Rezension zu Das entfremdete Subjekt
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Rezension von Andreas Spohn
Wie die (Selbst-)Ausbeutung doch in die Psychoanalyse der
Anderenbeziehung Einzug hält
Über Lacan, den Verdunkler bzw. den das dunkle Unbewusste
Imitierenden zu schreiben ist nicht einfach. Bisher klang die
Sekundärliteratur allzu oft nach einem Nachweis, in einer
lacanschen Verweishölle intellektuell bequem leben zu können, und
dabei auch noch in abstrakter Neologismenproduktion ebenbürtig zu
sein. In Bezug auf die aktuellen Therapiegoldstandards brachte sie
wenig Konkurrenzfähiges.
Mal hiess es (für deutschsprachige Zugänge) es brauche »den
Widmer«, dann natürlich Zizek, fürs Praktische vielleicht Evans
bzw. Bruce Fink oder auch Ruhs und Verhaege. Aber gerade mit
Interesse am späteren Lacan (oder auch nur dem mittleren der
Diskurstheorie) sollte nun »der Bialluch« – eine auch im Aufbau
perfekt durchdachte Doktorthesis – die Referenz werden!
Denn gerade in Kenntnis älterer Lacan-Sekundärliteratur wird hier
auch dem fortgeschrittenen Lacanleser wirklich ein Licht
aufgesteckt, z.B. wie das Schema L oder die ebenso Positionen
verteilende Perversionsformel als Vorgängerstufen der
Diskurstheorie verstanden werden können (man lernt: trotz aller
selbstrevidierenden Theorieentwicklung springt man bei Lacan nicht
einfach in ein Seminar, sondern sollte das manische Nachdenken über
die Arbeit mit dem Unbewussten als Reifeprozess begreifen, weshalb
auch frühe Veranschaulichungen wie das Spiegelstadium oder der Weg
einer Botschaft in Poes entwendetem Brief als wichtige Fussnoten
gelesen werden müssen).
Wie der Autor in seinem Vorhaben erklärt, soll die teils
verabschiedete Postmoderne, v.a. aber Lacans vergessene
Subjektphilosophie nochmals/erstmals auf wertvolle Ressourcen
geprüft und umfassend vorgestellt werden. Die Lacans
interdisziplinären Kontext und eben auch seine konzeptuelle
Entwicklung redlich nachrecherchierende und verständig
nachvollziehende Darstellung gibt dem Leser mehr als nur das
Spotlight auf eine signifikantenorientierte Psychoanalyse an die
Hand.
Unter breitest streuendem Flutlicht kann man nun Lacan viel Neues
abgewinnen, etwa eine »linguistologisch«-sozialphilosophische
Absicht erkennen und vor allem die Diskurstheorie als auch
ideologietheoretischen Endpunkt eines mit dem Spiegelstadium
begonnenen Denkwegs zum dezentrierten, unheilbar
(selbst-)ausgebeuteten Subjekt begreifen (dem mit keiner
Revolution, allenfalls mit normaussetzenden Vierteldrehungen zu
helfen ist). Und auch diese Perspektive erfährt noch eine weitere
Öffnung, wird sie doch im zweiten Teil des Buches mit
Abrahams/Toroks und Derridas »Hauntologie« kontrastiert.
Hat man das Zum-Verstehen-getragen-Werden erstmal liebgewonnen,
vermisst man allenfalls das Aufgreifen jenes Schrittes von der
autoritären zur sogenannten kapitalistischen,
perpetuum-mobile-artigen Diskursform, welcher ja ein Durchbruch zu
einer läppisch ungenutzten Wahrheit gelingen soll. Bialluchs Arbeit
ist in seinem entwickelnden Aufbau (für interessierte Leser)
spannend wie ein Krimi, durchweg gut lesbar, unglaublich lehrreich
und stets einleuchtend!
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