Rezension zu Rhythmik und Autismus (PDF-E-Book)
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Rezension von Petra Steinborn
Lucia Kessler-Kakoulidis: Rhythmik und Autismus
Thema
Die rhythmisch-musikalische Erziehung stellt eine erfolgreiche
Intervention bei Menschen mit Autismus dar. In diesem Buch geht es
sowohl um die Unterstützung der Entwicklung sozial-kommunikativer
und sprachlich-emotionaler Kompetenzen als auch eine erfolgreiche
Inklusion in das pädagogische und soziale Umfeld. Musik ist dabei
wie eine Brücke zwischen den Akteuren (Therapeut und Klient), eine
Form der Kommunikation und Interaktion. Musik eröffnet die
Möglichkeiten der Begegnung und des Miteinandersein.
Autorin
Lucia Kessler-Kakoulidis ist Lehrerin für rhythmisch-musikalische
Erziehung. Seit 1984 arbeitet sie an verschiedenen
Fördereinrichtungen für Kinder und Erwachsene mit
Autismus-Spektrum-Störungen in Athen. Parallel lehrt sie an der
Universität Athen im Fach Musikpädagogik/Musiktherapie. Sie ist
Gründungsmitglied des griechischen Vereins für Menschen mit
Asperger-Syndrom und Ehrenmitglied der griechischen Vereinigung für
diplomierte Musiktherapeuten.
Entstehungshintergrund
Der Psychosozial-Verlag gibt 18 Buchreihen heraus. Die Buchreihe
»Therapie & Beratung«, zu der das hier vorgelegte Buch gehört
umfasst 65 Titel. Adressaten sind Fachmenschen aus der Therapie und
der Beratung sowie diejenigen, die professionell in diesen
Bereichen tätig sind. Behandelt werden verschiedene
psychotherapeutische Ansätze. Sie sind praxisorientiert und auf
wissenschaftlichem Niveau.
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst 319 Seiten und 27 Skizzen und Bilder. Es gliedert
sich in fünf Kapitel, die sich in zahlreiche Unterkapitel
auffächern. Hervorhebungen sind fett formatiert oder eingerückt.
Die Seiten sind eng bedruckt. Zahlreiche Zitate führen in die
Inhalte ein und lockern auf, zudem ergänzen über 200 Fußnoten den
Fließtext. Das Literaturverzeichnis ist umfassend und beinhaltet
sowohl deutsche als auch griechische Bücher. Schwerpunkt des Buches
bildet in Theorie und Praxis der integrative Ansatz von Amélie
Hoellering.
Im ersten Kapitel »Émile Jaques-Dalcroze (1865-1950)« wird ein
historischer Überblick gegeben und die Methode von Emile
Jaques-Dalcroze erläutert, der eine musikpädagogische Konzeption
der Rhythmik begründete. Der Schweizer entwickelte eine Methode,
die das Erleben von Musik über die Körpererfahrung in den
Mittelpunkt stellt. Von dieser Basis aus entwickelte sich die
Musiktherapie in den Therapie-, Heil-und Förderbereich.
Das zweite Kapitel »Basiselemente in der Rhythmik« befasst sich zum
einen mit den Basisthemen der Methode wie Rhythmus, Musik und
Bewegung sowie Instrumentarien und Material und zum anderen mit
angrenzenden Themenbereichen wie Stimme, Sprache und Blick. Dieses
Kapitel befasst sich zudem mit dem Spiel und mit dem Thema
Improvisation. Diese Elemente spielen in der Arbeit mit Autismus
eine zentrale Rolle. An konkreten Beispielen werden besondere
Merkmale, welche Bedürfnisse Menschen, die unter den Bedingungen
von Autismus leben, haben, erläutert und transparent gemacht.
Im dritten Kapitel geht es um »Rhythmik in Pädagogik und Therapie«.
Hier werden neben der Definition der Musiktherapie und Rhythmik die
Anfänge der Musiktherapie behandelt. Die Rhythmik liegt im
Schnittfeld von Musiktherapie und Musikpädagogik. Das Kapitel
schließt mit Erläuterungen zur Rhythmik und Heilpädagogik ab, in
dem Charlotte Pfeffer (1881 – 1970) und Mimi (Marie-Elisabeth)
Scheiblauer (1891-1968), zwei Vertreterinnen der Rhythmik in der
Heilpädagogik vorgestellt werden. Beide Frauen waren
Rhythmikerinnen im heilpädagogischen Bereich in Deutschland.
Das vierte Kapitel handelt von »Prof. Amélie Hoellering«. Es
beginnt mit der Biografie von Frau Hoellering, die 1920 -1995
gelebt hat. Anschließend wird ihr integrativer Ansatz vorgestellt,
in dem Rhythmik als Möglichkeit der Selbsterfahrung, Rhythmik als
Maßnahme zur Prävention von Verhaltens- und Entwicklungsstörungen,
Rhythmik als Möglichkeit der Regeneration und Rhythmik als
Unterstützung bei Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten vertieft
werden. Hier werden allgemein die Grundlagen für ein
therapeutisches Handeln sowie die therapeutische Haltung in der
praktischen Arbeit beleuchtet und im Besonderen die Bedeutung des
sog. »Safe Place«.
Das letzte Kapitel »Rhythmik als Intervention bei
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)« führt zu Beginn in die
Klassifikationen und die Kernsymptome von Autismus ein. Die Autorin
stellt verschiedene Interventionen bei Autismus-Spektrum-Störungen
vor: die Rhythmik, die Musik und die Bewegung. Es geht dabei auch
um das Spiel und das soziale Lernen. Rhythmik kann auch in der
Einzeltherapie zur Förderung von Basiskompetenzen eingesetzt werden
und auch als interpädagogisches Konzept zur Inklusion von
autistischen Kindern.
Das Buch endet mit einem Epilog und zwei Literaturverzeichnissen,
einem deutschen und einem griechischen Literaturverzeichnis, mit
Bildnachweisen, einem Personenregister und einem Sachregister.
Diskussion
Musiktherapie mit Menschen aus dem autistischen Spektrum, aber auch
bei Menschen mit sog. geistiger Behinderung oder
Lernschwierigkeiten und bei Psychosen, also Menschen mit starker
Ich-Störung (im Gegensatz zu der Ich-Schwäche Problematik im
Bereich der Neurose) hat den Sinn, sie in ihrer Wahrnehmung zu
stärken und zu spiegeln. Hilfreich für die Person ist, sich im
Gegenüber in der Spiegelung als selbständiges, existierendes,
gestaltendes Wesen zu erkennen. (Frei nach Buber: Das »Ich« wird
durch das »Du« zum »Ich«).
Fehlende Spiegelung und fehlender Kontakt lassen den Menschen
innerlich verarmen und treiben ihn in die Isolation. Das Spiegeln
bei Menschen aus dem Autismus Spektrum und letztlich bei allen
Wesen, ist das Wichtigste überhaupt! Durch ihren frühen Rückzug
erleben diese Menschen auch den Rückzug ihrer Umgebung, sprich
ihrer wichtigsten Bezugspersonen. Die Eltern, deren Kind sich
emotional und ausdrucksmäßig zurückzieht, erleben diesen Vorgang
häufig als sehr schmerzhaft und kränkend und reagieren ebenfalls
mit Rückzug. Häufig wäre aber gerade die Veränderung des Kontakts,
ein stärkerer »input« auch auf anderen Ebenen nötig (Vibration,
Druck, etc.), um diese Kinder zu erreichen. Die Musiktherapie soll
gerade dort wieder beginnen, wo der Kontakt zur Umwelt abgerissen
ist.
Entweder wird rezeptiv oder aktiv gearbeitet. Rezeptiv: der Klient
wird nicht selber aktiv, sondern der Therapeut spielt entweder
selber oder wählt eine Musik aus, die der Klient dann, mit
Anleitung auf sich wirken lässt. Meist nimmt der Therapeut hier das
in seine Musik auf, was er beim Klienten sieht, Körperbewegungen,
Stimmungen, Gefühle, Gesten, Mimik, etc. In der aktiven
Musiktherapie wird der Klient selber tätig. Ein häufiger Einstieg
sind selbstklingende Instrumente z.B. Rasseln, sie bieten Zugang
bei Menschen, die sich nicht gut äußern können oder geistig und
oder körperlich eingeschränkt sind. Diese Medien erklingen dann,
wenn z.B. eine stereotype Körperbewegung ausgeführt wird.
Musiktherapie ist als eine psychotherapeutische Behandlungsmethode
zu verstehen, die mit verschiedenen Elementen der Musik einen
therapeutischen Einfluss im Sinne der Aktivierung, der
Spannungsregulierung, der Unterstützung von zwischenmenschlichen
Kontakten oder der Steigerung der Erlebnisfähigkeit hat. Musik
bietet in der Arbeit mit nonverbal Kommunizierenden einen Ansatz
für eine Vielzahl von Möglichkeiten in der therapeutischen Arbeit.
Menschen aus dem autistischen Spektrum verfügen über ein gutes
Gehör sowie musikalische Fähigkeiten. Musik und Rhythmus bieten die
Möglichkeit, Gefühle auszudrücken, wodurch sie Kommunikation
entwickeln kann.
Die Autorin hat einen breiten Wissens- und Erfahrungshintergrund.
Sie arbeitet zum einen in verschiedenen Einrichtungen mit Kindern
aus dem autistischen Spektrum als Lehrerin und zum anderen lehrt
sie an der Universität Athen im Fach Musikpädagogik/Musiktherapie.
Darüber hinaus ist sie Gründungsmitglied des griechischen Vereins
für Menschen mit Asperger-Syndrom und Ehrenmitglied der
griechischen Vereinigung für diplomierte Musiktherapeuten.
Wie im Klappentext zu lesen ist, lernt man durch das Buch die
praktische Anwendung der Medien Musik, Bewegung, Sprache, Spiel und
Improvisation in Kombination mit therapeutischen Konzepten kennen.
Wichtige Elemente sind das Konzept des sog. »Safe Place« und die
»therapeutische Haltung« nach Carl Rogers. Die Autorin vertritt den
Ansatz, einer kooperativen konstruktiven Haltung sowie einer
positiven Einstellung von Seiten pädagogisch und therapeutisch
Handelnden mit dem Ziel, eine erfolgreiche Inklusion von Kindern
und Erwachsenen, die unter den Bedingungen von Autismus leben zu
befördern. Musik eröffnet Erlebnisfelder der Kommunikation und wird
damit zum Ausgangspunkt der Therapie. Musiktherapie macht sich die
kommunikative Seite der Musik und ihre Ausdrucksmöglichkeiten
zunutze. Das kann die Improvisation, das Singen und Spielen von
Liedern sein, es kann mit Bewegung oder gestalterisch gearbeitet
werden. Aber auch rezeptiv kann Musik als Medium eingesetzt werden
z.B. zur Entspannung und Beruhigung oder in der
Biografiearbeit.
Musiktherapie ist also eine zentrale Methode der
Kommunikationsanbahnung für Menschen aus dem autistischen Spektrum.
Leider gehört sie nicht zu den Regelleistungen der Krankenkassen in
Deutschland. Das ist bedauerlich und erschwert den Zugang zu dieser
Therapieform. Ein Möglichkeit der Kostenübernahme besteht: im
Rahmen der Eingliederungshilfe für Kinder und Erwachsene, die
behindert bzw. von Behinderung bedroht sind kann Musiktherapie
abgerechnet werden. Voraussetzung ist, dass Musiktherapeutinnen und
Musiktherapeuten eine Approbation der Psychotherapie nach dem
Heilpraktikergesetz nachweisen können! Das Buch ist auf dem Weg zum
Menschen eine gute Grundlage.
Fazit
Alle Menschen sind soziale Wesen und auf Kommunikation und
Interaktion angewiesen. Menschen aus dem autistischen Spektrum
finden schwerer Zugänge. Der rhythmisch-musikalische Ansatz stellt
eine erfolgreiche Intervention bei Menschen mit Autismus dar. Im
Mittelpunkt stehen sowohl die Unterstützung der Entwicklung
sozial-kommunikativer und sprachlich-emotionaler Kompetenzen als
auch eine erfolgreiche Inklusion in das pädagogische und soziale
Umfeld. Gute Therapieangebote sind schwer zu finden und so ist zu
hoffen, dass dieses Buch Fachleuten Mut macht, sich besonders auch
den Menschen zuzuwenden, die es schwerer haben. Ein Buch, das
zeigt, wie Musik verbindet, Brücken baut und gemeinsame
Erfahrungsfelder entstehen lässt und damit zu einem wichtigen Werk
auf dem Weg zu einer Inklusion für alle Menschen avancieren
kann.
Rezensentin
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Einrichtungsleitung in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn
und freiberuflich in eigener Praxis ABC Autismus tätig.
Schwerpunkte: Herausforderndes Verhalten, Strategien der
Deeskalation, Autismus, TEACCH, Erworbene Hirnschädigungen
Zitiervorschlag
Petra Steinborn. Rezension vom 23.09.2016 zu: Lucia
Kessler-Kakoulidis: Rhythmik und Autismus. Der integrative Ansatz
Amélie Hoellerings in Theorie und Praxis. Psychosozial-Verlag
(Gießen) 2016. ISBN 978-3-8379-2571-5. In: socialnet Rezensionen,
ISSN 2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/20469.php
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