Rezension zu Sexualität und Autismus
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Rezension von Prof. Dr. Susanne Wachsmuth
Thema
Über das Thema »Autismus« existiert bereits eine Vielzahl von
Publikationen, allerdings wird der Bereich der Sexualität von
Autisten und Autistinnen kaum berücksichtigt. Hier greift Lena
Lache also ein bisher vernachlässigtes Thema auf.
Autorin
Lena Lache arbeitet an der Hochschule Merseburg als
wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für angewandte
Sexualwissenschaft.
Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch geht aus der Abschlussarbeit als Master in
angewandter Sexualwissenschaft hervor.
Aufbau und Inhalte
Das Buch besteht aus vier Hauptkapiteln.
Das erste Kapitel stellt den Stand des aktuellen Wissens über das
Autismus-Spektrum dar. Nach einem geschichtlichen Überblick und der
Einordnung in medizinische Klassifikationssysteme werden Theorien
zur Ätiologie dargestellt. Neben organischen Ursachen beschreibt
Lache die neuropsychologischen Erklärungsversuche, die
Besonderheiten in der Theory of Mind, der zentralen Kohärenz und in
den exekutiven Funktonen, umfassen.
Wesentliche Symptome, die sich in der sozialen Interaktion, in
Sprache und Kommunikation, in Interessen und Verhaltensmustern, der
Motorik sowie der Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung zeigen,
werden erläutert. Auswirkungen des Monotropismus – der
Tunnelwahrnehmung – und Komorbiditäten werden aufgezeigt.
Das zweite Kapitel widmet sich der Bedeutung von Kommunikation.
Kommunikation, Sprache und Sprechen werden voneinander abgegrenzt,
um dann kurz die Entwicklung der Sprache und ihre vielfältigen
Funktionen darzustellen.
Die Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation / UK für Menschen
aus dem Autismus-Spektrum sind Thema des folgenden Unterkapitels.
Nach einer kurzen Erläuterung des Begriffes »Unterstützte
Kommunikation« werden wichtige Programme zum Erstellen von Symbolen
(Bordmaker mit PCS und Metacom) vorgestellt. Es folgen kurze
Einblicke in die elektronischen Hilfsmittel und in die Gestützte
Kommunikation / FC. Außerdem wird die Kommunikationsmethode Picture
Exchange Communication System (PECS) beschrieben. Das Kapitel endet
mit einer Zusammenfassung, in der auch auf die Bedeutung
nonverbaler Kommunikation und der Schrift hingewiesen wird.
Das dritte Kapitel handelt von der (psycho)sexuellen Entwicklung
und der Sexualisation. Zunächst werden die Begriffe »Sexualität«,
»sexuelle Entwicklung« und »Sexualisation« geklärt. Anschließend
werden die (psycho)sexuellen Entwicklungsphasen: orale, anale,
phallische Phase sowie Latenzphase und Pubertät auf der Grundlage
der Theorie von Sigmund Freud erklärt.
Lache stellt den Bezug zwischen der beschriebenen Entwicklung und
Menschen aus dem Autismus-Spektrum dar. Hierbei rekurriert sie auf
die im ersten Kapitel dargestellten Besonderheiten und zeigt deren
mögliche Auswirkungen auf die sexuelle Entwicklung auf.
Das vierte Kapitel »Zusammenhang zwischen Kommunikation,
(psycho)sexueller Entwicklung und Sexualisation« beschäftigt sich
mit der Bedeutung von Kommunikation und Sprache sowohl in der
Familie als auch mit Gleichaltrigen und erläutert mögliche
Auswirkungen der veränderten Kommunikation auf den
Sexualisationsprozess.
Als Hilfe werden Formen der Unterstützten Kommunikation angeboten.
Dafür untersucht Lache zunächst das Vokabular gebräuchlicher
Symbolsysteme (Picture Communication Symbols, Metacom und
Picto-Selector) auf das Vorhandensein und die Eignung der
entsprechenden Symbole. Daneben stellt sie die Möglichkeiten von
elektronischen Kommunikationshilfen und Gestützter Kommunikation
dar. Sie verweist aber auch auf die Einschränkungen, die
insbesondere im Verhalten der Kommunikationspartnern und
Kommunikationspartnerinnen gesehen werden, und auf die Risiken, die
die umstrittene Methode der Gestützten Kommunikation
beinhalten.
In dem abschließenden Resümee plädiert Lache für eine größere
Offenheit gegenüber dem Themenbereich der Sexualität im
Zusammensein mit Menschen mit Autismus und eine verbesserte
Informationsvermittlung.
Diskussion und Fazit
Das vorliegende Buch schließt eine Lücke in der Literatur zum
Autismus. Obwohl die Frage nach der Sexualität von Menschen mit
Autismus, also von Menschen mit Schwierigkeiten im Aufbau von
sozialen Beziehungen, nahe liegt, gibt es dazu bisher nur wenige
Publikationen.
Das Buch ist sehr übersichtlich geschrieben und ist geeignet, einen
Überblick über die wesentlichen Besonderheiten von Menschen mit
Autismus zu erwerben. Dieser Teil (insbesondere Kapitel 1) ist
recht kurz gehalten; da sich das Buch aber wahrscheinlich an
Personen wendet, die Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit
Autismus haben, ist dies hinreichend, da es sich auf jene Aspekte
beschränkt, die dann im Verlauf der Schrift wieder aufgegriffen und
zur Thematik in Beziehung gesetzt werden. Dasselbe gilt für die
Darstellung der Entwicklung der kommunikativen Kompetenz.
Lache gelingt es in hervorragender Weise, die Bedeutung der
Kommunikation – sowohl der nonverbalen, der laut- und
schriftsprachliche als auch der alternativen – herauszuarbeiten.
Eine besondere Würdigung verdient die Einbeziehung der
Unterstützten Kommunikation und die Untersuchung ihrer Angebote in
die Fragestellung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Buch die Augen für einen
vernachlässigten Themenbereich öffnet und gleichzeitig schon
Lösungsansätze aufzeigt. Es ist sowohl Eltern als auch Pädagoginnen
und Pädagogen, die mit Menschen mit Autismus leben, sehr zu
empfehlen.
Zitiervorschlag
Susanne Wachsmuth. Rezension vom 10.05.2016 zu: Lena Lache:
Sexualität und Autismus. Die Bedeutung von Kommunikation und
Sprache für die sexuelle Entwicklung. Psychosozial-Verlag (Gießen)
2015. ISBN 978-3-8379-2518-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN
2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/20609.php, Datum des
Zugriffs 30.11.2016.
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