Rezension zu Die innere Arbeit des Beraters (PDF-E-Book)

perspektive mediation (pm) Nr. 4, 2016

Rezension von Sabine Zurmühl

Neues zum Lesen – kurz vorgestellt
von Sabine Zurmühl

Klaus Obermeyer, Harald Pühl (Hg.): Die innere Arbeit des Beraters

Die narzisstische Falle oder der beherzte Sprung über den eigenen Schatten

Wieder so ein kluges, nachdenkliches, vielseitiges Buch aus dem Psychosozial-Verlag in Gießen, der kürzlich mit der Studie der Uni Leipzig über »Die enthemmte Mitte« einen unbequemen Bestseller zur Debatte um rechtes Denken in der bundesrepublikanischen Gesellschaft beisteuerte.

Der neue Band »Die innere Arbeit des Beraters« wagt sich mutig und in vielerlei Gestalt an die Fragestellung, welche Vorgänge und Dynamiken in uns als »Beraterinnen« vor sich gehen, wenn wir Klienten mit uns und uns mit den Klienten konfrontieren. Da spielt selbstverständlich der Narzissmus eine Rolle, der Impuls, sich zu zeigen, Zusammenhängen eine Darstellung zu geben und darin als Person unverwechselbar und interessant zu sein. Das Buch vereinigt elf Aufsätze mit dem Schwerpunkt auf dem Anwendungsgebiet der Organisationsberatung, ist aber auch für andere Konstellationen wie Familienmediation oder Einzelcoaching genauso anregend und anwendbar.

Die Herausgeber Obermeyer und Pühl, beide erfahrene Psychologen, Mediatoren und Organisationsberater, berichten von einer gemeinsamen Tagung, die die »innere Arbeit« zum Thema machte mit den »Verwicklungen, Zwickmühlen, Ängsten und Verheißungen«, wie sie dort wirksam sind – mit habituellen, bewussten und unbewussten Anteilen.

So weist Wolfgang Weigand auf die subjektive Neigung vieler Berater innen hin, sich mit den vermeintlich Ohnmächtigen zu identifizieren und damit möglicherweise die Konfrontation mit Macht und Autorität zu umgehen. Marga Löwer-Hirsch betont, wie wichtig und konstruktiv ein »Spielraum«, ein »Möglichkeitsraum« (Winnicott) für die Gespräche werden kann, in dem die Beraterinnen und Berater einen empathischen Kontakt entwickeln können zwischen loyaler Bindung und notwendiger innerer Bewegungsfreiheit. Wunderbares Zitat von Reiner Kunze zur Charakterisierung des Zwischen-Raums: »Treten Sie ein, legen Sie Ihre Traurigkeit ab, hier dürfen Sie schweigen.«

Wir kämpfen um Erhalt von Autonomie in unserer Arbeit und fürchten uns doch gleichzeitig vor Ausschluss, in der »triadischen Grundangst« (Harald Pühl), den jeweils dritten Part zu verraten und ausgestoßen zu werden. Pühl betont, wie häufig Beratungen eben auch scheitern können am Aussteigen der Beratenden aus der Präsenz. In etlichen der Beiträge spielt der altehrwürdige Begriff der Übertragung und Gegenübertragung eine Rolle, allerdings in einem weiteren Verständnis, das auch das Einfliessen der biographischen Erfahrungen der Beratenden einschließt.

Viele Hinweise erfolgen auf die Angst oder Ängstlichkeit im Beratungsprozess. Erstaunlich in diesem Zusammenhang ein Zitat des Ethnologen Georges Devereux aus dem Jahr 1967: »Die Verzerrung unserer Wahrnehmung ist besonders da ausgeprägt, wo das beobachtete Material Angst erregt. Der Wissenschaftler versucht sich vor dieser Angst zu schützen, indem er bestimmte Teile seines Materials unterdrückt, entschärft, falsch versteht, zweideutig beschreibt, übermäßig auswertet oder neu arrangiert.«

Viele Passagen in der Lektüre führen so zu einer selbstkritischen Befragung, zu der man ermutigt wird in der Gewissheit, dass Hemmungen und Verletzungen ebenso zum Leben der Beratenden wie der Berateten gehören.

Insgesamt fällt der Rückgriff auf die Väter und Mütter der therapeutischen Debatten der 60er und 70er Jahre auf, so, wenn Anusheh Rafi in seinem Beitrag zu »All-parteilichkeit« an den Mit-Gründer der Familientherapie, Boszormenyi-Nagy, erinnert, indem er »ein ständiges Bemühen um ein einfühlsames Verstehen« in beide Parteien vertritt.

Vielleicht ist ein neuerlicher Impuls der Selbstreflektion, des Selbstverständnisses der Beratenden angesagt, nachdem der Blick im Kreis wandern durfte auf die Aktionen in Richtung Klientinnen, die Kunst des Tuns von uns weg – und nun zurückkehrend zur wie der Titel des Buches sagt – »inneren Arbeit« der Beratenden.


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