Rezension zu Orakel, Träume, Transzendenz (PDF-E-Book)
à jour! Psychotherapie – Berufsentwicklung Nr. 02, 12/2015
Steffi Zacharias setzt sich in ihrem sehr detailreichen, um
Wissenschaftlichkeit bemühten Buch mit der sog. traditionellen
mexikanischen Medizin (TMM) auseinander, einerseits im Kontrast zu
der westlichen Psychotherapie, unter die sie vor allem
verhaltenstherapeutische und psychoanalytische Ansätze als die in
Deutschland anerkannten subsumiert, andererseits aber auch als
mögliche Ergänzung dazu. Dabei berücksichtigt sie die Entwicklung
der TMM aus der prä-spanischen indianischen Medizin ebenso wie die
Anpassungen an die heutige Zeit.
Die Grundlage bildet ihre Feldforschung mit drei Heilern/-innen
sowohl aus einer eher städtischen Region als auch vom Land. Auf die
Darlegung der Krankheitsmodelle baut sie die Auseinandersetzung mit
der Behandlungspraxis auf. Dies wird alles sehr anschaulich mit
konkreten Behandlungsritualen und Falldarstellungen konkretisiert.
Am Schluss versucht sie, die TMM mit der westlichen Psychotherapie
zusammenzuführen, wobei sie, wie auch in allen anderen Teilen ihres
Buches, ihre eigene Rolle als westliche Psychotherapeutin, die als
Gast diesen ganz andern Zugängen zu Heilung und Krankheit beiwohnt,
reflektiert.
Steffi Zacharias beginnt ihr sehr umfassendes Werk mit einer
Auseinandersetzung mit der westlichen Psychotherapie und Medizin,
die ihrer Meinung nach mit ihrem teils überhöhten
Wissenschaftsanspruch und der daraus resultierenden Verabschiedung
aller magischen Elemente und Rituale in einer Krise steckt. Im
Anschluss daran gibt sie ein umfassendes Bild der TMM und ihrer
Entwicklung, mit sehr genauen Begriffserklärungen und Abgrenzungen.
Auch ihre Feldforschung legt sie detailgenau dar und leitet von den
konkreten Heilern/-innen das Verständnis von Psychischem, Krankheit
und Gesundheit ab. Dann geht sie auf verschiedene Formen der TMM
ein, nämlich als psychodiagnostisches Instrument, als
Behandlungsform bei psychischen Erkrankungen, und schließlich ganz
konkret auf die ethnopsychotherapeutischen Behandlungsrituale, die
dort zum Einsatz kommen. Zur Veranschaulichung bringt sie dann drei
Fallbeispiele von Ethnopsychotherapie, die ein weites
Einsatzspektrum bei Suchterkrankung, Depression mit
psychosomatischen Aspekten und Angsterkrankung zeigen.
In einem doch immerhin ca. 50 Seiten umfassenden Teil setzt sie
sich mit der Wirksamkeit der TMM auseinander, die sehr dem eingangs
kritisierten Wissenschaftsanspruch der westlichen Psychotherapie
und Medizin Rechnung trägt. Dabei vergleicht sie wieder die
westliche Psychotherapie mit ihrer durch Metastudien nur bedingt
nachweisbaren Wirksamkeit mit einer eigenen, von ihr durchgeführten
Studie mit den zuvor vorgestellten Fallbeispielen, die man
entsprechend nicht als repräsentativ ansehen kann, die aber doch
beeindruckende Heilerfolge aufweisen. Ein Kapitel verwendet sie
darauf, TMM und westliche Psychotherapie zu vergleichen, wobei sie
bei letzterem mehr dem psychoanalytischen Ansatz Rechnung
trägt.
Nach einem kurzen Exkurs zu TMM als Teil der Gesundheitsversorgung
im gegenwärtigen Mexiko kommt sie zu dem spannenden Teil, in dem
sie überlegt, was westliche Psychotherapeuten/-innen von TMM lernen
können. Neben Aspekten wie der Rolle der Ahnen und Spiritualität
als Bestandteil der Therapie diskutiert sie in diesem Zusammenhang
auch den Einsatz von psychoaktiven Substanzen in der
Psychotherapie, der im TMM einen wichtigen Bestandteil darstellt,
und den sie durchaus überlegenswert findet. Steffi Zacharias ist
insgesamt überzeugt, dass verschiedene Elemente der TMM eine große
Bereicherung für die westliche Psychotherapie darstellen könnten,
wobei für sie ein wichtiger Aspekt die Ganzheitlichkeit von Körper,
Geist und Seele ist, die in ihren Augen der westlichen
Psychotherapie abhanden gekommen ist.
Ich finde Steffi Zacharias Buch über TMM sehr empfehlenswert für
alle diejenigen, die über den Tellerrand unsere westlichen
Psychotherapieformen hinaus blicken wollen. Allerdings verfällt die
Autorin zuweilen selber dem kritisierten Wissenschaftsanspruch,
wodurch ihr Werk mit den verschiedenen sehr detaillierten
Begriffsherleitungen und -erklärungen teilweise etwas schwerfällig
zu lesen ist. Aber es muss sich im Gegenzug sicher keine
esoterische Verklärung der TMM nachsagen lassen. Die teilweise sehr
dichten Kapitel werden immer wieder mit Bildmaterial sowie
hilfreichen grafischen Darstellungen und Tabellen aufgelockert, die
sehr der Anschaulichkeit dienen. Sehr gut gefällt mir auch die
Selbstreflexion der Autorin in Bezug auf ihre eigene Position als
westliche Psychotherapeutin, die sich durch ihr ganzes Buch zieht,
und die sie anhand eigener Träume auf eine recht analytische Weise
vornimmt. Obwohl ein großer Respekt gegenüber der TMM zu spüren
ist, verfällt sie zu keinem Zeitpunkt in übertriebene
Glorifizierung.