Rezension zu Freud-Bashing (PDF-E-Book)
Punktum. Verbandszeitschrift des Schweizer Berufsverbandes für Angewandte Psychologie, September 2016
Rezension von Marianne Zweifel
Anti- und Anti-Anti-Freud-Literatur
Thomas Köhler: Freud-Bashing
Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, forderte die
Kritiker von Beginn weg mit seinen Ansichten zu psychischen
Symptomen, zum Unbewussten und zur Sexualität heraus. Auch wurden
über keinen Wissenschaftler so viele Biografien geschrieben wie
über ihn. Dies sei wenig erstaunlich, meint Thomas Köhler. Denn
Freud habe seine Thesen scharf formuliert und wandte Methoden an,
die weder natur- noch geisteswissenschaftlichen
Forschungsinstrumenten entsprachen.
Es geht dem Autor in diesem Buch nicht darum, die Kritik an Freuds
Thesen zu widerlegen. Was ihn beschäftigt, sind die Kritiker, die
mit einem wissenschaftlichen Anspruch antreten, dem sie bei genauer
Prüfung nicht gerecht werden, die Freud falsch zitieren, voreilig
Schlüsse ziehen, sich nur oberflächlich mit den Texten
auseinandersetzen oder sich auf Sekundärlektüre berufen, ohne diese
nachgeprüft zu haben. Um diejenigen Kritiker, die sich mit
reisserischen Titeln der Publikumswirksamkeit ihrer Bücher
vergewissern. Die sich dem »Freud-Bashing« vor allem darum widmen,
weil es Spass macht und man sich in guter Gesellschaft weiss. Und
die sich deutlich von seriösen Kritiken unterscheiden.
Es ist bereits das zweite Buch zum Thema Anti-Freud-Literatur von
Köhler, der selber als Psychoanalytiker tätig ist und immer wieder
über Psychoanalyse geschrieben hat. Er konzentriert sich in diesem
Band vor allem auf die Literatur ab 1973 (Ellenberger) bis 2013
(Onfray). Wichtig ist ihm aber aufzuzeigen, dass die Wurzeln dieser
Art von Kritik oft auf Schriften aus der Zeit des
Nationalsozialismus zurückgehen. So heisst es etwa: »In dieses
Unbewusste vermöge der menschliche Verstand nicht einzudringen.« Es
sei »ein revolutionärer Vorstoss gegen den europäischen
Rationalismus und die Aufklärung« (»Berliner Börsenzeitung«, 1933).
Freud nehme dem Menschen alle Würde, indem er ihn auf die Triebe
reduziere, es seien dies »jüdische Gesichtspunkte, welche einen
zersetzenden Einfluss hätten« (CG. Jung, Brief an Kranefeldt,
1934). Psychoanalyse als Gesellschaftsgefährdung ist für W.
Kretschmer noch 1982 ein wichtiges Thema, das auch E.M. Thornton
(1983) in ihre Kritik aufnimmt. Sie erklärt diese verantwortlich
für die »permissive society« der 1950er und 1960er Jahre. Hans
Jürgen Eysenck als der bekannteste Anti-Freudianer veröffentlichte
1985 »Sigmund Freud: Niedergang und Ende der Psychoanalyse« und
setzte zu einem »Generalangriff gegen die Psychoanalyse« an. Er
wollte die ganze psychoanalytische Theorie als Behauptung
widerlegen und verzichtete dann, weil es »um den all-gemeinen
Leser« geht, auf genaue Quellenangaben. Köhler beanstandet dies und
meint, hier werde Freud vor allem lächerlich gemacht und auch immer
wieder falsch zitiert. Ausserdem beziehe sich Eysenck unkritisch
auf andere Kritiker. Spannend zu lesen ist die sehr genau
dokumentierte Kritik und Neuinterpretation der Fallgeschichte vom
«kleinen Hans» von J. Wolpe und S. Rachman (1979), auf die sich
T.H. Eschenröder (1986) und H. Selg (2002) beziehen. Freud schrieb
diese Fallgeschichte um 1909, unter anderem um die ödipalen
Phantasien des kleinen Hans darzustellen. Die Kritiker finden das
gerade nicht erwiesen und erklären das Verhalten des kleinen Hans
mit ihrer Konditionierungstheorie. Köhler zeigt die Auslassungen
und Fehlinterpretationen und spricht von wissenschaftlicher
Unredlichkeit.
Am Schluss wird am Beispiel des Philosophen Adolf Grünbaum
aufgezeigt, wie seriöse Kritik aussehen kann (»Die Grundlagen der
Psychoanalyse. Eine philosophische Kritik«, 1988). Grünbaum
reflektiert vor allem die Erkenntnismethodik der Psychoanalyse am
Beispiel der Fehlleistungen und die Sicherheit der auf diese Weise
gewonnenen Aussagen. Er hält sich an die Regeln des
wissenschaftlichen Diskurses. Obwohl: Nach Auffassung von Köhler
missversteht auch Grünbaum Freuds Theorie in vielem. Lesenswert
macht dieses Buch, dass sich Köhler intensiv mit der weit
verbreiteten negativen Kritik an Freud auseinandersetzt. Kompetente
Erforschung des kritisierten Gegenstandes könnte eine Bereicherung
für das weite Gebiet der Psychologie sein. Weiterdenken und
Forschen gehört zur Psychoanalyse, das zeigt ihre Geschichte und
war schon ihrem Gründer klar. Freud war in seinem Denken
revolutionär. Er hat sich in das schwierige Gebiet der menschlichen
Psyche vorgewagt, das Menschenbild seiner Zeit mit seinen Thesen in
Frage gestellt, hat Illusionen und Mythen zerstört. Das nimmt man
ihm weiterhin übel. Auch dass der grösste Teil der Psyche
unbewusst, »das Ich nicht Herr im eigenen Haus« ist (Freud
1917).
Die Diskussion und die Kritik werden und sollen andauern.
Marianne Zweifel,
Psychotherapeutin SBAP,
Psychoanalytikerin, Zug