Rezension zu Mut zur Lösung bei Konflikten in Klinik, Praxis und Altenpflege
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Rezension von Sabine Kamp-Decruppe
Harald Pühl (Hrsg.): Mut zur Lösung bei Konflikten in Klinik,
Praxis und Altenpflege
Thema
Das Buch »Mut zur Lösung bei Konflikten in Klinik, Praxis und
Altenpflege« versteht sich als »Leitfaden zur Anwendung von
Mediation«. Es ist die unveränderte 2. Auflage (Erstauflage 2012)
und umfasst sieben Aufsätze mit jeweils weiteren spezifischen
Untergliederungen.
Herausgeber und AutorInnen
Harald Pühl als Herausgeber ist ebenfalls Autor zweier Beiträge und
zählt wie die anderen fünf AutorInnen Erika Bergner, Benedikta
Deym-Soden, Friedrich Glasl, Siegfried Lachmair und Martina
Pruckner (die ebenfalls zwei Beiträge liefert) zur Mediationsszene
in Deutschland und Österreich, mit sowohl großem Renommee als auch
Expertise auf diesem Spezialgebiet.
Aufbau
Mit diesem Fachbuch wird ganz praktisch das »Gesundheitswesen« als
Arbeitsfeld für Mediatoren behandelt. Der vorliegende Band
beinhaltet sieben Aufsätze plus Einleitung, Autorenhinweis- und
Adressteil (zu Mediationsverbänden im deutschsprachigen Raum).
Dabei ist die Reihenfolge so angelegt, das nach Basis-Informationen
und theoretischen (Über-)Blicken auf mehrere Anwendungsfelder sowie
Vorgehensweisen die letzten beiden Aufsätze mehrere Praxisfälle
beschreiben.
Inhalt
1. Im ersten Aufsatz von Harald Pühl geht es um die grundsätzliche
Möglichkeit mit »Mediation vom Konflikt zur Win-win-Lösung« zu
gelangen. Der Autor fragt »Machen Konflikte einen Sinn?« und
antwortet, dass Konflikte als Frühwarnsystem auf Veränderungsbedarf
hinweisen. Sie »entstehen immer dann, wenn unterschiedliche
Wünsche, Bedürfnisse oder Interessen nicht verhandelt werden
können, weil die Kommunikation zwischen den Beteiligten gestört
ist.« (S.14) Er beschreibt die Phasen und Bedingungen des
Mediationsverfahrens mit besonderem Blick auf Mediation in
Organisationen, erweitert diesen Blick anschließend auf die Chancen
einer Konfliktkultur, die sich durch systematisches
Konfliktmanagement auszeichnet. Welchen Zweck erfüllen zentrale
Anlaufstellen, interne Mediatorenpools und ergänzende Arbeitsformen
wie Supervision, Team- und Organisationsentwicklung?
Der Aufsatz bietet einen ersten Überblick, was alles zur Förderung
einer guten Konfliktkultur beitragen kann.
2. In »Anwendungsfelder der Mediation im Gesundheitswesen« gibt
Martina Pruckner aus Österreich einen theoretischen »Überblick über
mögliche Anwendungsfelder der Mediation im Gesundheitswesen«. Sie
stellt den status quo in Österreich dar; dort existieren Schieds-
und Schlichtungsstellen bei Ärztekammern und Krankenkassen,
institutionalisierte Mediation findet erst vereinzelt statt.
Bevor sie auf mögliche Konfliktkonstellationen eingeht, beschreibt
Martina Pruckner das Gesundheitswesen; dazu gehören Anbieter und
Leistungserbringer, Empfänger und Nachfrager, ein staatliches
Regelsystem und andere Beteiligte wie Kammern, Verbände,
Selbsthilfeorganisationen.
Konflikte entstehen innerhalb von Systemen und Subsystemen, auf
organisatorischer, struktureller, funktioneller, fachlicher und
persönlicher Ebene. Das allein ist noch nicht spezifisch, jedoch
seien immer die emotionalen Besonderheiten von Helferberufen
mitzudenken.
Sie beschreibt Konfliktfelder im ambulanten wie im stationären
Bereich, an Schnittstellen, zwischen Leistungserbringern und
-empfängern. Sie benennt die »ungleiche
Professionisten-Laien-Beziehung, die anfällig ist für
Kommunikationsmängel, Missverständnisse und Konflikte« (S.39) und
weitere charakteristische Konfliktfelder.
Ähnlich wie Pühl erweitert sie die Einsatzmöglichkeiten um
Mediatives Verhandeln, Beratung, Case Management (im Sinne von
individueller Fallsteuerung) und weist abschließend auf Bioethische
Mediation hin: diese »hilft den Menschen, die sich am meisten um
den Patienten sorgen, bei der Klärung der medizinischen,
pflegerischen und betreuerischen Fakten.« (S.47)
Ihr Fazit lautet: »Was das Gesundheitswesen lernen kann, ist die
positive Nutzung der unschätzbaren Informationen, die in Konflikten
stecken.« (S.48)
3. Im Beitrag »Mediation in Kliniken« befasst sich Siegfried
Lachmair (ebenfalls aus Österreich) mit Hintergründen und Ursachen
für Konflikte, sowie den Einsatzmöglichkeiten und Vorteilen von
Mediation. Seine Erkenntnisse fußen unter anderem auf selbst
durchgeführte Befragungen in österreichischen Krankenhäusern. Hier
schlagwortartig einige Ergebnisse:
- Das Krankenhaus ist eine Expertenorganisation.
- Bereits die Arbeit unter Normalbelastung ist herausfordernd.
Konflikte unterteilt er in Sach(-verhalts-)konflikte,
Interessenkonflikte, Beziehungs-, Werte- und Strukturkonflikte,
dazu in heiße und kalte Konflikte (siehe dazu auch den Beitrag von
F.Glasl/ E.Bergner ), offene und versteckte, wie auch Mikro-, Meso-
und Makrokonflikte. Er benennt vier Grundformen der
Konfliktbearbeitung: die trennende, sachbezogene, personenbezogene
und integrierende Form. Zu letzterer gehören dann Mediation und
auch Coaching, Supervision, Organisationsentwicklung; dies listet
er ähnlich auf wie die Autorinnen in den anderen Beiträgen.
Für mediativ bearbeitbar hält er Organisations- und Teamkonflikte,
Rollen- sowie Patientenkonflikte. Er erläutert diese Ansätze und
stellt zum Thema Teamkonflikte sein Diagnose-Instrument der
4-Team-Kategorien vor (auffällig die Benennung aus dem
medizinischen Bereich!) inklusive einer Reihe von Fragen zur
Verifizierung.
Bezogen auf Patientenkonflikte hält er Mediation auch als Teil des
Entlassungsverfahrens bei Patienten, deren Betreuung ungesichert
ist, für möglich. Dies wird tatsächlich in Österreich in einigen
Häusern bereits praktiziert!
Zu den Vorteilen von Mediation »in Richtung systemisch
ganzheitlicher Organisationsentwicklung« (S.63) und »Wiedererlangen
der Arbeits- und Teamfähigkeit durch das Lernen voneinander« (S.66)
sieht er ganz klar auch die Kostenfrage sowie mittelbar über die
Wertschätzung eine bessere Mitarbeiterbindung. Daher plädiert er
folgerichtig für die Installation von internen
Konfliktmanagementsystemen und beschreibt diese als zukünftiges
Führungs- und Controllinginstrument. Eine nicht unerhebliche
Aufzählung von Krankenhäusern, die hier schon aktiv sind, rundet
diesen Beitrag ab, der damit durchaus Mut macht.
4. Im vierten Beitrag zeigt wiederum Martina Pruckner, dass
»Mediation in der ambulanten Pflege und Betreuung« ein hilfreiches
Mittel zur Problemlösung ist. Auch hier werden mögliche
Konfliktfelder, -beteiligte und -ursachen beschrieben und mittels
Beispielen unterlegt, bevor die Ansatzmöglichkeiten – und die
Grenzen – von Mediation diskutiert werden. »Pflege ist interaktiv
und kommunikativ.« (S.84) Das führt zur Erweiterung der Spielräume
in Richtung informeller Mediation, mediativer Pflege- und
Betreuungsplanung und mediativer Entscheidungsfindung. Nach
Pruckner zeigt sich diese mediative Haltung auch im »offenen,
gemeinsamen Gespräch: wertschätzend, ohne Schuldzuweisungen, …«
(S.89) und bezieht damit auch »professionelles Beschwerde- und
Fehlermanagement… um Fehler in der Zukunft zu verhindern«, (S.91)
mit ein.
Im Abschnitt zur »Beilegung von Konflikten in der familiären
Betreuung und Pflege«, hier »sind intakte Beziehungen ein Muss«
(S.94) stoßen die professionellen Systeme auf das Familiensystem
und darüber kommt Pruckner folgerichtig zu der Frage wie »auch
nicht voll Entscheidungsfähige in Lösungsfindungen einzubeziehen«
sind. (Ein Aspekt, den auch B.Deym-Soden thematisiert.)
»Ziel der Mediation ist es, den Parteien eine selbst verantwortete
Lösung ihres Konfliktes zu ermöglichen. …Was heißt nun aber ›selbst
verantworten‹?« In ihren Ausführungen kommt sie zu dem Schluss das
»kognitive Behinderungen oder psychische Krankheiten keineswegs per
se ein Hindernis sind« (S.99), sondern eine Herausforderung an die
Prozessgestaltung.
5. Der fünfte Beitrag »Mediation in der stationären Altenpflege«
von Benedikta Deym-Soden, ehemalige langjährige Vorsitzende des
Bundesverbandes Mediation e.V., baut gut auf die vorher gegangenen
auf, und neben viel Hintergrundwissen führt sie die Diskussion
einige Schritte weiter.
Es werden Konflikte auf der Metaebene, Zielkonflikte und
Entscheidungsdilemmata beim medizinischen Fachpersonal beschrieben,
die Gefahr von patronisierender Sprache und `Cool-out´ benannt.
Nicht zuletzt werden die Anwendungsgrenzen durch geistigen Abbau
bzw. ihr angemessener Umgang damit aufgezeigt.
Benedikta Deym-Soden stellt folgende Fragen:
- »Warum melden Bewohner – obwohl existenziell betroffen – kaum
Konflikte an?
- Warum steigen Pflegende lieber aus dem Beruf aus, als die
Konflikte zur Bearbeitung zu bringen…« und nicht zuletzt
- »Wie kommt es, dass eine Flut von Management-Literatur
ausbleibt…die unterstützen könnte?« (S.122)
Der Anfang ist mit diesem Band gemacht. Aufgrund der rechtlichen
und institutionellen Rahmenbedingungen von Altenpflege plädiert sie
für eine Spezialisierung auf der Angebotsebene (von Mediation).
Ihre Folgerungen für Einrichtungsleitungen sind praxisorientiert
und übersichtlich, geht es doch »gleichzeitig um die Bewältigung
der konkreten Konfliktsituationen wie auch um die große Linie, auch
Konfliktlinien in der Gesellschaft.«(S.134)
6. Die letzten Beiträge in diesem Band widmen sich praktischen
Beispielen der Mediation. Harald Pühl beschreibt »Mediation in
Arzt- und Physiotherapiepraxis«. Er bringt zwei Beispiele aus
Arztpraxen und eines aus der Physiotherapie. Sein nachvollziehbares
Fazit: »Oft fehlt der Mut sich externe Hilfe zu holen, obwohl ihnen
die Patienten das ja vorleben« und »Mediation… führt zur
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und ist so auch ein Beitrag
zur Gesundheitsförderung.«(S.151)
7. Erika Bergner & Friedrich Glasl beschreiben gemeinsam »Verdeckte
und verleugnete Konflikte« am »Beispiel eines unterkühlten
Konflikts im Altenheim«. Dazu bietet Glasl die theoretischen
Modelle, während Bergner das praktische Vorgehen als Mediatorin
beschreibt.
Friedrich Glasl beginnt mit der Unterscheidung von heißen und
kalten Konflikten, beschreibt die damit einhergehenden
Verhaltenstendenzen und ihre Folgen: z.B. führen kalte Konflikte
eher zu psychosomatischen Erkrankungen. Neben dem persönlichen
Konfliktverhalten beeinflussen die generelle Kultur einer Branche
bzw. die spezielle einer Organisation die bevorzugte Art der
Konfliktaustragung.
Für die Mediation ist es wichtig, »die Parteien ›an der richtigen
Stelle abzuholen‹, so dass sie sich überhaupt auf eine konstruktive
Konfliktbearbeitung einlassen können.« (S.157) »Während in heißen
Konflikten die Parteien sehr früh wieder an gemeinsamen
Zukunftsvorstellungen arbeiten können, werden sie in kalten
Konflikten immer wieder von der Vergangenheit eingeholt.«
(S.168)
Im praktischen Beispiel zeigt Erika Bergner das Vorgehen beim
Abbauen von Gesprächsverboten und heimlichen Spielregeln sowie den
Umgang mit Abwertungen. Damit wird auch dem begleitenden
Systemfatalismus begegnet, und die vorher Zerstrittenen können an
die Bearbeitung organisationaler Konflikte gehen.
Diskussion
Das Gesundheitswesen wird als komplexes »Haifischbecken«
beschrieben und dieser Band will den Beteiligten Mut machen für
konstruktive Konfliktlösung (S.8). Das Buch lotet dabei auch die
Grenzbereiche, die sich aus Alter, Demenz, und damit sich
verändernder Selbstverantwortung ergeben, aus.
Harald Pühl beschreibt das Mediationsverfahren in seinen typischen
Phasen, geht auf Organisationsmediation und systematisches
Konfliktmanagement ein. Auch ergänzende Interventionen wie
Coaching, Supervision, Organisationsberatung werden eingeordnet.
Damit ist auch dem Nicht-Mediator, also z.B. einer
Klinik-Führungskraft genug Wissen an die Hand gegeben, um weitere
Entscheidungen zu treffen.
Lachmair und Glasl bieten konkrete Instrumente an, die ich für
anwendbar halte, sofern Vorerfahrungen bestehen. Nicht zuletzt
ergänzen die praktischen Beispiele, von denen auch einige in den
Texten verstreut sind, das Verständnis für die methodischen
Einsatzmöglichkeiten. Die Reflexion belastender Situationen dient
der Psychohygiene und damit der Gesunderhaltung der
MitarbeiterInnen, Mediation ist Gesundheitsförderung!
Zu Autonomie und Selbstverantwortung nehmen sowohl Pruckner wie
auch Deym-Soden Stellung, das ist bei den vielfältigen
Interdependenzen im Gesundheitswesen naheliegend. Deym-Soden
diskutiert das am »Wille-Wohl und Wille-Urteils-Konflikt« (S.119),
der die Selbstbestimmung mit der Fürsorgepflicht, das Individual-
mit dem Gemeinschaftswohl abwägt.
Mir gefiel die Interpretation von Beschwerden als ein anderer
Ausdruck für unerfüllte Bedürfnisse bzw. Wünsche bei Deym-Soden.
Ich selbst arbeite gern mit der VW-Regel: Vorwürfe in Wünsche
umformulieren, das ändert meist etwas auf der Gefühlsebene und
richtet den Blick von der Vergangenheit in die Gegenwart. Das
stelle ich mir bei Beschwerden, die ja schwer sind, auch als
hilfreich vor.
Ergänzend möchte ich auf die vorletzte Ausgabe von »Spektrum der
Mediation« mit dem Schwerpunktthema »Gesundheit und Pflege«
hinweisen
(https://www.mediationaktuell.de/news/spektrum-mediation-ausgabe-63-im-juli).
Hier finden sich ebenfalls Aufsätze von Pühl und Lachmair, aber
auch Beiträge zu weiteren Perspektiven wie »Die Wechselbeziehung
Krankheit und Konflikt«, Altersmediation, »Der Kulturbegriff bei
Krankheit, Tod und Sterben«, und einiges mehr.
Zielgruppe
Wer ist Zielgruppe dieses Buches? MitarbeiterInnen im
Gesundheitswesen auf der Suche nach
Konfliktbearbeitungsmöglichkeiten oder Mediatoren (auf der Suche
nach Aufträgen), die sich mit der Arbeit im Gesundheitsbereich
auseinandersetzen möchten? Ganz diplomatisch ausgedrückt sowohl als
auch: Es bietet Entscheidungshilfen für Leitungs- und
Führungskräfte im Feld, die mehr Kompetenz möchten. Mediatoren, die
ihre Feldkompetenz erhöhen möchten, finden ausführliche
Informationen und anwendbare Arbeitsinstrumente.
Fazit
Das Buch »Mut zur Lösung bei Konflikten in Klinik, Praxis und
Altenpflege« liefert einen fundierten Überblick von mediativer
Haltung über Mediation bis zu Konfliktmanagementsystemen. Durch die
Gliederung in Schwerpunkte »Klinik«, »Ambulanz«, »Altenpflege«
ergibt sich ein (zum Teil sogar Länder-)übergreifender Blick. Da
das Gesundheitswesen, und insbesondere der (Alten-)Pflegebereich
ein wachsender ist, halte ich diese fachspezifische
Veröffentlichung für sinnvoll.
Das Gesundheitswesen ist ein System mit vielfältigen
Interdependenzen, jedeR der AutorInnen verfügt über spezielle
Fachgebiete, die zum Teil sehr spannend beleuchtet werden. Die
Besonderheiten im Gesundheitswesen werden sichtbar. Allen
Autorinnen gemeinsam ist die Sicht auf Konflikte als Lernfeld, das
Managen von Konflikten als Führungsaufgabe und als Chance Haltung
zu zeigen.
Rezensentin
Dipl. Päd. Sabine Kamp-Decruppe
Mediatorin BM e.V., tätig u.a. im psychosozialen Dienst einer
Kurklinik
Homepage www.sabine-kamp.de
Zitiervorschlag
Sabine Kamp-Decruppe. Rezension vom 19.09.2016 zu: Harald Pühl
(Hrsg.): Mut zur Lösung bei Konflikten in Klinik, Praxis und
Altenpflege. Ein Leitfaden zur Anwendung von Mediation.
Psychosozial-Verlag (Gießen) 2016. ISBN 978-3-8379-2624-8. In:
socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245,
http://www.socialnet.de/rezensionen/21191.php, Datum des Zugriffs
03.11.2016.
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