Rezension zu Die Coen-Brüder (PDF-E-Book)
Literaturkritik.de
Rezension von Ulrich Bahrke
Filme vom Scheitern der Männer
Band 11 des Dialogs zwischen Psychoanalyse und Filmtheorie
reflektiert die Botschaften der Coen-Brüder
Was produziere ich in mir beim Betrachten dieses Films? Was habe
ich verdrängt und kann es als Zuschauer dieses Filmes wiederfinden?
Inwiefern kann ich überhaupt den Film zu meinem Psychoanalytiker
werden lassen, dessen Deutungen ich mich im Film-Schauen aussetze?
Und: Was interessiert diesen Regisseur – an der Welt, an der Zeit,
am Menschen?
Mit Filmen in die äußere und meine innere Welt hineindenken:
Mannheim ist schon länger zum jährlichen Ort eines
Regisseur-bezogenen, anspruchsvollen Filmdiskurses geworden;
Filmtheoretiker und Psychoanalytiker schauen sich ein Wochenende
lang Filme eines von ihnen ausgewählten Regisseurs an. Diese werden
im interdisziplinären Dialog in diskutierten Vorträgen
interpretiert. Dazu wird zu übergreifenden, auf den betreffenden
Regisseur bezogenen Themen referiert. Inzwischen regelmäßig wird
aus diesen Beiträgen dann ein Band veröffentlicht, der durch
eingeworbene Aufsätze die Erweiterung zu einem Reader bekommt. 2014
widmete sich das Filmseminar den Brüdern Joel und Ethan Coen (geb.
1954 und 1957).
Um es vorwegzunehmen: Wer die Filme der Coen-Brüder kennt, wird in
dieser Publikation eine intensive Vertiefung und bereichernde
Erweiterung seines cineastischen Blickfelds erleben. Wem die Filme
nicht vertraut sind, kann neugierig auf sie werden, sie anschauen
und unterdessen den Band mit Gewinn lesen. Wer die Filme jedoch
weder kennt noch sieht, ist von der Lektüre schlichtweg
überfordert.
Als das Buch erschien, blickten die Verfasser auf 16 Filme der
Coen-Brüder in 30 Jahren zurück. Zu mehr als der Hälfte von ihnen
finden sich Besprechungen, namentlich zu »Blood Simple«, »Barton
Fink«, »Fargo«, »O Brother Where Are You?«, »The Man Who Wasn`t
There«, »No Country for Old Man«, »A Serious Man« und »True Grit«.
Dies geschieht zum einen in einer psychoanalytischen
Reflexionsweise anhand von Fragen wie: Was macht der Film mit mir
als Zuschauer? Was wird durch diesen Film in mir als Mitproduzenten
beim Erleben des Leinwandgeschehens hergestellt? Zum anderen
erfolgen zahlreiche Querverweise auf Filme vieler anderer
Regisseure. So eröffnet sich gleichsam ein weiter cineastischer
Himmel mit Sternbildern und Milchstraßen, der für Kenner einen
Fundus überaus reichhaltiger Anregungen darstellt, für Nichtkenner
indes eine frustrierende Verwirrung auslösen mag. Allerdings sind
solche Querverweise in den insgesamt 12 Beiträgen unterschiedlich
intensiv vorhanden, denn manche Beiträge hangeln sich
allgemeinverständlicher stringent am Filmstoff entlang. Dabei
helfen viele Fotos aus den besprochenen Filmen, Szenen in
Erinnerung zu rufen.
Was die zeitgemäße Psychoanalyse hinter sich gelassen hat, ist eine
»Analyse« der Regisseure. Diese Praxis aus ihren Anfängen, da
Künstlern oder Kunstwerken Theoriebausteine der Psychoanalyse
gewissermaßen übergestülpt wurden, gilt schon länger als unseriös:
Psychoanalytiker können immer »nur« eine Beziehung analysieren:
diejenige zu und mit einem Patienten oder – wie hier – diejenige zu
und mit einem Film – anhand der durchweg präsenten Frage, was das
Gegenüber an Gefühlen, Gedanken, Assoziationen auslöst, um sie dann
auf ihre Bedeutungen hin zu reflektieren.
So erfahren wir zwar, dass die Coen-Brüder in »A Serious Man«
(2009) den autobiografischen Hintergrund ihres jüdischen
Herkunftsmilieus am deutlichsten aufgegriffen haben, ansonsten wird
in Bezug auf sie der Frage nachgegangen, was diese Regisseure wohl
an der Welt, an der Zeit, am Menschen (bislang) interessiert haben
mag. Als eine Art Leitthema wird männliches Scheitern
herausgearbeitet, die Darstellung männlicher Verlierertypen, seien
es nun Verbrecher, Western-»Helden« oder Intellektuelle: Männer,
die – ausgehend von ihren unreflektierten Wünschen und Begierden –
durch ihre Fehlhandlungen ihr Scheitern selbst herbeiführen – und
uns als Zuschauer in eine vermeintlich überlegene Position bringen,
bis sich »der wissende Blick auf das Geschehen in das Gefühl
verwandelt, den Überblick zu verlieren. Die Lacher werden kürzer
und häufiger abgelöst von Phasen der Verwirrung. Am Ende lacht man
fast nur noch aus Verwirrung.«
Das besonders Bereichernde dieses Bandes ist, wie erwähnt, die
interdisziplinäre Annäherung, weshalb von filmtheoretischer Seite
z. B. auch der spezifische Bezug der Coen-Brüder zum amerikanischen
Film Noir reflektiert wird oder auch deren handwerkliches
Herangehen: Die Coens wählen in der Regel zu ihrem Stoff einen
bestimmten Bundesstaat und reichern ihn gleichsam mit Film-,
Literatur- und Musikgeschichten der betreffenden Region an, um ihre
Anliegen möglichst komplex zu veranschaulichen, z.B. die
Dekonstruktion des klassischen Western, die Reflexion
traumatisierter Männer des Vietnamkrieges, den Wandel der
amerikanischen Gesellschaft nach 09/11 – einhergehend mit dem
Teufelskreis der Einschränkungen der Demokratie zum Zwecke der
Bekämpfung des Terrorismus, der die Demokratie bekämpft –, mit
Analysen der zeitgenössischen Kultur, ihrer Moral und der unklarer
werdenden Verschränkung von »gut« und »böse«.
Es ist Konsens des Bandes, dass die Coen-Brüder uns zu einem
entdeckenden Blick auf unsere Welt einladen und dass es sich lohnt,
beidem zugleich nachzugehen, nämlich auf den Film und in uns selbst
hineinzublicken. Insofern macht das Buch dem Lesen Konkurrenz: Bei
seiner Lektüre kommt einem unweigerlich der Wunsch nach Kino.
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