
vermittelt bekommt. Diese Einschränkung zu betonen erscheint
wichtig und lobenswert, gibt es doch eine Vielzahl an Möglichkeiten
der Begleitung von Menschen mit ängstlichen Reaktionsweisen.
Hier und da hätte man sich eine noch vorsichtigere Haltung bezogen
auf die Präferierung analytischer Therapie gewünscht. So erscheint
der systemische Blick auf psychische Erkrankungen fast gar nicht
bzw. eher am Rande, damit verbunden auch wenig Information zu
systemischen Therapieansätzen. Dies ist auch nicht zwingend
notwendig, wenn man eine begrenzte Sicht von vornherein klarstellt
(was die Autorin tut). Dennoch sollte gerade bei einer sehr
einseitigen oder sagen wir fokussierten Betrachtung eine besondere
Relativierung der eigenen Perspektive erfolgen.
Die Ausführungen sind allesamt leserfreundlich aufbereitet und es
gelingt der Autorin gut, Fachbegriffe zu erklären und komplexere
theoretische Zusammenhänge (entwicklungspsychologische und
bindungstheoretische Aspekte von Ängsten, Mentalisierungskonstrukt)
gut verständlich und auf den Punkt gebracht zu erörtern. Durch die
Vielzahl an Fallbeispielen bekommt der Leser das Gefühl der
Vergleichbarkeit eigener Symptome mit denen anderer Betroffener und
kann quasi auch aus den therapeutisch offerierten Möglichkeiten je
nach Symptomen auswählen, was davon zu einem selbst passen könnte.
Als schöner Nebeneffekt darf bei dem Bemühen der vielen
Fallbeispiele auch gesehen werden, dass derlei Vergleichsprozesse
oftmals zu einer gewissen Erleichterung führen, gerade wenn man
aktuell von Angstsymptomen begleitet wird.
Inhaltlich ist das Buch also für Betroffene bzw. Laien umfassend
und erschöpfend aufbereitet. Bei allem Versuch, einen roten Faden
ins Buch zu bringen – dieser ist schwer erkenn- bzw.
nachvollziehbar. Es wird eingangs noch stringent das Wesen der
Angst sprich ihr Sinn im Leben eines Menschen erklärt sowie die
Grenze zwischen funktionaler und dysfunktionaler Angst zu ziehen
versucht, aber nach der Darstellung einzelner Angststörungen – also
eher diagnostisch orientierten Abschnitten – wechselt die Autorin
zu allgemeinen Erklärungsversuchen, um hiernach spezifische Phobien
(also auch wieder diagnostische Perspektiven) vorzustellen, danach
wiederum spezielle Symptome zu illustrieren (die eigentlich
Bestandteil der diagnostischen Ausführungen hätten sein müssen) und
dann die Spezifik kindlicher Ängste zu thematisieren. Die Wahl
dieser Abfolge ist wenig nachvollziehbar, zumal keinerlei
Plausibilisierung des Aufbaus oder der besonderen Stellung
bestimmter Kapitel, wie zur Posttraumatischen Belastungsstörung,
erfolgt. Zudem hätte angesichts der Vielzahl der Einzelkapitel eine
Nummerierung derselben bessere Orientierung geboten. So entsteht
leider der Eindruck einer bunt durcheinander gewürfelten
Ideensammlung denn einer kohärenten Zusammenfassung der
thematischen Schwerpunkte.
Positiv zu betonen bleibt der Versuch, Menschen dafür zu
sensibilisieren, ihre Beschwerden besser einordnen zu können und
bei hohem Leidensdruck fachliche Unterstützung zu suchen. Die
kritische Reflexion der dem eigentlichen Bedarf nicht genügenden
psychosozialen Versorgungssituation ist in diesem Zusammenhang
besonders lobenswert. Voos findet von Anbeginn des Buches bis zum
Schluss immer wieder sehr ermutigende und zuversichtlich stimmende
Worte, die dem betroffenen Leser möglicherweise ein Gefühl der
besseren Handhabbarkeit ihrer Ängste schenken dürfte.
Fazit
Wenn man sich das von der Autorin selbst formulierte Anliegen des
Ratgebers vor Augen hält, welches einleitend klar formuliert wird:
»sich zu orientieren und eine Vorstellung davon zu bekommen, was es
mit der Angst auf sich haben könnte.« (S. 11), kann
geschlussfolgert werden, dass dieses Buch dem Anliegen gerecht
wird. Die verständliche Beschreibung von Angstarten und
Entstehungsmechanismen derselben sowie die gelungen vorsichtig
formulierten Einladungen, sich bei Leidensdruck professionelle
Hilfe zu holen, machen das Buch zu einem Begleiter, der Mitgefühl
und Zuversicht vermittelt. Besonders passfähig erscheinen die
vielen praktischen Tipps, da viele Betroffene sich nicht nur eine
Erklärung ihrer Symptome wünschen, sondern gern auch etwas
Konkretes zum ausprobieren an die Hand bekommen. Eine bessere
Strukturierung im Sinne des stringenten roten Fadens hätte diesem
Buch eine noch fachlichere Nuance gegeben. Insgesamt lässt sich
bilanzieren, dass dieser Ratgeber dazu ermuntert, sich auf den Weg
zu machen, der eigenen Angst (anders) zu begegnen.
Zitiervorschlag
Jeanne Rademacher. Rezension vom 01.10.2015 zu: Dunja Voos: Die
eigene Angst verstehen. Ein Ratgeber. Psychosozial-Verlag (Gießen)
2015. ISBN 978-3-8379-2455-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN
2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/18918.php, Datum des
Zugriffs 01.12.2016.
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