Rezension zu Sterben im Krankenhaus (PDF-E-Book)
Sana. Die Mitarbeiterzeitung der Sana Kliniken Berlin-Brandenburg 2/2014
Rezension von Gabriele Smend
Im Gegensatz zur Geburt wird dem Sterben und dem Tod in deutschen
Krankenhäusern wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl fast 50
Prozent aller Menschen hier sterben. Das Krankenhaus ist ein Ort,
an dem Menschen vor dem Tod gerettet, geheilt werden oder an dem
zumindest ihr Leid gelindert werden soll. In jedem Fall soll das
Leben erhalten werden. Der Tod wird bei dieser Zielsetzung, wenn
sie die einzige ist, als ein Versagen empfunden.
»Sterben im Krankenhaus« untersucht die Situation Sterbender und
der sie Pflegenden und Behandelnden. Unter anderem werden
personelle, zeitliche, räumliche Bedingungen, Schmerztherapie,
Ausbildung, die Kommunikation mit Patienten sowie ihren Angehörigen
beleuchtet. Neben Reflexionen aus unterschiedlichen
wissenschaftlichen Richtungen und Praxisfeldern gibt es einen
internationalen Vergleich, Empfehlungen und konkrete
Handlungsimpulse.
Das Buch ist sowohl theoretisch fundiert als auch praxisnah.
Ausgangspunkt ist eine ausführliche Studie von Wolfgang George zu
den Sterbebedingungen in deutschen Krankenhäusern. George, Leiter
des TransMIT-Zentrums für Versorgungsforschung in Gießen, führte
seine Studie erstmals 1988 durch und wiederholte sie 2013 mit
gleicher Fragestellung. In den Ergebnissen zeigt sich ein
eklatanter Mangel in der Versorgung Sterbender und eine fehlende
Auseinandersetzung mit der Thematik in den letzten 25 Jahren.
Neben der Studie beleuchten weitere Experten aus Wissenschaft und
Praxis das Sterben im Krankenhaus aus unterschiedlichen
Perspektiven. Zwei Beiträge setzen sich z. B. mit dem Sterben auf
Intensivstationen auseinander und mit der Frage, wann hier ein
Leben und wann möglicherweise ein Sterben verlängert wird. Ein
Artikel beschreibt ethische Aspekte ärztlicher Entscheidungen am
Lebensende zwischen medizinischer Indikation und ausdrücklichem
(oder mutmaßlichem) Patientenwillen. Der Respekt vor der Autonomie
des Patienten wird hier unterstrichen. Sehr interessant sind auch
die Aufsätze mit Blick auf die Hospizarbeit, die Palliativmedizin
und die medizinische Versorgung und psychosoziale Begleitung
Sterbender im häuslichen Umfeld. Dabei wird über neue ambulante
Versorgungsstrukturen nachgedacht. Neben der schon bekannten SAPV
(Spezielle ambulante Palliativversorgung) stellt Hans-Joachim A.
Schade in seinem Beitrag den Einsatz einer VERAH
(Versorgungsassistenz in der Hausarztpraxis) vor. Diese ärztliche
Assistenz soll, wie auch die SAPV, es Menschen ermöglichen, zu
Hause zu sterben.
Sehr bewegend ist der Beitrag von Andrea Newerla und Reimer
Gronemeyer »Chaos und Kontrolle – Menschen mit Demenz im
Krankenhaus«. Er beleuchtet die Schwierigkeit, an Demenz Erkrankte
im Krankenhaus angemessen zu betreuen. Verwirrte Menschen können
sich nicht anpassen und stören den durchorganisierten
Krankenhausbetrieb. Die Erkrankung – oft nur eine Nebendiagnose –
führt im Klinikalltag zu Problemen, die oft durch Fixierungs- und
Sedierungsmaßnahmen gelöst werden. Die Beschreibung demografischer,
sozialer und gesellschaftlicher Entwicklungen in Deutschland (in
mehreren Beiträgen) trägt dazu bei, die Situation Sterbender in
deutschen Krankenhäusern zu verstehen. Dabei darf es aber nicht
bleiben. Die von den Autoren aufgezeigten Defizite belegen einen
dringenden Handlungsbedarf. George weist in seinen Empfehlungen
unter anderem auf die »Charta zur Betreuung schwerstkranker und
sterbender Menschen in Deutschland« (2010) und auf die »Grundsätze
der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebetreuung« (2011) hin.
Beide können Wegweiser für eine Auseinandersetzung mit dem Thema
sein. Maria Eberlein-Gonska führt in ihrem Beitrag aus, wie
wichtig die Aufnahme der Betreuung Sterbender in das DRG-System
ist, um eine »End-of-Life-Care« im Krankenhaus zu realisieren.
Bei dem breiten Spektrum des Buches verwundert, dass es keine
theologische Perspektive auf das Sterben gibt. In vielen
Krankenhäusern begleiten Seelsorger und Seelsorgerinnen Sterbende.
Ihre Sicht auf den Menschen am Ende seines Lebens fehlt hier
gänzlich.
Fazit
Das vorliegende Buch ist ein lesenswertes Fachbuch – für Fachleute
und am Thema Interessierte. Es informiert umfangreich, regt einen
interdisziplinären und internationalen Austausch an und nimmt eine
Krankenhauskultur in den Blick, die auch dem Sterben einen
angemessenen Platz einräumt. Dem Buch sind möglichst viele Leser
und Leserinnen (auch auf gesundheitspolitischer Ebene) zu wünschen,
damit die facettenreichen Impulse der Autoren ins Leben der
Krankenhäuser finden.