Rezension zu Augen Blicke West Afrika
Der Standard, Samstag, 5. November 2016
Rezension von Gregor Auenhammer
Bildband
Spiegel des Innenlebens
»Um das Fremde zu verstehen, ist es gut, Abstand zu nehmen«,
schrieb Paul Parin in sein Notizbuch. »Dann kann es geschehen, dass
ich das fremde Leben in mir entdecke. Aus der Konfrontation mit dem
Fremden entsteht ein einzigartiges Hin und Her, eine Spannung, die
lustvoll ist und quälend oder beides zugleich«. Diese von ihm
selbst genannte Spannung zeigt sich luzide im fotografischen Œuvre
des Zürcher Psychoanalytikers. Gleichsam als Energie, als aktives
Beteiligtsein am Sein seiner Motive. Parin, 1916 in Graz geboren,
aufgewachsen in Slowenien und Österreich-Ungarn, emigrierte 1938
nach der Machtübernahme der Nazis, schloss sich Titos Partisanen
an und lebte bis an sein Lebensende, 2009, am Zürcher Utoquai. Als
Pionier der Ethno-Psychoanalyse unternahm Parin zwischen 1954 und
1971 zahlreiche Studienreisen nach Westafrika. Die Bilder der Agni,
Dogon und anderer indigener Völker sind aber nicht kontemplativ
als Stillleben oder atmosphärische Betrachtung zu interpretieren,
sondern als visualisierte Feldstudien des Forscherkleeblatts Paul
Parin, Goldy Parin-Matthèy, Fritz und Ruth Morgenthaler zu sehen.
Anlässlich des 100. Geburtstages erfuhr Parins nachgebautes
Arbeitszimmer in der Wiener Sigmund-Freud- Universität ein neues
Leben. Aus dem im Nachlass gefundenen Konvolut von 4500 Negativen
stellte Michael Reichmayr ein Erinnerungsalbum zusammen.
Symptomatische Bilder der Vorstellungskraft, der Zeit und der
Region. Verwandt Gefühle für Vergangenes und Andersartiges.
Stumm, ehrlich, würdevoll. Entdeckung als Entdeckung.
Gregor Auenhammer