Rezension zu Verstehen und Begreifen in der Psychoanalyse
Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie Nr. 7/2016 (November)
Rezension von Anas Nashef
Thierry Simonelli, Siegfried Zepf (Hg.):
Verstehen und Begreifen in der Psychoanalyse
In den letzten Jahren hat Alfred Lorenzers Schaffen eine zunehmende
Beachtung erfahren, die in Anbetracht der Entwicklungen der
Psychoanalyse als Therapieform kaum überraschend erscheint und
nicht nur in der Beharrlichkeit seiner Schüler und akademischen
Weggefährten begründet liegt. Vielmehr ist sie zu verstehen als
ein Aufruf zur »Rekonstruktion einer Sprachzerstörung« und als
eine Antwort auf die Psychotechnologisierung der Psychoanalyse,
welche naturgemäss mit einem Verlust ihrer
»praktisch-theoretischen Dialektik« einhergeht. Dieser von
Simonelli und Zepf herausgegebene Titel stellt einen weiteren
wichtigen Beitrag zur Aktualität von Lorenzers Denken in sensu
einer dezidiert zu füllenden dialektischen Lücke dar – eine
Destination, welche von den einzelnen Beiträgen ungeachtet deren
Verschiedenheit geteilt wird.
Die Beitragenden nehmen hierbei die Leser auf eine Zeitreise mit,
die bis in die Zukunft reicht – sei es durch persönliche
Erinnerungen (Zepf), eigene Lehranalyse (Werthmann), geschichtliche
Kontexte (Dahmer), eine Diskussion mit Alfred Lorenzer (Lorenzer,
Hartmann, Zepf), die Gegenüberstellung Lacans und Lorenzers
Sprachauffassung (Simonelli), eine Weiterentwicklung des
Lorenzer’schen Symbolbegriffs (Schmid Noerr), eine Abhandlung zum
interaktionstheoretischen Spanungsfeld bei Freud und Lorenzer
(Zepf), das Aufzeigen der Signifikanz für die klinische Arbeit
(Nissen), die Tiefenhermeneutik im klinischen und
kulturanalytischen Kontext (König) oder – last but not least –
durch den Stellenwert des Lorenzer’schen gesellschaftskritischen
Denkens und dessen epistemologische Stringenz jenseits »timider
Psychotechnik« (Dahmer).
In puncto Lorenzers Nachwirken wäre wünschenswert gewesen, wenn
auf seinen Theorien beruhende Weiterentwicklungen und Anwendungen
mehr Platz gefunden hätten, wenn also die »Lorenzianer« von morgen
zu Wort gekommen wären. Auch bleibt die Frage offen, inwiefern
sich Lorenzers Werk »salonfähig« und zukunftsweisend
weiterentwickeln liesse, ohne einem Psychotechnik-Reduktionismus
zum Opfer zu fallen. Ungeachtet dessen ist der Titel überaus
lesenswert und stellt eine Bereicherung für jeden dar, der sich
der Vielfalt von Lorenzers metatheoretischem und klinischem Denken
annähern will.
Anas Nashef, Bremerhaven
www.sanp.ch