Rezension zu Lebensgeschichten rechtsextrem orientierter Mädchen und junger Frauen (PDF-E-Book)

SOWI Jg.34 Heft 3/05

Rezension von Martina Ritter

Michaela Köttig beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit einem vernachlässigten Thema in der Sozialwissenschaft wie auch in der Sozialarbeit: Sie hat eine empirische Arbeit nach Methoden der qualitativen Sozialforschung (Biographieforschung) vorgelegt, in der sie sich mit Mädchen und Frauen im rechtsextremen politischen Feld beschäftigt. Obwohl tatsächlich Männer und männliche Jugendliche mehrheitlich Gewalttaten mit rechtsextremen Hintergrund begehen und im politischen Feld aktiv sind, kann die Autorin auf einen enormen Anstieg der Beteiligung von Mädchen und Frauen in beiden Bereichen verweisen und die dringende Notwendigkeit ihrer Arbeit begründen. Die zentrale Forschungsfrage ihrer Untersuchung ist, welche Erfahrungen und Entwicklungen Mädchen veranlassen, sich rechtsextremen Szenen und Gruppierungen anzuschließen. Als Material werden Protokolle zur Gruppendynamik von einer neunmonatigen Betreuung einer rechtsextremen Jugendgruppe und biographische Interviews mit rechtsextremen Mädchen herangezogen.

Aus einer gut strukturierten Rezeption der Sozialarbeitskonzepte und sozialwissenschaftlichen Forschungen zum Thema Jugend und Rechtsextremismus entwickelt Michaela Köttig ihre eigene Fragestellung, die breit angelegt ist und die die Familienvergangenheit im Nationalsozialismus mit den aktuellen biographischen Erfahrungen der Mädchen und der Gruppendynamik in rechtsextremen Gruppierungen verknüpft. Besonders interessant ist ihre Arbeit, weil sie diese drei Dimensionen systematisch zu einander in Bezug setzt und dabei zeigen kann, dass die befragten Mädchen sich aufgrund äußerst problematischer Beziehungen zu den Eltern auf ihre Großeltern insb. Großväter beziehen und aus deren Erzählungen Orientierungen für ihre eigene Lebensgestaltung schöpfen.

Die Mädchen, so die zentrale aus der Analyse gewonnene These von Köttig, rethematisieren die verschwiegenen oder als reines Kriegs- und Heldenleiden erzählten Vergangenheiten der Großväter und bearbeiten dabei eigene Erfahrungen von Ausgrenzung, Verletzung und Unsicherheit. Diese traumatischen Erfahrungen haben sie in gewaltvollen oder hoch ambivalenten Beziehungen in der Elternfamilie gemacht. Allerdings sind diese Rethematisierungen als Reinszenierungen zu verstehen, die keinerlei Lösungen hervorbringen, sondern die Muster der verzweifelten Abgrenzung und ausweglosen Fluchten nur wiederholen.

Aus der Analyse der Gruppendynamik der rechtsextremen Jugendgruppe ergibt sich, dass die in diesen Kreisen hoch bewertete Gemeinschaft außerordentlich instabil ist und auf rigiden Gruppenprozessen der Ausgrenzung beruht. Die Mädchen, die innerhalb dieser Gruppe heterosexuelle Kontakte eingehen, sind am meisten von Gewalt – nämlich in ihren Liebesbeziehungen – betroffen und wiederholen so in gewisser Weise die Erfahrungen von Ausgeliefertsein und Gewaltförmigkeit in nahen Beziehungen. Allerdings gewinnen die Mädchen durch ihre politische Aktivität – so zeigen die Interviews – Elemente der Selbstbestimmung und inszenieren sich als eigenständig und wertvoll, obwohl sie sich weiterhin in prekären Beziehungen befinden.

Im letzten Teil dieser spannenden Untersuchung diskutiert Köttig noch einmal die Konzepte der Sozialarbeit und entwickelt auf der Basis ihrer Erfahrungen und Untersuchung Ansätze zu einem Konzept des Verstehens und Handelns, dass nicht in die Fallen von akzeptierender oder konfrontativer Jugendarbeit tappen soll. Insgesamt bietet das Buch von Michaela Köttig einen guten Überblick über den Stand der Debatte und leistet einen interessanten und weiterführenden Beitrag im Forschungsfeld Rechtsextremismus. Mit einem Wort: es ist wirklich lesenswert.

zurück zum Titel