Rezension zu Unterwegs zur funktionierenden Gruppe (PDF-E-Book)
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Rezension von Wolfgang Rechtien
Angelika Rubner, Eike Rubner: Unterwegs zur funktionierenden
Gruppe
Thema
Das von Angelika und Eike Rubner vorgelegte Buch will Entwicklung
und Methodik der Themenzentrierten Interaktion mit Schwerpunkt auf
die Leitung von Gruppen darstellen. Ein sechsphasiges Modell der
Gruppenentwicklung wird beschrieben.
Autorin und Autor
Angelika Rubner ist promovierte Diplompsychologin, Eike Rubner
promovierter evangelischer Theologe. Beide sind Psychologische
Psychotherapeuten und Lehrbeauftragte des Ruth Cohn Institute
International.
Aufbau
Neben einem Vorwort, einer Einleitung und dem Verzeichnis der
Literatur enthält das Buch vier Kapitel:
I. Das Individuum und die Gruppe
Die Wechselwirkungen zwischen Anlage und Umwelt
Der Mensch im Plural
Psychodynamische Prozesse in Gruppen
II Die Themenzentrierte Interaktion (TZI)
Biografie von Ruth Cohn
Die Grundlagen der TZI
Das Konzept der TZI
Anwendungsmöglichkeiten und -felder der TZI
Das Ruth-Cohn-Institute for TCI-International
III. Figur-Hintergrund-Phänomene
Übertragung und Gegenübertragung
Projektion
Wiederholung, Übertragung und Über-Holung
Angst – Widerstand – Störung
Krisen in Gruppen
Träume
IV. Entwicklungsphasen in Gruppen
Zur Annahme von Entwicklungsphasen einer Gruppe
Das Gruppenphasenmodell
Die sechs Phasen unseres Modells
Tabellarische Übersicht der Entwicklungsphasen einer Gruppe
Inhalt
Das Buch beginnt mit allgemeinen Überlegungen zur Wechselwirkung
zwischen dem Individuum und seiner Umwelt, anschließend findet sich
eine Begriffsbestimmung der sozialen Umwelt Gruppe und eine
Beschreibung von gruppalen, insbesondere psychodynamischen
Phänomenen und Prozessen. Das Vier-Faktoren-Modell der TZI mit ES
(dem Thema), ICH (der Persönlichkeit des einzelnen
Gruppenmitgliedes), WIR (die Gesamtheit der wechselseitigen
Einstellungen und Einflüsse der Gruppenmitglieder) und GLOBE (die
unmittelbare Umgebung sowie das weitere soziale und physikalische
Umfeld) wird kurz dargestellt (und später im Kapitel II.3) wieder
aufgegriffen. Abgeschlossen und inhaltlich verdeutlicht wird das
Kapitel mit Fallvignetten zum Leiterverhalten im Umgang mit
Teilnehmerrollen.
Natürlich – das wird bereits in diesem ersten Kapitel sehr deutlich
– suchen die Autoren den Weg zur »funktionierenden Gruppe« auf der
Basis der Psychoanalyse, schließlich war die Konzeptstifterin, Ruth
Charlotte Cohn, ausgebildete Psychoanalytikerin.
In der Biografie von Ruth Cohn (zu Beginn des Kapitels II) zeigen
sich die gesellschaftlichen, politischen und therapeutischen
Strömungen ihrer Zeit in Europa und den USA, die in ihr Konzept der
TZI eingegangen sind. Als Grundlagen der TZI werden die
Psychoanalyse in Verbindung mit der Humanistischen Psychologie, die
(im Wesentlichen psychoanalytisch fundierte) Pädagogik, die
Philosophie Sartres, das dialogische Prinzip Martin Bubers und der
Holismus des (der Gestaltpsychologie nahe stehenden) Psychiaters
Kurt Goldstein genannt, jedoch nicht weiter vertieft.
Kurz erläutert werden drei Axiome, die dem Konzept der TZI zugrunde
liegen. Neben diesen muss die Leitung von Gruppen nach der Methode
der TZI deren Vier-Faktoren-Modell von ICH, ES, WIR und GLOBE
beachten. Diese werden von den Autoren kurz erläutert, bevor dann
Leitungsfunktionen und Leitungsstil ausführlicher behandelt
werden.
Anwendungsfelder der TZI werden benannt, ohne allerdings auf deren
spezifische Anforderungen einzugehen. Abgeschlossen wird das zweite
Kapitel mit einem knappen Abschnitt über die Gründung des
Ruth-Cohn-Institute for TCI-International.
Zu den Figur-Hintergrund-Phänomenen (Kapitel III) rechnen die
Autoren »Prozesse, die aus dem spezifischen Zusammentreffen von
vorbewussten und unbewussten Motivationen der Einzelnen mit der
stets subjektiv empfundenen Realität des sichtbaren und bewussten
Geschehens in der Gruppe erwachsen« (S. 65) und beschreiben
Übertragung, Gegenübertragung, Projektionen, Ängste. Widerstände,
Störungen, gruppale Krisen und Träume.
Das von den Autoren entwickelte Gruppenentwicklungsmodell wird im
vierten Kapitel ausführlich dargestellt. Auf Seiten der
Gruppenleitung bedeutet die Orientierung an einem Phasenmodell,
dass diese bestimmte Bedingungen (Themen, Strukturen, Methoden) für
die Entwicklung der Gruppe schaffen soll und diagnostizieren kann,
welchen Stand die Gruppe im Hinblick auf (ausgesprochene oder
verdeckte) Entwicklungsziele erreicht hat. Damit ist natürlich die
Frage nach der normativen Kraft eines solchen Modells aufgeworfen,
und die Autoren setzen sich damit ausführlich auseinander, bevor
sie die sechs Phasen des Modells
Orientierung und Kontaktaufnahme
Annäherung und Zusammenarbeit
Differenzierung und Integration
Autonomie und Interdependenz
Vertrauen und Intimität
Abschied und Ausblick
und die damit zusammenhängenden Ziele beschreiben. Besondere
Aufmerksamkeit widmen sie dabei den situationsspezifischen Aufgaben
der Leitung. Auch hier werden (wie in vorhergehenden Kapiteln)
ausführliche Fallbeispiele zur Verdeutlichung gegeben.
Abgeschlossen wird das Kapitel und damit der inhaltliche Teil des
Buches mit einer tabellarischen Übersicht, in der vorherrschende
Verhaltensweisen, Fantasien, Gefühle und Fantasien sowie
individuelle und interaktionelle Phänomene der Phasen
zusammengestellt sind.
Diskussion und Fazit
Die Autoren wollen – so formulieren sie es im Vorwort – allen, die
in und mit Gruppen arbeiten, aber auch jenen, die sich für die
Wechselwirkung zwischen Umfeld, Individuum, Gruppe und Leitung
interessieren, Kenntnisse über TZI und deren
Anwendungsmöglichkeiten vermitteln, wobei der Schwerpunkt auf
gruppalen Entwicklungsphasen liegt.
Dabei orientieren sich Angelika und Eike Rubner ausschließlich an
psychoanalytischen Konzepten und wagen keinen Blick auf relevante
sozialpsychologische Ansätze etwa zur Rollen- und Normtheorie, zur
Gruppendynamik usw.
Die Darstellung der Biografie Ruth Cohns ist hilfreich zum
Verständnis des Anliegens der TZI. Für das Verstehen der Grundlagen
wäre es m.E. allerdings hilfreich gewesen, die Grundgedanken der im
Kapitel II genannten philosophischen Konzepte und ihre Integration
in das Theoriegebäude der TZI vertieft zu erläutern.
Das Figur-Grund-Verhältnis – zunächst formuliert im Kontext der
Wahrnehmungspsychologie (Rubin, 1921), aber von erheblichem
Erklärungswert auch für Emotionen und Denken (Metzger, 1953;
Goldstein, 2007) – besagt, dass Teile des (Wahrnehmungs)Feldes
besondere Aufmerksamkeit erhalten und daher als gesonderte Figur
vor dem Hintergrund erscheinen. Die Anwendung dieses Konzeptes auf
das Verhältnis zwischen vor- bzw. unbewussten Motivationen und der
sichtbaren gruppalen Realität scheint zumindest ungewöhnlich; einen
Bezug zu Erkenntnissen über die Bedingungen, was zur Figur und was
zum Hintergrund wird, und wann eine Änderung der
Figur-Grund-Organisation eintreten kann, finde ich nicht.
Das Ziel, Kenntnisse über die TZI und ihre Anwendungsmöglichkeiten
zu vermitteln, scheint mir nur zum Teil realisiert. Die
theoretischen Ausführungen in den ersten Kapiteln sind zu knapp, um
»TZI-Neulingen« einen Einblick zu vermitteln; »TZI-Erfahrene«
finden kaum Neues.
Das Phasenmodell der Autoren entspricht – natürlich – der
grundlegenden psychoanalytischen Orientierung von Angelika und Eike
Rubner. Die Fallbeispiele in den einzelnen Kapiteln entstammen
überwiegend Kursen zur Persönlichkeitsentwicklung. Zu wünschen wäre
eine Einführung in die zunehmend wichtige Bedeutung der
themenzentrierten Gruppenleitung in Profit- und
Non-Profit-Organisationen (vgl. z.B. Hans, 2005).
Literatur
Goldstein, B. E. (2007). Wahrnehmungspsychologie: Der Grundkurs.
Heidelberg: Spektrum.
Hans, D. (2005). Themenzentrierte Interaktion in der Personal- und
Organisationsentwicklung. Wiesbaden: Johannes Gutenberg
Universität.
Metzger, W. (1953). Gesetze des Sehens (2 ed.). Frankfurt:
Kramer.
Rubin, E. (1921). Visuell wahrgenommene Figuren. Berlin:
Universitas, Deutsche Verlags AG.
Rezensent
Dr. Wolfgang Rechtien
Zitiervorschlag
Wolfgang Rechtien. Rezension vom 12.10.2016 zu: Angelika Rubner,
Eike Rubner: Unterwegs zur funktionierenden Gruppe. Die Gestaltung
von Gruppenprozessen mit der Themenzentrierten Interaktion.
Psychosozial-Verlag (Gießen) 2016. ISBN 978-3-8379-2579-1. In:
socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245,
http://www.socialnet.de/rezensionen/21064.php, Datum des Zugriffs
17.10.2016.
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