Rezension zu Handbuch Mentalisieren
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Rezension von Prof. Dr. phil. Barbara Wedler
Thema
Dieser Sammelband vermittelt den LeserInnen Einblicke in das
Konzept des Mentalisierens. Kliniker belegen durch die
dargestellten Erfahrungen mit dem Mentalisieren im therapeutischen
Setting dessen Wirksamkeit.
Autorinnen und Autoren
27 Wissenschaftler und Kliniker geben Auskunft.
Entstehungshintergrund
Dieses Handbuch schließt sich an zwei vorherige Bücher der
Herausgeber zum Mentalisieren an. Gemeinsam mit den Ko-AutorInnen
verfolgen Bateman und Fonagy das Ziel, das Konzept des
Mentalisierens differenziert vorzustellen. Es werden die
(klinischen) Bereiche vorgestellt, in denen das Mentalisieren
inzwischen integriert ist.
Aufbau
Im Zentrum des Sammelbandes stehen zwei Teile, die mit diversen
Beiträgen ausgefüllt sind.
• Zu den Autoreninnen und Autoren
• Offenlegung von Interessen der Autorinnen und Autoren
• Vorwort
• Teil I Klinische Praxis
• Teil II Spezifische Anwendungen
Im Anschluss finden sich
• Glossar
• Bibliografie
• Namen- und Sachregister
Die Herausgeber beschreiben im Vorwort u.a. den Weg des Konzeptes
des Mentalisierens in die klinische Praxis. Weiterhin verweisen die
Autoren darauf, dass die Verbesserung der Mentalisierungsfähigkeit
die Effektivität der therapeutischen Arbeit erhöht.
Zu Teil I
Teil I bietet eine Übersicht darüber, wie Mentalisieren
psychotherapeutische Behandlungen beeinflusst.
Fonagy et al. stellen ihr Verständnis psychischer Störungen
angelehnt an das Mentalisierungskonzept vor. Auf der Grundlage
neuer Erkenntnisse aus hirnbildgebenden Studien wurde das
Vier-Komponenten-Modell zu den Entwicklungssprüngen des
Mentalisierens der mütterlichen Bindung erarbeitet sowie
vorgestellt.
Im Weiteren formulieren Luyten et al. »spezifische Leitlinien zur
Einschätzung des Mentalisierens« (S. 67). In diesem Zusammenhang
werden beziehungsspezifische sowie interpersonale Aspekte des
Mentalisierens und (un-)strukturierte Beurteilungsmethoden
erörtert. Spezifische psychotherapeutische Techniken im
mentalisierungsbasierten einzeltherapeutischen Setting erläutern
Bateman und Fonagy. Wobei die Fähigkeit Ungewissheit zu ertragen
als Charakteristikum eines MBT (mentalisierungsbasierte Therapie)
Therapeuten gilt.
Auf diese Haltung bauen Karterud/ Bateman auf und erläutern
exemplarisch, wie MBT-Therapeuten Gruppen mit komplizierter Dynamik
zum Mentalisieren stimulieren. Wobei große Bedeutung dem flexiblen,
von besserer Souveränität gekennzeichneten therapeutischem Stil
beigemessen wird.
Asen und Fonagy diskutieren die MB Familientherapie. Zielgruppe
sind in erster Linie Kinder und Familien, die gut auf die
Kurzzeittherapie ansprechen. Probleme, die in der Kurzzeittherapie
nicht lösbar sind, finden Unterstützung im Kontext der
Mentalisierungsorientierten psychoanalytischen
Kinderpsychotherapie.
Diese, so Zevalkink et al., findet im Kontext der Einzeltherapie
für Kinder und der begleitenden Elternarbeit statt.
Bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der
Kurzzeitpsychotherapie konzentrieren sich Allen et al. auf die
Motivierende Gesprächsführung und die Suizidprävention, weil diese
sich gut mit der mentalisierenden Perspektive verbinden lassen.
Bales und Bateman diskutieren verschiedene Aspekte, die im
teilstationären Setting notwendig sind, um optimale Bedingungen für
die mentalisierungsfördernde Intervention zu organisieren.
Die Anwendung der MBT im ambulanten Setting stellen Kjolbe/ Bateman
vor. Die Autoren resümieren, dass »mit dem Konzept des
Mentalisierens […] eine konsistente Theorie und mit der MBT eine
einfache und für jedermann nachvollziehbare Behandlung zur
Verfügung« (S. 288) steht.
Vermote et al. Gehen einen Schritt weiter und diskutieren die
Möglichkeit, eine Verbindung zwischen der MBT und psychodynamisch
orientierten Behandlungsprogrammen zu knüpfen. Den Focus auf das
stationäre Setting und die Tagesklinik legend, werden die klinische
Anwendung des MBT in der Familien- und Paartherapie sowie in der
Supervision des Pflegepersonals detailliert erörtert.
Zu Teil II
In Teil II stehen die Patienten im Mittelpunkt der Forschung.
Zunächst gehen Bateman/ Fonagy zu den Wurzeln des MBT und erläutern
die Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Anhand
von Fallbeispielen werden Prinzipien der Entwicklung der
mentalisierten Grundhaltung dargelegt. Im folgenden Kapitel widmen
sich beide Autoren der Antisozialen Persönlichkeitsstörung. Auch
wenn deren Behandlung als schwierig gilt, so können sie doch
belegen, dass zahlreiche Anomalien des Mentalisierens u.a.
verantwortlich sind für deskriptive Persönlichkeitseigenschaften
und dieses Verständnis die Tür zu einer effektiveren Therapie
öffnet.
Suchman et al. widmen sich dem äußerst sensiblen Thema der
Risikomütter. Sie belegen nachdrücklich, mit Analysen und
Statistiken, wie traumatische Erfahrungen die Fähigkeit, das eigene
Baby zu mentalisieren, beeinträchtigen. Schlussendlich stellen sie
fest, dass Mentalisieren das Potential in sich birgt,
Behandlungsmodelle für Mütter und Babys zu entwickeln, die
besonderen Belastungen der Mutterschaft sowie das Rückfallrisiko
berücksichtigen. Als intellektueller Bezugsrahmen dient das Konzept
des Mentalisierens bei der Psychotherapie von Menschen mit
Essstörungen. Wobei Skärderd und Fonagy die Psychopathologie der
Essstörungen selbst durch die Brille des Mentalisierungsparadigmas
betrachten.
Aus der Perspektive des Mentalisierens betrachten Luyten et. al.
das Störungsbild der Depression und begründen die Anwendung
mentalisierender Vefahren. Gestützt auf das Konzept des
Mentalisierens erfolgt eine Neubetrachtung des Traumakonzeptes.
Allen et. al. diskutieren die besonderen Herausforderungen in der
Arbeit mit Traumapatienten und erläutern exemplarisch
therapeutische Strategien in der Arbeit mit diesen.
Aufbauend auf der Verbindung zwischen Persönlichkeitsstörung und
Drogensucht untersuchten Philips et. al. Effekte der MBT in der
psychotherapeutischen Behandlung. Abschließend beleuchten Bleiberg
et al. die Entwicklungsphase der Adoleszenz, weil in diesem Stadium
viele der aufgeführten Störungen erstmals auftreten. Die AutorInnen
beschreiben speziell auf die Bedürfnisse der Jugendlichen
abgestimmte Behandlungsverfahren. Mentalisierungsfähigkeit und
Vulnerabilität sind nicht nur in dieser Phase des Lebens von
existenzieller Bedeutung, sie bilden im Grunde den inhaltlichen
Rahmen aller Kapitel.
Diskussion
Die AutorInnen der einzelnen Kapitel zeigen anhand exemplarischer
Anwendungen von Techniken mentalisierungsbasierter Psychotherapie,
wie Menschen mit unterschiedlichsten Störungsbildern in der
modernen klinischen Praxis durch die MBT geholfen werden kann. Die
einzelnen Kapitel belegen, dass die Behandlung dieser großen
Bandbreite an psychischen Störungen möglich wird, weil Patienten
und Kliniker das Mentalisieren kultivieren. Jeder einzelne Beitrag
belegt in seinem Fachbereich die tiefe Menschlichkeit des
Mentalisierens. Mit den Erfahrungen und Studienergebnissen aus den
aufgezeigten Anwendungsmöglichkeiten wird auch das Konzept des
Mentalisierens schärfer umrissen. In der Konsequenz aller Beiträge
steht die Erkenntnis, dass jeder Behandler »die Welt unter dem
Blickwinkel seiner Patienten sehen muss« (S.16). Und diese
Grunderkenntnis sollte als Leitbild aller in sozialen und
medizinischen Berufen arbeitenden Menschen gelten.
Fazit
Mit den dargestellten und erläuterten klinischen sowie
wissenschaftlichen Erfahrungen erweitern die VerfasserInnen die
Anwendung des Mentalisierens auf weite Bereiche psychischer
Störungen. Besonders der zweite Teil des Sammelbandes macht
Hoffnung, sowohl den Patienten mit schweren psychischen Störungen
als auch den Praktikern, die neue Wege für die psychotherapeutische
Behandlung suchen. Aus diesem Grunde sind Vorkenntnisse hilfreich,
um die inhaltliche Tiefe der Beiträge zu erfassen und auf die
eigene Praxis, die eigenen Erfahrungen zu transferieren. Dieses
Buch ist ein Muss für jeden Menschen, der in seiner Arbeit mit
Menschen mit schweren psychischen Störungen arbeitet und sein
fachliches Repertoire erweitern möchte.
Zitiervorschlag
Barbara Wedler. Rezension vom 12.11.2015 zu: Anthony W. Bateman,
Peter Fonagy (Hrsg.): Handbuch Mentalisieren. Psychosozial-Verlag
(Gießen) 2014. ISBN 978-3-8379-2283-7. In: socialnet Rezensionen,
ISSN 2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/18649.php,
Datum des Zugriffs 30.11.2016.
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