Rezension zu Identitäten
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Rezension von Dr. Juliane Noack Napoles
Entstehungshintergrund und Thema
Das vorliegende Jahrbuch versammelt, als Tagungsband der 65.
Jahrestagung der DGPT im September 2014 in Lindau, Beiträge zu dem
Thema Identitäten, wobei es sich um ein Themengebiet handle, dass
sich im Grenzbereich von Psychoanalyse, Philosophie und den
benachbarten Sozial- und Kulturwissenschaften bewegt.
Die Aktualität der Thematik sehen die Herausgeber in den
derzeitigen Veränderungen in Form neuer Kriege, anhaltender
Flüchtlingsströme und einer zunehmenden Globalisierung ökonomischer
Prozesse. Die Konsequenz das subjektive Selbstverständnis
betreffend bestehe darin, dass traditionelle kulturelle und soziale
Identitätsmuster immer mehr in Frage gestellt werden. Dies führt zu
Überlegungen dahingehend, wie sich unter den neuen Bedingungen
Identitäten herausbilden und ob der aus der Philosophie und
Sozialwissenschaft in die Psychoanalyse übernommene Begriff der
Identität überhaupt eine sinnvolle Kategorie darstellt, die
Anforderungen an persönliche Veränderungsprozesse zu beschreiben
(S. 9).
Aufbau und Inhalt
Der Sammelband ist in fünf Teile, mit eigenen
Zwischenüberschriften, gegliedert, die eine neue innere Zuordnung
der Beiträge, die eine Auswahl relevanter Themengebiete der Tagung
sind, darstellen sollen.
1. Identität oder Identitäten?
2. Zum Identitätsbegriff im politischen und historischen
Kontext
3. Gruppenidentitäten
4. Überlegungen zum Identitätsthema aus der klinischen Arbeit
5. Zur professionellen Identität
Zu 1.
Unter dem als Frage formulierten Titel »Identität oder
Identitäten?« sind folgende fünf Aufsätze versammelt:
• Jürgen Straub: Ein Selbstbildnis erzählen – Narrative Identität,
Kontingenz und Migration
• Tilmann Habermas: Essenzialistische Identität und narrative
Identitäten – Was mag ein »richtiger« Analytiker sein?
• Inge Seiffge-Krenke: Identität und Beziehungen – Therapeutische
Konsequenzen der veränderten Identitätsentwicklung bei
Jugendlichen
• Gerhard Schneider: Identitäten: Verflüchtigt sich die Identität
in der Postmoderne?
• Michael B. Buchholz: Identität? Individualisierung, Intimität,
Interaktion!
In diesen Aufsätzen wird sich auf grundsätzlicher Ebene mit der
Frage nach der Beschaffenheit von Identität insbesondere vor dem
Hintergrund der heutigen, als Postmoderne bezeichneten, sozialen
Situation auseinandergesetzt. Während die Autoren der ersten vier
Aufsätze der Verwendung einer dynamischen Identitätskonzeption
prinzipiell positiv gegenüberstehen, wendet sich Michael B.
Buchholz in seinem Aufsatz dagegen, den Identitätsbegriff in der
Theoriebildung klinischer Psychologie und Psychoanalyse zu
verwenden.
Zu 2.
In folgenden fünf Aufsätzen wird der Identitätsbegriff im
politischen und historischen Kontext thematisiert:
• Vamik D. Volkan: Großgruppenidentität, schweres Trauma und seine
gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen
• Robi Friedman: Die Angst vor der Großgruppe – Identität und
Soldatenmatrix
• Hans-Jürgen Wirth: Kollektives Morden – Versuch das radikal Böse
zu verstehen
• Mechthild Klingenburg-Vogel: Der Einfluss kollektiver
Traumatisierungen auf die Großgruppenidentität und die Gefahr ihrer
politischen Funktionalisierung
• Michael J. Froese: Der Osten in uns – Vom weitergegebenen Trauma
zur kulturellen Adoleszenz
Zu 3.
Mit der Thematik Gruppenidentitäten wird sich vor allem in
Verbindung mit dem Sachverhalt (männlicher) Beschneidungsriten
auseinandergesetzt. In diesem Sinne konstituiert sich dieses
Kapitel aus folgenden Aufsätzen:
• Matthias Franz: Von der Loyalität zur Identität – Eine Illusion
oder eine Perspektive für die Männer?
• Aydan Özdaglar: In Between – Identität und Migration
• Dorothee C. von Tippelskirch-Eissing: Annäherungen an das Thema
Beschneidung
• Beate Kienemund: Zum »Gesetz über den Umfang der Personensorge
bei einer Beschneidung des männlichen Kindes«
• Şahap Eraslan: Die Bedeutung der Beschneidung in der türkischen
Kultur
• Yigal Blumenberg: Worüber sprechen wir, wenn wir über die
Beschneidung sprechen?
• Bernd Horn: Analytisches Denken zur christlichen Religion – Ein
Denkanstoß wider die ewigen Glaubensillusionen
Zu 4.
Überlegungen zum Identitätsthema aus der klinischen Arbeit stellen
folgende Autoren aus unterschiedlichen Perspektiven an:
• Mathias Hirsch: Körpermodifikation als Identitätszeichen oder
aber als Identitätsersatz
• Monika Huff-Müller: Umgang mit Fremdheit und Befremdung in der
Psychotherapie mit traumatisierten Patienten
• Klemens Färber: Das Fremde im Konflikt um die Identität
Zu 5.
Auseinandersetzungen mit der professionellen Identität schließen
das Buch. Diese wären:
• Jürgen Hardt: Leistet das Konzept der professionellen Identität,
was wir uns von ihm versprechen?
• Andreas Herrmann: Identität und Institution – Ein
Diskussionsbeitrag zur Frage der professionellen psychoanalytischen
Identität
Diskussion
Bei dem vorliegenden Sammelband handelt es sich um einen
Tagungsband der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse,
Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V.
Insofern ist die überwiegende Mehrzahl der Beiträge entsprechend
psychoanalytisch bzw. psychotherapeutisch oder psychosomatisch bzw.
tiefenpsychologisch ausgerichtet. Das ist die Stärke des
vorliegenden Buches, dass nämlich das Thema Identität dezidiert aus
eben dieser Perspektive diskutiert und behandelt wird. Für
Spezialisten dieses Fachgebiets, in dem und für das
Identitätsfragen zentral sind, bietet es somit einen hervorragenden
Überblick darüber, wie, vor allem auch in der Praxis, mit
Identitätsfragen umgegangen wird, welche im Zuge aktueller sozialer
Entwicklungen besonders virulent erscheinen und welche Konsequenzen
dies für das eigene professionelle Selbstverständnis hat. Für
fachfremde Leser offenbaren sich in den einzelnen Artikeln
Problembereiche die Identität betreffend, die entweder aus diversen
gesellschaftlichen Umbrüchen oder Anforderungen resultieren oder
solche nach sich ziehen. Damit wird einmal mehr die lebensweltliche
Relevanz dieses, sich hinter dem Begriff der Identität
verbergenden, Phänomens deutlich.
Leider wird nicht jeweils in die fünf Teile explizit eingeführt,
d.h. deren Thematik hergeleitet und zum Thema Identität in
Beziehung gesetzt. Dies führt dazu, dass die einzelnen Beiträge
einerseits teilweise zusammenhanglos einen Teil konstituieren und
andererseits genauso gut in einem anderen Teil hätten aufgenommen
werden können.
Fazit
Bei dem Buch Identitäten handelt es sich um den Tagungsband der 65.
Jahrestagung der DGPT im September 2014 in Lindau, der 22 Aufsätze
enthält, die sich vorrangig mit dem Phänomen der Identität, wie es
sich aus psychoanalytischer Perspektive offenbart,
auseinandersetzen, auch wenn sowohl der Buchtitel, als auch
teilweise die Einleitung und einige Aufsatztitel suggerieren, dass
es sich um allgemeinere begriffstheoretische Auseinandersetzungen
handelt. Die Bandbreite der bearbeiteten Themen in Bezug auf
identitäre Fragen und Phänomene macht deutlich, dass trotz
postmoderner Einwürfe der aus der Philosophie und
Sozialwissenschaft in die Psychoanalyse übernommene Begriff der
Identität noch immer eine sinnvolle und unverzichtbare Kategorie
darstellt, die Anforderungen an persönliche Veränderungsprozesse zu
beschreiben.
Zitiervorschlag
Juliane Noack Napoles. Rezension vom 24.05.2016 zu: Susanne
Walz-Pawlita, Beate Unruh, Bernhard Janta (Hrsg.): Identitäten.
Psychosozial-Verlag (Gießen) 2015. ISBN 978-3-8379-2399-5. Eine
Publikation der DGPT. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245,
http://www.socialnet.de/rezensionen/19746.php, Datum des Zugriffs
30.11.2016.
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